Ai Weiwei in Berlin

Noch bis zum 7. Juli zeigt der Martin Gropius-Bau in Berlin die Ausstellung Evidence von Ai Weiwei. Es ist die weltweit größte Einzelausstellung des chinesischen Künstlers und zeigt auf 3000 m² mehr als 80 seiner Werke und Installationen. Viele der Arbeiten sind eigens für die Berliner Ausstellung entstanden oder sind noch nie zuvor in Deutschland gezeigt worden. Auch das Fahrrad auf dem Foto gehört dazu. Es steht vor dem Martin Gropius Bau und ist die Kopie eines Rades, das Ai Weiweis vor sein Studio gestellt hat. Solange er seinen Reisepass und damit seine Reisefreiheit nicht zurückerhält, wird das Körbchen an der Lenkstange täglich mit frischen Blumen bestückt. Die Chancen für einen Besuch Ai Weiweis seiner eigenen Ausstellung in Berlin stehen derzeit weiter denkbar schlecht. Die Blumen zeigen es.
Es ist eine wirklich beeindruckende Ausstellung. In nahzeu allen seiner konzeptual geprägten Kunstwerke verweist Ai auf die chinesische Geschichte und Kultur und zeigt gleichzeitig ihre Negierung und Zerstörung durch die moderne chinesische Gesellschaft. Das kommunistische Ein-Parteien-System konfrontiert er stetig mit der Forderung nach Rede- und Pressefreiheit, nach Demokratie und freier Lebensbestimmung. Mit seinen Arbeiten versucht Ai gerichtsfeste Beweise (Evidence) zu sichern. Bei aller politischen und gesellschaftlichen Implikation besitzen die Kunstwerke eine überzeugende ästhetische Qualität, berühren mitunter durch schlichte und harmonische Botschaften.
In China darf Ai Weiwei weiterhin in keinem Museum ausstellen, seine Werke im Ausland aber sehr wohl zeigen. Das ist beinahe absurd: die Kunst darf reisen, der Künstler nicht. ins Ausland reisen ist ihm untersagt.

Der verbotene Blog. Sonderausgabe.
Herausgegeben von Lee Ambrozy. Mit zahlreichen Fotos des Künstlers.
Gebunden, 480 Seiten
Berlin: Galiani 2014

Zur Ausstellung Evidence hat der Galiani Verlag Ai Weieis Blog Macht euch keine Illusionen über mich in einer Sonderausgabe für 10 Euro neu aufgelegt. Fast vier Jahre lang hat Ai im Internet dokumentiert, was er in seiner Heimat erlebte und was er sich dazu dachte: SARS, Milchpulverskandal, Olympische Spiele, Korruption, Organhandel, der Umgang mit dem Gedenken an das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens.
Nach einem großen Erdbeben, bei dem 20.000 Menschen in eingestürzten Pfuschbauten starben, beginnt er – öffentlich und mit der Kamera in der Hand – nach den Verantwortlichen zu fragen und die Öffentlichkeit wachzurütteln. Zweimal wird er bei seinen Recherchen zusammengeschlagen. Sein Blog gewinnt an Wut – 2009 schreiten die Behörden ein, die Seite wird gesperrt, alle Einträge werden gelöscht. Eine geplante chinesische Buchausgabe wird zurückgezogen. Ai schweigt nicht, weicht auf die 120 Zeichen des Twitterdienstes aus. 2011 verhaftet man ihn unter fadenscheinigen Gründen. Einen Nachbau der Zelle, in der er an unbekannten Ort festgehalten wurde, hat Ai in der Berliner Ausstellung aufgebaut.
Die mit einem amerikanischen Verlag erarbeitete Buchausgabe des Blogs erschien 2011 erstamls in deutscher Sprache. Nun eine neue, preiswerte Sonderausgabe für alle die ihn noch nicht gelesen haben sollten. Der Kampf um Ai Weiweis Blog steht beispielhaft für den Kampf ums Internet in China. In seinen Texten sieht man einer Revolution beim Wachsen zu. Der Blog ist ein spannendes persönliches Zeugniss und ein Musterbeispiel für engagierte Literatur.
Zur Vor- oder Nachbereitung eines Besuches der Berliner Ausstellung sei Macht euch keine Illusionen über mich dringend empfohlen. Aber auch ohne die Ausstellung ist die Lektüre des Blogs mehr als anregend.