Finale in Klagenfurt – Nora Gomringer gewinnt Ingeborg-Bachmann-Preis 2015
Obwohl ich gestern noch ein wenig polemisiert habe, zog es mich heute doch wieder vor das TV-Gerät. Live aus Klagenfurt: kam die Preisverleihung zum Ingeborg-Bachmann-Preis 2015. Zunächst beschlich mich etwas Befremden über das lustig-absurd Tablet-Abstimmungs-Prozedere. Doch dann zeigte sich: das hat was. Geballte Frauenpower dominierte schließlich. Drei Autorinnen wurden mit vier Preisen geehrt. Alle drei übrigens gehörten zu meinen erklärten Favoritinnen. Eine kurze Würdigung der Preisträgerinnen und ihrer Texte.
Nora Gomringer gewinnt mit ihrem Text „Recherche“. Es ist ein atemberaubend konstruierte Collage aus Dialogen, Geräuschen und Gedanken, beinahe mehr Hörspiel als Prosatext. Ein Junge hat sich in einem Wohnhaus aus dem 5. Stock in den Tod gestürzt. Die Schriftstellerin Nora Bossong (sic!) versucht die Hintergründe der Selbsttötung zu ermitteln. Rasantes Tempo, wechselt mit langsamen nachdenklichen Passagen. Nora Gomringer kommt aus dem Poetry-Slam, weiß also wie vorgelesen werden muss und kann ihre Texte auf Wirkung trimmen. Das Publikum reagierte am ersten Tag mit lang anhaltendem Applaus. Fast zwangsläufig bemängelte die Jury dann auch den angezüchteten, hoch-performativen Charakter des Textes. Doch auch still gelesen überzeugt „Recherche“ und entwickelt einen unvergleichlichen Sog. (Hier nachzulesen.)
„Zweite Siegerin“ wurde Valerie Fritsch. Sie erhielt den KELAG-Preis für „Das Bein“. Einem alten Mann wird ein Bein amputiert, sein Sohn erkennt, dass der Vater bald Sterben wird. Die Prothese, den Ersatz, die Möglichkeit also doch weiterlaufen zu könen, weiterzuleben, lehnt der Vater vehement ab. Eine metaphernreiche Geschichte über die Vergänglichkeit, ein großes Tableau mit vielen literarischen Anspielungen und Zwischenebenen. Juror Klaus Kastberger bescheinigte Valerie Fritsch eine Kraft und das Potential, das „der gegenwärtigen Literatur einen möglichen Weg zeigt.“ Und: „Als Fritsch gelesen hat, war es so, als wäre Ingeborg Bachmann im Raum präsent.“
(Hier „Das Bein“ zum Download (PDF)) Zusätzlich wurde Valerie Fritsch auch mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. Schön zu sehen, dass auch komplexe und komplizierte Texte den Applaus der Massen erhalten. Qualität setzt sich durch.
„Dritte“ wurde Dana Grigorcea. „Das primäre Gefühl der Schuldigkeit“ erhält den 3Sat-Preis. Der Text rafft die Wende in Rumänien zusammen und projeziert den Umbruch auf die Erinnerung und die aktuelle Lebensgeschichte einer Frau in Budapest. Michael Jackson, Ceauscescu und sein Sexleben, das Farbfernsehen, Umbruch, Revolte und gegenwärtige Probleme des Balkans; alles wirbelt bunt durcheineinander und formt eine überbordende Satire. Bitterböse und komisch. (Hier nachzulesen.) Ein Text von dem man sich weitere 200 Seiten wünscht; das Potential hätte er.
Große Verliererin des Vormittages war Teresa Präauer mit ihrem Text „Oh, Schimmi“, in dem sich ein Mann zum Affen macht, im wahrsten Sinne des Wortes. In der ersten Abstimmungsrunde lag sie noch vorn, wurde dann aber in allen weiteren Stichwahlrunden „durchgereicht“. Das ist hart, aber so sind die Regeln. Ihren aberwitzigen Beitrag sollte man aber unbedingt lesen, er steht allen Siegerinnen-Texten in nichts nach. (Hier ist er zu finden.)
Klagenfurt 2015 ist Geschichte. Klagenfurt 2016 steht vor der Tür. Der Juryvorsitzende Hubert Winkels versprach, das Konzept weiter zu überdenken und abzustimmen, behutsam Neuerungen einzuführen. Vor allem sprach er sich dafür aus, auch im kommenden Jahr wieder alle Lesungen live im Fernsehen zu übertragen. Ein deutlicher Appell in Richtung ORF, dem sich viele begeisterte Zuschauer sicher anschließen werden. Tot ist der Bachmannpreis nicht, etwas Veränderung täte ihm mit Sicherheit gut. Laßt uns abwarten, was das kommende Jahr bringt.
Alle Lesungen, Texte, Jurydiskussioen und vieles mehr sind weiter verfügbar auf der Webseite zum Bachmannpreis 2015.
(Alle Fotos: Johannes Puch / ORF)