Nachnominiert: »Baron Wenckheims Rückkehr« | »Miami Punk« | »Schermanns Augen«
Nach längerer Pause läuft »lustauflesen.de« wieder an. Hier drei Titel, die ich quasi nachnominiere in der Kategorie: Drei ungewöhnliche Geschichten, ungewöhnlich erzählt.
Überlebenskampf im arktischen Eis – »Nordwasser« von Ian McGuire
Dieser Roman ist gnadenlos, blutig und unerbittlich. »Nordwasser« lässt nichts aus, was der Mensch seinem Mitmenschen antun kann. Auf der Folie eines Seefahrerromans aus dem 19. Jahrundert malt Ian McGuire ein unbarmherziges Bild unserer Zeit.
Im Gespräch: Bruno Preisendörfer über »Die Verwandlung der Dinge«
Walkman, Kofferradio, Taschenrechner, Faxgerät, Plattenspieler, Fernseher: was zu seiner Zeit das Gadget der Stunde ist, wird schon bald darauf zum Abfallprodukt. Wie sich die Dinge wandeln und mit ihnen unsere Vorstellungen, zeigt Bruno Preisendörfer in seinem informativen und unterhaltsamen Buch.
Dreimal Joshua Cohen und das Internet und das »Buch der Zahlen«
Der Schriftsteller Joshua Cohen hat einen Roman geschrieben, in dem ein Schriftsteller namens Joshua Cohen die Biografie eines Internetmoguls namens Joshua Cohen schreiben soll. »Buch der Zahlen« ist Autobiografie, Familiengeschichte, Ghostwriting für Anfänger, Silicon-Valley-Historie, internationaler Thriller, Sexkomödie und einiges mehr.
Panzerstau statt Blitzkrieg – »Die Tagesordnung« von Éric Vuillard
Mit »Die Tagesordnung« beweist sich Éric Vuillard einmal mehr als Meister einer verdichteten Geschichtsschreibung. Knapp 120 Seiten benötigt er, um den Aufstieg der Nationalsozialisten nachzuzeichnen und Mechanismen der Macht zu entlarven.
Der Traum vom besseren Menschen – »Ikarien« von Uwe Timm
Uwe Timms Ikarien erzählt, wie aus dem Geist des Sozialismus die Rassentheorie der Nazis geboren wurde. Im Mittelpunkt steht dabei Alfred Ploetz, der Begründer der Eugenik. Der Schriftsteller widmet sich damit seinem Lebensthema: der Nationalsozialismus und der eigenen Herkunft.
»Schrecklich amüsant …« – Mit David Foster Wallace auf Kreuzfahrt
Die Zeitschrift Harper’s schickt David Foster Wallace 1996 auf eine Karibik-Kreuzfahrt. Sein nüchternes Fazit: »Schrecklich amüsant – Aber in Zukunft ohne mich«. In der »Edition Büchergilde« feiert die süffisante Reportage, illustriert von Chrigel Farner, ein Comeback.
»Liebling, ich hab den Grimm geschrumpft!« – Eine Auswahl unbekannter Wortschönheiten
Von »Besuchsameise« über »Hummelhirn« bis »Probegeliebte«, im »Deutschen Wörterbuch« der Brüder Grimm tummeln sich wunderbare und entlegene Wörter. Peter Graf hat sich blätternd auf die Suche begegeben und eine Auswahl unbekannter Wortschönheiten getroffen. Herausgekommen ist ein lustiges, lexikalisches Lesebuch.
Schamanen und Bombenleger – »Dagny oder Ein Fest der Liebe« von Zurab Karumidze
Ein Interview mit dem georgischen Schriftsteller Zurab Karumidze. Sein postmoderner Roman »Dagny oder Ein Fest der Liebe« kreist um die reale Dagny Juel und ihre letzten Lebenstage in Tiflis. Das Schicksal einer starken Frau mischt sich mit der Geschichte Georgiens, seiner Kultur, seiner Märchen und Mythen.
Parship und Tinder im alten Rom – Ovid lehrt die »Liebeskunst«
Als die »Liebeskunst« um das Jahr Null unserer Zeit erschien, schlug sie ein wie eine Bombe. Ovid sorgte in Rom mit seinen frech-frivolen Versen für Furore. Wenig amüsiert zeigte sich der sittenstrenge Kaiser Augustus. Die »Liebeskunst« trug Mitschuld, dass der unliebsame Ovid in die Verbannung geschickt wurde.
Die »Ilias« von Homer in deutschen Versen – Ein Interview mit dem Übersetzer Kurt Steinmann
Die »Ilias« ist ein gewaltiges Schlachtengemälde in 15.500 Versen. Nun liegt das große Homer’sche Epos, einer der Urtexte der Weltliteratur, in einer neuen Versübertragung vor. Im Interview erläutert der Übersetzer und Philologe Kurt Steinmann seine Arbeit.
Ein Loblied auf den amerikanischen Traum – »Jack Engles Leben und Abenteuer« von Walt Whitman
Wer an sich glaubt, wer Recht und Gesetz achtet, Gottes Gebote befolgt und gute Freunde an seiner Seite hat, der kann es bis ganz nach oben schaffen. In »Jack Engles Leben und Abenteuer« feiert Walt Whitman die unverwüstliche Leitidee vom American Dream. Ein wiederentdeckter Roman.
Schweine und Salamander – »Die Hauptstadt« von Robert Menasse
Kaum einer kennt die Europäische Union so gut wie Robert Menasse. Mit »Die Hauptstadt« legt er einen der ersten Romane vor, die sich dieses politischen Themas annehmen. Er ist kämpferische Streitschrift und flammendes Plädoyer zugleich. Ein wichtiger Text zur Zeit.
Eine gewaltige Preußenphantasie – »Zeithain« von Michael Roes
Die Tragödie um Kronprinz Friedrich und seinem Freund Hans Hermann Katte gehört zu den tragenden Eckpfeilern des »Mythos Preußen«. Michael Roes erzählt sie in seinem opulenten Roman »Zeithain« aus der Sicht Kattes und als Hybrid aus historischer Recherche und psychologischer Studie.
Im Gestein – »wir leben hier, seit wir geboren sind« von Andreas Moster
Ein Fremder kommt in ein Bergdorf und nichts ist mehr so, wie es bislang war. Dieser Debütroman ist ein veritabler Paukenschlag. »wir leben hier, seit wir geboren sind« entfaltet auf engstem Raum ein düsteres, archaisches Drama voller Gewalt, Kraft und Wucht.
Der weiße Lynchmob zieht durchs Land – »Underground Railroad« von Colson Whitehead
Der Roman erzählt die Odysse der Sklavin Cora, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts von einer Farm in Georgia flieht. Colson Whitehead verbindet Realismus mit Phantastik und Magie. Hier ist die Wahrheit ist immer mehr als die Summe historischer Fakten.
Wasser ist (Über)Lebensmittel – »Ein guter Mensch« von Jürgen Bauer
Politischer Thriller, Endzeitvision, kluger Kommentar zur europäischen Mentalität, Drama menschlicher Schwäche im Angesicht der Krise. »Ein guter Mensch« von Jürgen Bauer ist raffiniert konstruiert und klug geschrieben. Was passiert, wenn das Wasser knapp wird?
Eine Familienaufstellung – »Willkommen in Amerika« von Linda Boström Knausgård
Linda Boström Knausgård läßt ihre 11-jährige Icherzählerin Ellen eine komplexe Familienaufstellung durchspielen. Der kurze, intensive Monologroman entwickelt sich zu einem unsentimentalen Psychogramm, das die dunklen und hellen Momente eines jungen Lebens spiegelt.
Ein Buch ist ein Buch ist ein Buch – Zur Ergonomie der Lesemaschine
Ein Buch ist mehr als nur ein Text. Ein Buch ist Gebrauchsgegenstand, Kulturgut und Kunstobjekt. Roland Reuß hat sich Gedanken gemacht über die Ergonomie des Buches. Was muss es besitzen und können, um uns als perfekte Lesemaschine zu dienen.
Helden auf dem Fußballacker – »Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten« von J. L. Carr
Nach dem Erfolg von »Ein Sommer auf dem Land«, schenkt uns Dumont einen weiteren heiter-besinnlichen Roman des Briten J. L. Carr. Diesmal geht es um Fußballplätze, den Triumph des Kleinen über die Großen und um die Vergänglichkeit des Ruhms.
Ein Lob auf die Unvernunft der Kunst – »Kassel: eine Fiktion« von Enrique Vila-Matas
Mit »Kassel: eine Fiktion« kommentiert Enrique Vila-Matas die documenta (13), die Kunst an sich und die Stellung der Literatur. Der Roman ist geistreiche Sinnestäuschung und Plädoyer für die Kraft und Unvernunft der Kunst in Zeiten technokratischer Zahlenlogik.