Im Gespräch: Bruno Preisendörfer über »Die Verwandlung der Dinge«
Alle heben jetzt bitte die Hände, die noch Mixtapes auf dem Walkman gehört, Telefone mit Wählscheibe genutzt, sich am Samstag mit der Familie vor dem TV-Empfänger versammelt, Referate auf Schreibmaschinen getippt oder mit dem Rechenschieber Matheaufgaben bewältigt haben. O.K., einige Hände recken sich in die Höhe. Ihr habt ein gewisses Alter, gell?! Allen Anderen rufen wir zu: »Nein, früher war nicht alles besser! Es war einfach nur anders!«
Der Publizist und Schriftsteller Bruno Preisendörfer hat in der Schule noch mit Griffel und Schiefertafel seine ersten ABC-Übungen bewältigt, und die ersten Telefongespräche seines Lebens führte er am Apparat der Nachbarn und auch nur, wenn eminent=wichtige Informationen zu übermitteln waren. In seinem jüngsten Buch widmet sich Preisendörfer der Verwandlung der Dinge. Das Buch bietet eine informative und, das ist entscheidend, höchst unterhaltsame Zeitreise durch die vergangenen sechs Jahrzehnte. Preisendörfer zeigt, wie sich der Medienkonsum, die Techniken der Kommunikation und die Geschwindigkeiten von Produktionszyklen verändert haben. Dass und wie im Lauf eines Lebens auch die Wahrnehmung dessen variiert, verdeutlicht das als Motto dem Buch vorangestellte Zitat von Douglas Adams:
1. Alles, was es schon gibt, wenn du auf die Welt kommst, ist normal und üblich und gehört zum selbstverständlichen Funktionieren der Welt dazu.
2. Alles, was zwischen deinem 15. und 35. Lebensjahr erfunden wird, ist neu, aufregend und revolutionär […].
3. Alles, was nach deinem 35. Lebensjahr erfunden wird, richtet sich gegen die natürliche Ordnung der Dinge.
_DOUGLAS ADAMS
Ich habe mit Bruno Preisendörfer über Die Verwandlung der Dinge gesprochen
Herr Preisendörfer, nach kulturhistorischen Ausflügen in die Goethe- und die Lutherzeit (Als Deutschland noch nicht Deutschland war (Link zum Verlag) & Als unser Deutsch erfunden wurde (Link zum Verlag)) nehmen Sie die Leser nun mit auf eine dritte Zeitreise. Die Verwandlung der Dinge behandelt die Jahrzehnte von den 1950er Jahren bis heute, bleibt damit anders als bei den vorherigen Titeln nahe an der Gegenwart. Wie hängen die Bücher zusammen?
Nein, Die Verwandlung der Dinge habe ich nicht als Teil der Reihe konzeptioniert. Dann hätte es auch einen anderen Titel bekommen. Als direktes Nachfolgeprojekt zu Goethe und Luther plane ich ein Buch, das sich mit der Zeit Johann Sebastian Bachs beschäftigt und mit vielen zeitgenössischen Zitaten und Quellen die damaligen Lebensverhältnisse beschreibt. Die Verwandlung der Dinge heißt zwar auch Zeitreise, vielleicht weil der Verlag mit dem Etikett am Markt andocken möchte, aber es ist sowohl von der textlichen Gestaltung, als auch vom inner-organisatorischen Aufbau etwas ganz anderes. Thematisch ist es sehr lebensnah, beinahe autobiographisch, wenn sie so wollen. Entlang meiner eigenen Lebensgeschichte, ich bin Jahrgang 1957, konzentriere ich mich auf die Geschichte bestimmter, vor allem medialer, Objekte wie Telefon, Fernsehen, Radio, Ton- Bildträgern wie VHS-Kassette und Schallplatte bis hin zu digitalen Geräten, wie Computer und Mp3-Player.
Viele Leser werden die Lektüre dieses Buch zwangsläufig mit eigenen Erfahrungen bereichern, den Text mit der eigenen Biographie abgleichen. Sie beschreiben schließlich Objekte und Entwicklungen, die wir alle kennen und durchlaufen haben. Sehen Sie das eher als Risiko oder als Gewinn?
Das ist klar ein Gewinn und so gewollt. Das Buch lebt davon, dass die „ältere Generation“ denkt; Mensch das kenn ich doch, bei mir war es genauso oder ganz anders, also den Text auffüllt und ergänzt. Deshalb war es mir auch wichtig, in den Bewertungen nicht nur meine eigene Schneise zu schlagen, sondern sehr breit aufgestellt zu sein, Raum zu lassen, den Leser dann mit Erinnerungen und Erfahrungen füllen können. Andererseits besteht die Hoffnung, dass jüngere Menschen sagen: Ach Wahnsinn, was war denn das, wie hat das denn funktioniert. Mich hat z.B. ein 11-jähriger Junge gefragt: Wie seid ihr denn ins Internet gekommen, als es noch keine Computer zuhause gab? Das Buch ist ein Spiel mit den Dimensionen der eigenen Erinnerung und dem Erstaunen über eine Zeit, die noch gar nicht so lange zurückliegt.
Haben Sie sich im eigenen Heim auf die Suche begeben und in alten Kisten, Kästen oder Schubladen gezielt nach Dingen gesucht, die von Vergangenheit und Vergänglichkeit Zeugnis ablegen könnten?
Ja und zwar länger als ursprünglich beabsichtigt. Meine Schreib- und Arbeitsstube, die ich mir in Berlin eingerichtet habe, ist natürlich vollgestopft mit Büchern, darüber auf dem Dachboden habe ich einen Raum angemietet, den ich großzügig Archiv nenne. Neben Dokumenten, Belegen, Zeitschriften, Zeitungsausschnitten und anderem lagert dort alles, was ich irgendwie nicht mehr benötigt habe und das neben dem Schreibtisch gestört hat: alte CD-Player, ein Plattenspieler von Dual und vieles mehr. Aber auch Gegenstände, die ich bewußt nicht weggeschmissen habe, wie zum Beispiel Rechenschieber oder meinen ersten Taschenrechner. Eine wunderbare Maschine, die damals wahnsinnig viel Geld gekostet hat, 350 Mark hab ich in den 1970ern bezahlt, und das Gerät beherrschte lediglich die Grundrechenfunktionen. Prozentrechnen war schon Luxus. Ich hab das Ding Jahrzehnte buchstäblich in der Kiste beerdigt. Wenn man das wieder ausbuddelt und in die Hand nimmt, wird einem ganz plümerant.
Es fällt auf, dass in ihrem Text die Ironie eine wichtige Rolle einnimmt, also die Fähigkeit, im Rückblick über sich selbst lachen zu können. Ist das beim Schreiben erwachsen oder war das von vorneherein Ihre Haltung?
Selbstironie ist ein Grundsatz für das Verhältnis von mir zur Welt. Menschen ohne Selbstironie können sich selbst im Kontext mit der Welt niemals richtig begreifen, weil sie nicht von sich selber zurücktreten können. Das eigene Gebaren, auch im Umgang mit Medien, auf die Schippe zu nehmen, ist eine Gabe über die sie verfügen müssen. Nur wenn sie alles auch auf sich zurückfedern, können sie sich erlauben, auch die Verrücktheit der anderen zu belächeln. Ich kann mich leichter über den Kult ums iPhone anderer lustig machen, wenn ich mich gleichzeitig darüber lustig mache, dass ich alternder Neantertaler mit einem Handy herumlaufe, das nicht mal mailen kann. Wenn sie nur herumpoltern, dann führt das zu einem billigen „Früher-war-alles-besser“-Quatsch.
Allerdings haben früher viele Dinge durch eine gewisse Langsamkeit und eine deutlich geringere Komplexizität mehr Freiraum zum Leben gelassen, oder?!
Davon halte ich nix. Das ist mir zu kurz gedacht. Die Zeit ist die Zeit, die wir haben. Wenn Sie zwei Schritte weiterdenken, dann brechen solche illusoniere Perspektivenverengungen sofort zusammen. Außerdem sind diese Positionen oft verbunden mit einer verkitschten Haltung zum Leben. Vor Jahrzehnten, als ich noch als Journalist gearbeitet habe, besuchte ich im Literaturhaus Berlin eine Veranstaltung mit dem damaligen Vorsitzende der Stiftung Lesen, Hilmar Hoffmann, dem legendären Kulturderzenenten der Stadt Frankfurt, falls sich Jüngere nicht mehr erinnern sollten, und dem Bahnchef Heinz Dürr. Es ging um Literatur und Lesen, und der Bahnchef hat ellenlang über Sten Nadolnys wunderbares Buch Die Entdeckung der Langsamkeit schwadroniert. Alle fanden das beeindruckend; nur ich fand das unerhört, da redet ein Bahnchef von seiner Lust zur Langsamkeit, anstatt dafür zu sorgen, dass seine Züge schnell fahren und pünktlich ankommen. Was ich damit sagen will ist: solche Ausprüche sind selten mehr als sentimentales Gequatsche
Einen gewissen sentimentalen Zug hat ihr Buch aber trotzdem.
Das ist eine Alterserscheinung, eine Alterswehmut. Aber auch die sollte niemand eins zu eins ernst nehmen. Gleich zu Beginn des Buches setzte ich bewusst eine Marke, wenn ich sage: Früher war eben nicht alles besser. Umgekehrt liege ich auch nicht auf dem Bauch vor jeder Neuerung und allem, was jung und schnell ist. Das wäre genau so falsch. Unsere jüngere Kulturgeschichte, genauer Kulturgeschichte allgemein, derart unterkomplex zu betrachten, finde ich intellektuell langweilig. Was sich runterbeugt auf gedankliche Parolen und parolenhafte Gedanken, stößt mich geistig ab.
Könnten sie sich vorstellen, in 30 Jahren nochmal ein Buch dieser Art zu schreiben. Über Dinge, die wir jetzt ganz großartig und innovativ finden und die gleichzeitig schon jetzt dem Schrottplatz der Geschichte gewidmet sind?
Ob sich das lohnt, muss die Zeit beweisen. Ich bin im vergangenen Jahr 60 geworden. 30 Jahre in die Zukunft vorauszudenken mag ich lieber nicht. Die kommenden zwei, drei Jahre sind fest für mein Buch über Bach eingeplant. Was dann kommt? Schaun mer mal!
Nicht Nostalgie oder Skepzis, sondern lediglich Neugier treibt Preisendörfer an. Der Blick richtet sich keinesfalls einfach nur sentimental zurück, ebenso wenig fortschrittsgläubig nach vorne. Das Gerüst seiner subjektiven, autobiographischen Erzählung reichert Preisendörfer an mit objektiven Fakten aus ein Vielzahl unterschiedlicher Quellen wie Prospekten, Werbung, Zeitungsartikeln, Statistiken und Wirtschaftsberichten.
Einen belehrenden oder gar bekehrenden Zeigefinger hebt Bruno Preisendörfer nicht, er unterhält. Und (s)ein unnachahmlicher Stil aus klarer Informationsvermittlung und ironischem Kommentar bereitet großen Genuss.
Eine Zeitreise von 1950 bis morgen
Gebunden, 272 Seiten
Berlin: Galiani Berlin 2018
Mehr Informationen und eine Leseprobe auf der Webseite des Verlages
Bildnachweis: Telefon mit Wählscheibe (ca. 1965) | Foto: Alexa | Quelle: pixabay.com