Wasser ist (Über)Lebensmittel – »Ein guter Mensch« von Jürgen Bauer
Wenn das Wasser versiegt, stirbt alles Leben und mit ihm der Mensch. Wasser ist Lebensmittel, Ressource und Ware. Wasser ist (Über)Lebensmittel. Jürgen Bauer spielt in seinem neuen Roman Ein guter Mensch eine bestrickend einfache, aber zugleich höchst beklemmende Vision durch. Was passiert, wenn das Wasser knapp wird, wenn Hitzewellen das Land ausdörren, wenn Regen ausbleibt; nicht fern von uns, nicht in den Dürreregionen Afrikas, nicht in den Wüsten des Nahen Ostens, sondern hier in Zentraleuropa.
Marko Draxler und Gabriel Berger sind LKW-Fahrer. Mit großen Tankwagen bringen sie Wasser dorthin, wo es fehlt. Das Land liegt unter sengender Sonne, auf den Äckern wächst nur noch Staub, die Städte glühen. Buschbrände wüten rings um die Stadt, nähren sich von den letzten Resten organischer Natur und entflammbarer Zivilisation. Wer Geld hat, ist längst in den Norden geflüchtet. Aus dem Süden kommen die Durstigen, zu tausenden werden sie in Lager gepfercht, hausen in aufgestapelten Überseecontainern. Verzweifelt schneiden sich einige die Pulsadern bis zum Ellenbogen auf, damit sie ins Krankenhaus kommen, zumindest für einen Tag. Dort gibt es Wasser. Marko und Berger liefern es.
Jürgen Bauer entwirft ein glaubwürdiges Szenario und dekliniert es intelligent durch. Er nennt weder exakte Jahreszahlen, noch konkrete Orte, es könnte bald passieren, in nächster Zukunft, oder erst in zwei, drei Jahrzehnten. Die Stadt könnte jede Stadt sein. Das macht die Geschichte realistisch und bedrohlich. Über allem liegt Gestank und Verzweiflung. Aus dem Radio tönen markige Durchhalteparolen, auch das politische System liegt am Boden und die zentrale Wasserversorgung funktioniert eher schlecht als recht, denn das System der Tanklaster ist auch korrupt.
Doch ist die Wasserknappheit real? Die Bewegung »Dritte Welle« bezweifelt das. »Verschwende dein Wasser. Es gibt genug!« lautet ihre Parole. Immer mehr Menschen schließen sich der Gruppe an, die in ihren bizarren Aktionen dekadente Verschwendung und bukolisches Feiern propagiert. Auch Berger läuft irgendwann über.
Ganz anders Marko. Er hat in seinem Leben stets verloren. Erst verließen ihn die Eltern, ohne Gründe zu nennen waren sie einfach weg, ließen Marko und seinen Bruder auf dem Bauernhof zurück. Jetzt ist das Vieh tot, die Felder sind kahl und Norbert, Markos älterer Bruder, vegetiert als alkoholkrankes Wrack auf dem verotteten Hof vor sich hin. Nur bösartiger Zynismus hält ihn noch am Leben. Auch Nehir ist fort, Markos Ehefrau, sie zog in den Süden, nicht nur, um ihren Eltern zu helfen. Marko glaubt dennoch an das Gute im Menschen, glaubt, dass er helfen kann, dass seine Arbeit sinnvoll ist.
Wann ist der Mensch gut? Wenn er sich den Spielregeln unterordnet, wer immer sie auch aufstellt, oder wenn er rebelliert und aufbegehrt gegen die verortneten Verhältnisse? Ist er erst dann gut, wenn er endlich aufbricht, um seinen Frieden und seine inneres Gleichgewicht zu finden? Wie jeder selbst die richtige Antwort auf diese Fragen finden muss, verhandelt Jürgen Bauer im Kern seines Romanes. Dazu dient ihm die alte Clique von Marko, zu der auch Berger und Norbert gehören. Bei ihren sporadischen Treffen am Waldrand oder am ausgedorrten Flussbett unter der Autobahnbrücke, werden Markos Freunde wahlweise als Profiteure, Mitläufer, Resignierte oder Aufbegehrende entlarvt. Grundlegende Konflikte entlang einer zunehmend heterogen, auseinanderfallenden Gruppe zu präsentieren, mag ein konventioneller, erzählerischer Kniff sein, aber in Ein guter Mensch haut er hin.
Der Roman funktioniert, weil Bauer seine Erzählung auf das Nötigste reduziert und verdichtet und weil er die Fallgruben konventioneller Dystopien weitestgehend meidet. Er evoziert beklemmende Stimmungen, ohne umständlich zu erklären, die Dialoge sind hart und ehrlich, die Szenen schnell geschnitten, die Bilder drastisch und mitunter sehr brutal. Die erzählte Zeit beträgt ein knappes halbes Jahr, und da die vier Kapitel die Entwicklung nur in Ausschnitten von je zwei Tagen beleuchten, ist der Leser zur Mitarbeit gezwungen, er muss zwangsläufig als Komplize des Erzählers einige Auslassungen füllen. Das benötigte Material dazu steckt zwischen den Zeilen, Absätzen und Kapiteln.
Bald ist dem Leser klar, dass die Wasserknappheit in Folge der unerträglichen Hitzewellen (auch) eine große Metapher ist, pars pro toto steht für viele Ungleichheiten und Ungleichgewichte in Politik und Gesellschaft. Der sich im Hintergrund erhebende, kleine moralische Zeigefinger ist verzeihlich, denn das Bild vom (Über)Lebensmittel Wasser ist alles in allem gut gewählt. Wenn uns ein als selbstverständlich hingenommenes, vermeintlich ständig verfügbares Gut genommen wird, dann hat das letztlich tödliche Konsequenzen. Aus denen folgt alles andere. Egal wie die Krise heißt, die Symptome sind nämlich: das Nervenkostüm wird dünn, der Charakter verkriecht sich in dunkle Ecken und die Menschlichkeit fliegt über Bord.
Am Ende steht eine apokalyptisch anmutende Massenszene, in der die aufgestaute Agression und die Hitze den Kessel des sozialen und politischen Notstandes zum Explodieren bringt. Der Höhepunkt der Krise markiert den Wendepunkt für Marko. Auch er macht sich schuldig: »Ich bin doch trotzdem ein guter Mensch? – Klar sind wir doch alle.«
Politischer Thriller, Endzeitvision, kluger Kommentar zur europäischen Mentalität, Drama menschlicher Schwäche im Angesicht der Krise. Ein guter Mensch von Jürgen Bauer ist raffiniert konstruiert, klug geschrieben. Der Roman besitzt Wucht und Tiefgang, gerade weil er sich erzählerisch auf das Notwendigste beschränkt und auf Spekulation und Krafthuberei verzichtet.
Roman
Gebunden, 224 Seiten
Wien: Septime Verlag 2017
Mehr Informationen und eine Leseprobe auf der Webseite des Verlages
Titelbild: Foto von Dom Gould | Quelle: pexels.com