Wie das so ist – »Schlachthof 5« von Kurt Vonnegut
Vonneguts Roman klemmt sich quer gegen die Mechanismen der Literatur, es kracht und quietscht im Getriebe. Gregor Hens hat diesen tragisch-grotesken Antikriegsklassiker und ironisch-lakonischen Gesellschaftsroman, dieses Meisterwerk der psychedelisch-postmodernen Literatur neu übersetzt.
Harter Alltag unter weitem Himmel – Virtuose Stories von Callan Wink
Diese »Stories« zeigen das ungeschminkte Antlitz des Lebens, das, was wir gerne übersehen oder vor dem wir uns aus Angst abwenden. Callan Wink erzählt direkt, hart und schnörkellos, zeigt Aussenseiter, Verlierer und Menschen, die ihre Träume verloren haben, aber weiterleben. Weil es keine Alternative zum Weiterleben gibt.
Gurken, Zeitblasen und Relativität
Ein Gespräch mit John Wray über seinen aberwitzigen Roman »Das Geheimnis der verlorenen Zeit«. Das Buch ist Jahrhundertpanorama auf zwei Kontinenten, Familiensaga, Science Fiction, psychologischer Roman und ein Trip in die vierte Dimension; atemberaubend schnell und witzig.
Kind sein im Kanzlerbungalow – »Raumpatrouille« von Matthias Brandt
Der Schauspieler Matthias Brandt legt mit »Raumpatrouille« autobiographische Geschichten vor. Er kann schreiben und legt in seine Kindheitserinnerungen sehr viel Wahrhaftigkeit. Diese gelungenen Erzählungen sind auch jenseits des Kanzlerbungalows gültig.
Schneidermann ist der Jude der Musik und die Musik ist der Jude der Kunst – Sagt Schneidermann
Joshua Cohen hat mit »Solo für Schneidermann« ein grandioses Meisterwerk vorgelegt und Ulrich Blumenbach hat es meisterhaft ins Deutsche übertragen. Ein aberwitziger und bitterböser Abgesang auf unsere Kultur, eine Wutrede auf den Untergang der Kunst, ein Kaddish für die Menschlichkeit.
O, schwöre nicht beim Mond, dem Wandelbaren – Ein Lunarium von Joachim Kalka
Er ist der Himmelskörper, der uns am nächsten steht, der Mond. Projektionsfläche für Sehnsüchte und Ängste, lockend und gehimnisvoll, ein wandelbares Wesen. In Literatur und Kulturgeschichte hat der Mond viele Spuren gezogen. Joachim Kalka geht ihnen in seinem wundervollen Essay nach.
Als der Buchpreis am Ortler zerschellte – Eine Entschuldigung und zwei Kurzkritiken
Als Buchpreisblogger bin ich wenig aktiv gewesen. Eine Pressereise und ein privater Urlaub bremsten mich aus. Hier nun zwei (erste) Kurzkritiken zu den Titeln von Anna Weidenholzer und Bodo Kirchhoff, sowie eine kleine Entschuldigung, die aber nichts wirklich entschuldigt.
Polderpoesie – Junge Lyrik aus Flandern und den Niederlanden
Polder sind typische Landschaften Flanderns und der Niederlande. Polder sind neues Land, das dem Meer abgerungen wurde. Auch die Anthologie Polderpoesie schafft Neuland und stellt junge Lyrikerinnen und Lyriker zweisprachig auf Niederländisch und Deutsch vor.
Im Gedärm des nordischen Riesen – »Ymir« von Philip Krömer
Dieser Roman ist vieles, nur eins nicht, langweilig. Krömers »Ymir« ist gleichermaßen ironischer Kommentar auf das Genre des klassichen Abenteuerromans als auch postpostmoderne Variante desselben. Eine ebenso meisterhafte wie durchgeknallte Reise durch nordische Mythologie, okkulte Nazi-Esoterik, Unterwelten und Hohlerden.
Alle sind liebenswert meschugge – »Das Unglück anderer Leute« von Nele Pollatschek
Was passiert, wenn alle in deiner Familie irgendwie meschugge, also im liebenswerten Sinne bekloppt sind? Dann musst du dich auf einiges gefasst machen. Thene, die Heldin in Nele Pollatscheks überkandidelten und komischen Debütroman »Das Unglück anderer Leute«, kann davon ein Lied singen.
merk=würdig (XI) – Notizen zu einer Relektüre von »Berlin Alexanderplatz«
Die Geschichte vom Franz Biberkopf gilt als eines der Gründungsdokumente der literarischen Moderne. Er ist ein bedeutender Großstadtroman und DER Berlinroman schlechthin. Jede Relektüre dieses expressiven Meisterwerkes belohnt mit neuen Einsichten.
Krieg und Leben als totale Simulation – »Binde zwei Vögel zusammen« von Isabelle Lehn
Albert läßt sich als Statist für ein Trainingscamp casten und spielt für Afghanistansoldaten einen Zivilisten in einem künstlichen Dorf. Nach seiner Rückkehr kann er die Simulation nicht mehr abstreifen. Reales und künstliches Ich verschmelzen zu einem Zwitterwesen. Der Roman eines Kontrollverlustes.
merk=würdig (X) – Und über dem Dümmer thront Pocahontas
In der losen Artikelreihe »merk=würdig« wird diesmal das Vorurteil aus dem Weg geräumt, Arno Schmidt sei unlesbar. Den Beweis liefert die von Felix Scheinberger stimmig illustrierte Ausgabe der schönen Liebesgeschichte »Seelandschaft mit Pocahontas«.
Faust versus Rothko – »Duell« von Joost Zwagerman
Wann trickst und täuscht die Kunst? Wann ist sie hehr und wahrhaftig? Joost Zwagerman nimmt in seiner rasanten Novelle den »Kunstbetrieb« aufs Korn. Der wertorientierte Kunstkult und seine kalten Manager werden hier verteufelt komisch ad absurdum geführt.
Ein Mann mit Hut und fehlendem Knopf – »Stilübungen« von Raymond Queneau
Eine erweiterte und vollständig neu übersetzte Ausgabe der »Stilübungen«. Raymond Queneau spielt darin mit Regeln der Sprache und zeigt ihre Macht und Möglichkeiten. Eine urkomische und zugleich tiefernste Hommage an die Literatur, die virtuos zwischen Nonsens und Polemik hin- und herpendelt.
Auf dem Berg im goldenen Käfig – »Wir & ich« von Saskia de Coster
Die Familie als Reaktor; Vater, Mutter, Kind sind drei Brennelemente kurz vorm Heißlaufen. Saskia des Coster zeigt, dass materielle Sicherheit und ein goldenes Heim nicht alles sind. Leben heißt, Ungewissheiten hinzunehmen und Verletzungen zu ertragen und zu meistern.
merk=würdig (IX) – Das Böse flackert auf der Leinwand
»Schattenlichter« von Theodore Roszak ist ein intelligenter und spannender Weltverschwörungsroman. Roszak läßt die Kraft des Kinos in die »unterirdische Dimension des Bewusstseins« vordringen. In der Reihe »merk=würdig« erinnere ich an den Roman, dessen deutsche Erstausgabe 2005 leider unterging.
Wo der Kommunismus funktioniert – Ab in den Wald!
Stellen Sie sich vor, Ihnen begegnet in freier Wildbahn eine Herde Elefanten. Wären Sie überwältigt vom Anblick der majestätischen Tiere? Genau so können Sie sich in einem stinknormalen, gesunden Wald fühlen, sagt Peter Wohlleben. Seine Idee überzeugt ohne Ökokitsch, dafür mit packenden Tatsachen.
Ackerfurchen in rotem Lehm – »Szenen aus Schottland« von James Leslie Mitchell
Schottland ohne Dudelsack und Tartankaros. Schottland ohne Folklore. Mitchell beschreibt den Überlebenskampf hart arbeitender Menschen in einer harten, kargen Landschaft. So schwer die Entbehrungen sind, die Mitchel schildert, so grenzenlos ist seine Liebe zu Land und Leuten.
Die Eroberung der Welt mit gewetzten Messern – Die Verschwörung der Tauben
Ein raffiniert konstruierter Roman über die Verfügbarkeit und Verführbarkeit von Menschen im galoppierenden System des modernen Finanzkapitalismus. Am Punkt, an dem Investition und Rendite alles bestimmen, wird Verrat zum letzten Mittel im Überlebenskampf. Eine ebenso verstörende wie erhellende Lektüre.
Rasenballsport in Frankreich – Mit Roland Barthes in der Halbzeitpause auf den Turm
Der Eiffelturm ist Symbol und Zeichen, steht für Paris und Frankreich wie kaum ein anderes Bauwerk. Auch während der Fußball-EM bedienen sich alle seiner Leuchtkraft. Warum also nicht in der Halbzeitpause das 1.000 Fuß hohe Monument aus Eisen besteigen; mit Roland Barthes als Begleiter.