Harter Alltag unter weitem Himmel – Virtuose Stories von Callan Wink
Ein Mann läuft durch die Wüste, er ist nackt und es ist Nacht. Ihn verfolgen zwei bewaffnete Männer auf Quads. Sie wollen ihren Hund zurück. Diesen Hund hat der Flüchtende nicht gestohlen, sondern nur befreit. Mit Hund Lauf Mond eröffnet Callan Wink seinen Band Stories und bereits mit den ersten Zeilen packt er uns. Aufhören zu lesen, bevor es zu Ende ist? Unmöglich. In neun kurzen Geschichten seziert Wink mit präzisen Schnitten jeweils ein Leben. Alle Stories spielen in Montana, dort wo das Land weit ist, der Lebenstraum groß und das Geld immer knapp.

Winks Figuren sind Außenseiter, Verlierer, Menschen, die enttäuscht sind und ihre Träume aus den Augen verloren oder aufgegeben haben. Sie stecken in Sackgassen des Lebens, ohne genau zu wissen wie sie dahinein geraten konnten und sie treffen, getrieben von Sehnsucht und Verlangen, Entscheidungen, die sie selbst nicht wirklich verstehen. Aber sie geben nicht auf, sie machen weiter, weil es für sie zum weitermachen keine Alternative gibt. Mögen die Tücken des Lebens noch so vertrackt und das Gewicht des Ererbten noch so schwer sein.
Callan Wink, geboren 1984, arbeitet seit seinem 19. Lebensjahr als Fly Fishing Guide am Yellowstone River. Das Schreiben sei Gegengewicht zur Arbeit in der freien Natur und den Angeltouren mit seinen Kunden, sagt er. Im Frühjahr, Sommer und Herbst sei er draußen, unter Menschen, im Winter sitze er einsam am Schreibtisch, eine Lebensteilung halb-und-halb, denn die Winter in Montana seien lang. Seit Jahren bereits schwitzt Wink über einem großen Roman, in den Pausen, die dieses Unterfangen nötigt, entstehen die Kurzgeschichten. Keine Exposition, kein breiter Mittelbauch, keine komplexen Bögen und Wendungen. Wink experimentiert mit dem hohen Erzähltempo dieser kurzen Momentaufnahmen und erzielt überraschende Resultate.
Der junge, überaus talentierte Autor steht am Beginn einer Karriere und ist bereits jetzt ein Großer. Bunten Budenzauber hat er nicht nötig, auf verspielte Manierismen verzichtet er souverän. Beim ihm ist alles straight foreward. Atemberaubend beweist er sprachliche Meisterschaft und überragend ist seine Sicherheit der Charakterzeichnung. Hier stimmen alle Töne und Klangfarben, ohne dass dick aufgetragen wird. Schnörkellos und glasklar ist Winks Sprache. Sie schlägt direkt und brutal zu, um im nächsten Moment wieder empathisch und zärtlich zu werden. Wink stellt seine Protagonisten nicht bloß, sondern begleitet sie mit Hingabe und Verständnis. Folglich liebt sie auch der Leser, begleitet sie gern, selbst dann, wenn sie am Ende der Fahnenstange angekommen sind und nur noch über den Schmerz ihres Daseins heulen können.
Es sind Lebensepisoden, reduziert auf eine bestimmte Idee, einen Witz, einen Moment, einem Schicksalsschlag oder eine herzzerreißende Erkenntnis. Die Figuren nisten sich in die Gedanken der Leserinnen und Leser ein, sind noch lange nach der Lektüre bei uns. Es sind ganz unterschiedliche Männer und Frauen, junge wie alte, und alle kommen sie uns nahe.
Der längste Text in Der letzte beste Ort ist Im Nachhinein. Darin erzählt Wink das Leben einer Frau namens Lauren. Zu Beginn ist sie Anfang fünfzig und lebt auf einer einsamen Farm mit sechs Rindern, die ständig ausbrechen. Nach der Eröffnung springt die Geschichte in der Zeit zurück, zeigt Lauren als junge Frau und erzählt welche Wendepunkte im Leben sie auf die Farm mit den störrischen, aber geliebten Rindern geführt hat. Am Ende dann der Sprung nach vorn. Lauren ist Mitte sechzig, hat ihr Leben gelebt und das letzte verbliebene Rind steht einfach nur noch da. Nach funkelnden Stories ein wahrhaftes Juwel einer Novelle. Wink beweist, dass er auch jenseits der kurzen Form von 20 bis 30 Seiten reüssiert und nach Im Nachhinein traut man ihm ohne weiteres auch den großen Roamn zu.
Mit Der letzte beste Ort schenkt Callan Wink seinen Lesern feinste Literatur und ein großes Versprechen auf mehr. Er selbst bürdet sich freilich eine schwere Hypothek auf. Künftige Werke müssen sich am brillanten story telling und an der sprachlichen Perfektion der Geschichten in diesem Band messen lassen. Kein leichtes Unterfangen für den Autor. Die Latte liegt jetzt sehr, sehr hoch.

Stories
Aus dem amerikanischen Englisch von Hannes Meyer
Gebunden, 281 Seiten
Berlin: Suhrkamp Verlag 2016
Mehr Informationen zum Buch und eine Leseprobe auf der Webseite des Verlages
Titelbild: Foto von Sidi-Omar Alami | Quelle: StockSnap