Wie das so ist – »Schlachthof 5« von Kurt Vonnegut
Dieser Roman / ist ein wenig im Stil / der telegraphisch-schizophrenen Geschichten / des Planeten Tralfamador gehalten, / wo die fliegenden Untertassen herkommen. / Peace.
Kurt Vonneguts Roman Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug ist 1969 in den USA erschienen, er brachte dem bis dahin leidlich bekannten Autor endlich reichlich Anerkennung. Ein Jahr darauf erschien die erste deutsche Ausgabe im Verlag Hoffmann und Campe, die Übersetzung besorgte damals Kurt Wagenseil. Literarische Übersetzungen sind stets Zeugnis und Ausdruck ihrer jeweiligen Epoche und benötigen Revision. Die erfährt Schlachthof 5 nachdem nahezu ein halbes Jahrhundert ins Land gezogen ist. Gregor Hens hat den psychedelischen Antikriegs-, Gesellschafts- und Science-Fiction-Roman vollständig neu übertragen.
Um zu beurteilen, ob Hens eine gelungen Arbeit abgeliefert hat, ist zunächst ein genauerer Blick auf den Roman notwendig, der sich mit gewagter Konstruktion und vielfältiger Stilistik heftig gegen eindeutige Kategorien und Kriterien sträubt. Nur vordergründig erzählt Vonnegut eine ironische Anti-Kriegssatire, in der Billy Pilgrim als Kriegsgefangener die Bombardierung Dresdens im Februar 1945 und das darauffolgende Kriegsende erlebt und in die der Autor seine eigenen Erlebnisse als junger US-Soldat in Dresden verarbeitet hat.
Neben der bitterbösen Schilderung von Krieg und Gewalt und der psychischen Deformation, die Billy Pilgrim erfährt, erzählt Vonnegut in erster Linie eine Geschichte, in der sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft überlagern und durchdringen. Erlebtes, richtig und falsch Erinnertes und Geträumtes vermischen sich untrennbar. Phantasie und Realität geraten durcheinander. Ein Amalgan aus Wahn und Wirklichkeit. Schrecken und Witz marschieren Hand in Hand gen Untergang.
Billy Pilgrim der desorientierte und traumatisierte Kriegsheimkehrer landet in der Psychatrie, wähnt sich geheilt, heiratet, wird Optiker und gelangt zu Reichtum. Vor allem aber ist Billy Pilgrim Zeitreisender und hüpft in der Historie munter hin und her, er kann sogar ferne Planeten bereisen. Die Bewohner des Planeten Tralfamador haben ihn einst entführt um die Spezies Mensch und ihr merkwürdiges Konzept vom »freien Willen« zu studieren. In Gedanken kehrt Billy immer wieder nach Tralfamador zurück. Vonnegut vermischt die grausamen Kriegserlebnisse Billys mit grotesk-bedrohlichen Aspekten der Alltagskultur der USA und der surrealistischen Wirklichkeit Tralfamadors.

Ein atemloser Stakkatostil, abrupte Perspektivwechsel, eine lockere Erzählstruktur und immer wieder die metafiktionale Thematisierung der Schreibhandlung selbst prägen den Text, machen ihn so zu einem Prototypen der postmodernen, US-amerikanischen Literatur. Mal lakonisch trockem, mal psychotisch überdreht ist Schlachthof 5 tiefschwarze Groteske, Parodie und ironische Gesellschaftskritik in einem. »Rosen und Senfgas.« Vonnegut poetisiert das eigentlich nicht Beschreibbare und führt es mit grandioser Lakonie ad absurdum. Zwei unterschiedliche Seiten formen dann doch eine vollkommene Medaille.
Der Text »funktioniert« auch heute noch, wenn bei Texten Vonneguts überhaupt von Funktion gesprochen werden darf. Denn seine Texte lehnen sich gegen Funktion auf, klemmen sich quer gegen alle Mechanismen der Literatur, es kracht und quietscht im Getriebe. Aber Schlachthof 5 besteht auch 50 Jahre später als atemloses Meisterwerk und hält selbst der zeitkritischsten Lektüre stand. Der Text »funktioniert«, weil er von seiner Wucht und seinem ironischen Irrsinn nichts eingebüßt hat, weil er im besten Sinne zeitlos ist. Gregor Hens als Übersetzer hat dieser Wirkung großen Anteil.
Vonnegut hat (nicht nur in Schlachthof 5) schnoddrige Umgangssprache, Alltagsjargon und Slang in die Literatur gewuchtet. Die Sätze sind kurz, die Sprache ist knackig, direkt und erotisch aufgeladen bis hin zu explizit pornografischen Wendungen. Um vieles von dem hat sich Wagenseil 1970 herumgemogelt, dem Vonnegutschen Text viele Spitzen abgebrochen, ihn geplättet und verwässert. Gregor Hens holt die Ruppigkeit des Originals nun vollständig zurück. Well done!
»So it goes.« Diese Wendung wird im Roman permanent wie ein Kurzrefrain wiederholt, immer dann, wenn Tod und Sterben thematisiert werden, wenn sich vermeintliche Sicherheiten auflösen und vergehen. Wagenseil übersetzte sie mit »So geht das«, Gregor Hens nun mit »Wie das so ist«. Das entspricht dem lakonischen und tragischen Ton des Romans eindeutig besser.

Aus dem amerikanischen Englisch von Gregor Hens
Gebunden, 240 Seiten
Hamburg: Verlag Hoffmann & Campe 2016
Wichtig. Ein Nachtrag am Ende des Buches liefert eine notwendige und wichtige Korrektur. Vonnegut zitiert in seinem Roman aus zwielichtigen Quellen (unter anderem des Holocaust-Leugners David Irving) falsche Opferzahlen. Die von Vonnegut genannte Zahl von 135.000 Opfern der Bombardierung Dresdens haben Historiker inzwischen korrigiert. Sie gehen von 22.700 bis 25.000 Toten aus. Immer noch fürchterlich genug.
Der Regisseur George Roy Hill hat den Roman 1972 verfilmt. Schlachthof 5 (Slaughterhouse-Five) erhielt im selben Jahr den Preis der Jury bei den Filmfestspielen von Cannes und darf durchaus als eine gelungene Umsetzung des komplexen Romans betrachtet werden.
Bildnachweis: B-17 Bomber | Foto der U.S. Air Force | Quelle: Wikimedia Commons | Kurt Vonnegut (1972) | Fotograf unbekannt | Quelle: Wikimedia Commons