Zehn besondere Indiebooks – Ein Urteil des BGH und die Folgen
Die Verlage müssen zurückzahlen. So hat es der Bundesgerichtshof abschließend entschieden. Es geht um Geld, das die VG-Wort in der Vergangenheit nicht nur an die Urheber, also Autorinnen und Autoren, ausgeschüttet hat, sondern auch an Verlage. Das Urteil ist juristisch wasserdicht und korrekt, wie unter anderem der Blogger und Rechtsanwalt Tilman Winterling in zwei ausführlichen Artikeln auch für juristische Laien verständlich erläutert hat (Teil 1 & Teil 2). Die Folge: jahrelang erhaltene Beträge müssen nun zurückerstattet werden, sofort und ohne Stundung.
Große Publikumsverlage, die Töchterunternehmen noch größerer Medienkonzerne sind, werden dies schmerzlich finden, aber die Zahlungen verkraften, wenn auch zähneknirschend. Ins Mark trifft das BGH-Urteil jedoch viele kleine, unabhängige Verlage. Die Kurt Wolff Stiftung befürchtet in einer Erklärung gar zahlreiche Insolvenzen. Nun mag der gewitzte Zeitgenosse den kleinen Verlagen vorwerfen, für den erwartbaren Fall des Urteils nicht rechtzeitig Rücklagen gebildet zu haben. Das ist billige Kritik. Wer die Szene kennt, weiß nur zu gut, wie knapp und am Rande der Selbstausbeutung viele Kleinverlage arbeiten (und arbeiten müssen).
»Verlage sind keine Verwerter« titelte Kaffeehaussitzer Uwe Kalkowski jüngst in einem Beitrag, bezeichnte das Urteil als Phyrrhussieg des klagenden Autors und resümiert:
Bücher entstehen in gemeinschaftlicher, partnerschaftlicher Arbeit zwischen ihnen und den Autoren. Und wer etwas für die literarische Vielfalt tun möchte, dem sei geraten, verstärkt Ausschau nach Veröffentlichungen aus unabhängigen, kleineren Verlagen zu halten. Denn sie sind das Salz in der Suppe unserer Medienlandschaft.
Der Gemeinschaftsblog We read indie regt Leserinnen und Leser seit längerem und regelmäßig an, die Vielfalt im Angebot der kleinen, unabhängigen Verlage zu entdecken. Wer diese Vielfalt erhalten möcht, ist angesichts der BGH-Entscheidung mehr denn je angehalten, die rege Arbeit der Verlegerinnen und Verleger zu stärken.
Unterstützen Sie uns, unterstützen Sie die Autorinnen und Autoren, indem Sie Bücher von unabhängigen Verlagen kaufen – und lesen.
So schließt die Erklärung der Kurt Wolff Stiftung. Unter dem Hashtag #wereadindie soll diese Aufforderung mit Empfehlungen von Lieblingsbüchern aus kleinen Verlagen untermauert werden. Sophie Weigand hat auf Literaturen den Anfang gemacht, Caterina Kirsten auf Schöne Seiten den Stab übernommen und weitergereicht. Nun also lustauflesen.de mit zehn Titeln aus zehn Verlagen, die belegen, wie vielfältig und reich das Angebot der Indies ist:
Heđin Brú: Vater und Sohn unterwegs. Ein Roman so karg und einfach wie sein Schauplatz die Färöerinseln. Vom Fluch des Grindwals und dem Fluch der anbrechenden neuen Zeiten, in der alte Traditionen und alte Werte nichts mehr wert sind. Archaisch und packend verhandelt Heđin Brú (1901-1987) Generations- und Gesellschaftskonflikte. (Guggolz Verlag)
Joshua Cohen: Solo für Schneidermann. Ein Stargeiger legt mitten im Konzert sein Instrument nieder und erzählt die Lebensgeschichte seines Freundes und Komponisten Schneidermann. Mit dieser wahnwitzigen Tour de Force durch ein Jahrhundert Musik- und Kulturgeschichte debütierte Joshua Cohen 2007. Ein grandios komponiertes und urkomisches Feuerwerk der Sprache. Kadenz und Kaddish zugleich. (Schöffling & Co.)
Friedrich Forssman: Wie ich Bücher gestalte. Warum finden wir einige Bücher »schön und gut lesbar« und andere nicht? Der renommierte Buchgestalter und Typograph Friedrich Forssman gewährt Einblicke in seine Werkstatt. Ein Muss für Liebhaber des »Schönen Buches«. Wer dieses instruktive und reich bebilderte Arbeitsjournal gelesen hat, wird Bücher künftig anders betrachten. Nämlich sachkundiger. (Wallstein Verlag)
Shūsaku Endō: Schweigen. Vor dem Hintergrund der Christenverfolgung im Japan des 17. Jahrhunderts erzählt Endō vom Antlitz der Liebe und der Krise des Glaubens. Ein ruhiges, beinahe meditatives Buch, das vom Wert und Bestand der Spiritualität in einer konkreten, physischen Welt handelt. Demnächst im Kino, verfilmt von Martin Scorsese. (Septime Verlag)
Philip Krömer: Ymir. Nazis, Esoterik, nordische Mythen, die Hohlwelttheorie und Wagners »Tristan und Isolde«. Diese Geschichte einer Expedition ins Innere der Erde ist ironische Parodie klassischer Abenteuerromane wie postmoderne Variante derselben. Meisterhaft durchgeknallt und niemals langweilig. (Homunculus Verlag)
Antonio Ortuño: Die Verbrannten. Für Flüchtlinge und Migranten ist Mexiko die Hölle. In einer Mischung aus Sozialreportage und Thriller deckt Ortuño alltäglichen Rassismus, Hass, Gewalt und Korruption auf. Ein beklemmender und brutaler Roman mit einem Ende, wie es sich Quentin Tarrantino nicht blutiger hätte ausdenken können. (Verlag Antje Kunstmann)
Peter Verhelst: Eine handvoll Sekunden. (Ausführliche Besprechung demnächst) Ein schwerer Autounfall ist der Auslöser. In einer handvoll Geschichten geht Verhelst auf die Suche nach verlorenen Sekunden. Können Sprache und Poesie Traumata heilen und Welt rekonstruieren? Selbst beim sorgfältigsten Versuch, alles wieder an seinen Platz zu bringen, bleibt am Ende ein Schaden, bleiben Leerstellen und Schatten. (Secession Verlag)
Frank Witzel: Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969. Als aus Pop Politik wurde. In einem aberwitzigen Mix aus Stilen und Genres entwirft Frank Witzel ein disparates Gesellschaftsporträt der Bundesrepublik Deutschland. Ein Puzzle aus Erfindung, Aneignung und Entwendung, das letztlich scharfe Abbilder verweigert und die Konventionen des Romans aus den Angeln hebt. (Verlag Matthes & Seitz Berlin)
Joachim Kalka: Der Mond. Schmaler Umfang, großer Inhalt. In seinem klugen und poetischen Essay verfolgt und beobachtet Kalka das wandelbare Antlitz des Mondes in der Literatur. Unseren vertrauten Nachbarn im All taucht der Autor in sanftes Licht, auf dass wir erkennen, welches Geheimnis da über uns schwebt. (Berenberg Verlag)
Carl Nixon: Lucky Newman. Von der Liebe einer Krankenschwester zu einem Kriegsheimkehrer, der sein Gedächtnis verloren hat. Luftig, leicht und einfühlsam, aber frei von jeglichem Kitsch reflektiert der Neuseeländer Carl Nixon in diesem Roman die Kraft des Erzählens und des sich Erinnerns. Sehr lesenswert, wie überhaupt alles, was Nixon geschrieben hat. (Weidle Verlag)
Ich würde mich freuen, wenn auch ihr unter dem Hashtag #wereadindie zu euren Erfahrungen mit kleinen Verlagen und ihren Büchern bloggt. Welche haben euch besonders begeistert und warum? Was macht die Indies aus? Empfehlt, was das Zeug hält auf möglichst vielen Kanälen und macht auf die Situation aufmerksam!
Diesem Appell, mit dem Sophie ihren Beitrag beendete, schließe ich mich gerne an. Schreibt, empfiehlt und postet. Ich freue mich auf Eure Reaktionen.