Das Antlitz der Liebe – Shūsaku Endō beschreibt die Krise des Glaubens
Shūsaku Endōs Roman Schweigen ist ein sehr stilles aber tiefes Buch über das Wesen des christlichen Glaubens. Ähnlich wie die geharkten Kiesflächen in einem Zengarten lädt es ein, sich in konzentrischen Denkbewegungen hin zum Kern vorzuarbeiten. Endōs Roman, davor sei gleich zu Beginn gewarnt, ist nichts für Menschen, die dem Christentum im allgemeinen und der römisch-katholischen Theologie im besonderen völlig gleichgültig oder total ablehnend gegenüberstehen. Martin Scorsese bedeutet Endōs Buch sehr viel, er hat es vefilmt und, so betont der Regisseur, die Arbeit an diesem Projekt sei eine Angelegenheit des Herzens gewesen. Dazu später mehr, zunächst zum Roman.
Der Kern des Glaubens
Japan im 17. Jahrhundert. Rodrigues und Garpe, zwei portugiesische Mönche, betreten nach beschwerlicher Reise bei Nagasaki heimlich das Land der aufgehenden Sonne. Ihre Mission lautet, den versteckten Christen des Landes in der Verfolgung beizustehen und die Christianisierung des Landes fortzusetzen. Sie werden freundlich empfangen, aber schon bald mit einigen der japanischen Christen festgenommen. Für Rodrigues beginnt ein schweres Martyrium. Er muss mit ansehen, wie seine japanischen Geschwister im Glauben gefoltert und hingerichtet werden. Er muss sich den quälenden Fragen des japanischen Fürsten Inoue und seiner Beamten stellen. Als er schließlich seinen früheren Lehrer wiedertrifft, der längst als Japaner lebt und das Land für nicht missionierbar hält, schwört auch Rodrigues dem Glauben ab. Ein langer innerer Kampf geht zu Ende.
Der Schriftsteller Shūsaku Endō (1923 – 1996) gehörte selbst zur Minderheit der römisch-katholischen Christen Japans an. Sein Roman Schweigen erschien 1969 und wurde in seinem Heimatland kontrovers diskutiert. Endō zeigt einen Menschen, der in der Verfolgung nur Christ bleiben kann, indem er sein Gelübde aufgibt, abschwört und Christus verleugnet.
Rodrigues‘ Geschichte ist eine abgewandelte Passion. Verkündigung des Evangeliums, Verrat, Gefangennahme, Verhör und Kreuzigung. Rodrigues kämpft um Standhaftigkeit und schreitet dabei die Stationen des Kreuzwegs ab, im übertragenen Sinne. Denn nicht physische Schmerzen und äußerer Handlung stellt Endō in den Vordergrund, sondern den durch sie ausgelösten inneren Konflikt. Schweigen ist im Kern Rodrigues‘ Meditation über den wahren Gehalt der christlichen Botschaft und die Frage, warum Christus gegenüber den Qualen der verfolgten Gläubigen stumm bleibt.
Der Mönch schwört schließlich dem Glauben ab, weil er erkennen muss, dass seine standhafte Loyalität zu Kirche und Mission nur seinem eigenen Seelenheil dient. Er nimmt die Qualen der Märtyrer in Kauf, sein Glaube ist selbstbezogen nicht mitleidend. Aber wahre Nächstenliebe ist, sich selbst zu opfern wie Christus, nichts darf festgehalten werden, nicht einmal der Glaube selbst. Endō sieht in Rodrigues‘ Abfall vom Glauben gleichzeitig die Sünde des Verrats und die Liebestat der Hinwendung.
Shūsaku Endō rückt in der Apostasie Rodrigues‘ das Christentum der Europäer in die Nähe der buddhistischen Lehre. Der wahre Gläubige muss wie der buddhistische Mönch jegliche Begrifflichkeit und innere Logik seines Glaubens zerstören, um darin die wahre Kraft des Glaubens zu spüren. Doch während der Buddhismus auf das Nichts, auf die Leere zielt, findet Endō im Christentum ein Ziel. Es ist das Antlitz der Liebe, das sich Rodrigues in dem Moment offenbart, als er es mit Füßen tritt. Es ist das Gesicht eines Menschen, der nicht nur die Liebe gelebt hat, sondern am Kreuz auch den Verräter noch zu sich zieht. Endō fordert in Schweigen dazu auf, nicht nur in bestimmten Situationen der Bedrängnis die eigene Art des Glauben in Frage zu stellen, sondern grundsätzlich die letzten Glaubenswahrheiten an sich. Gleichzeitig reflektiert Endō ein Problem, das ihn selbst ein Leben lang anhaltend und intensiv beschäftigt hat, nämlich die vermeintliche Unvereinbarkeit des Christentums mit der japanischen Kultur.
Schweigen von Shūsaku Endō ist ein Roman, der auf große Handlungsbögen und oberflächliche Spannungsmomente nahezu vollständig verzichtet. In einer merkwürdig disparaten Dreiteilung, anfangs ein Briefroman mit den ersten Berichten Rodrigues’ in Ichform, dann ein von einem distanzierten Erzähler protokollarisch-nüchtern vorgetragener Bericht der Gefangenschaft und am Ende ein Ausklang mit historisch verbürgten Akten- und Tagebucheinträgen eines japanischen Beamtens und eines holländischen Handelsbeauftragten, in diesem Dreiklang konzentriert sich alles auf die Zerrissenheit Rodrigues’, seine Gedanken und innere Monologe halten den Text zusammen und tragen ihn. Ein, wie gesagt, ruhiges aber sehr kraftvolles Buch, das an christlich-philosophischen Grundsteinen herumwackelt und lange Gedankenketten über das Wesen des Glaubens, die Krise des Glaubens und den Sieg des Besonderen über das Normale zu knüpfen vermag, wenn man sich drauf einläßt. (Mich hat es, diese persönliche Bemerkung sei gestattet, sehr bewegt und angeregt.)
Schweigen im Kino
»Es handelt von Spiritualität in einer konkreten, physischen Welt: einer Welt in der die dunkelsten Züge der menschlichen Natur aufgedeckt werden«, sagt Martin Scorcese über Endōs Buch und betont, die Verfilmung des Romans sei eine Herzensangelegenheit gewesen seit er ihn vor zwanzig Jahren das erstemal gelesen habe. »Er hat mir auf eine Weise Halt gegeben, wie ich ihn bisher nur in ganz wenigen Kunstwerken fand.«
Die Dreharbeiten zum Film Silence mit Andrew Garfield und Liam Neeson in den Hauptrollen sind abgeschlossen. Ein offizieller Filmstart ist noch nicht bekannt, aber angeblich wird das Filmfest von Cannes angestrebt. Es wird mit Sicherheit ein aussergewöhnlicher und sehr persönlich gefärbter Beitrag in Scorseses Filmographie werden. Man darf gespannt sein.
Aus dem Japanischen von Ruth Linhart
Mit einem Vorwort von Martin Scorsese und einem Nachwort von William Johnston
Gebunden, 312 Seiten
Wien: Septime Verlag 2015
Mehr Informationen und eine Leseprobe auf der Webseite des Verlages
Ruth Linhart hat Schweigen 1977 erstmals aus dem Japanischen übersetzt und für die Neuausgabe ihre Übersetzung in vielen Bereichen überarbeitet. Martin Scorsese hat ein Vorwort beigesteuert und William Johnston, der Übersetzer der englischen Ausgabe, liefert in seinem Nachwort unter anderem einige für das Verständnis wichtige, historische Hintergründe über das sogenannte »christliche Jahrhundert« in Japan.
Ich empfehle auch die ausführliche Besprechung im Blog aus.gelesen.
Edit 6.2.2017: Hier nachgereicht der offizielle Trailer zum Film vom Concorde Filmverleih. Kinostart 2. März 2017.