Ein Buch ist erst ein Buch, wenn es ein Buch geworden ist – Ein Gestalter berichtet
Bücher, wie wir sie kennen, sind in Form und Funktion uralt. Der Kodex hat sich im 15. Jahrhundert endgültig gegen die Schriftrolle durchgesetzt. Seitdem werden beschriebene Seiten geschnitten, übereinandergelegt, geheftet und mit einem Einband versehen. Das hat sich bewährt bis heute. Die Funktion eines Kodex, eines Buches ist es, Inhalte zu vermitteln, einen Text adäquat zu präsentieren. Ein Text alleine ist Funktion ohne Form. Er wird erst zu einem Buch, wenn er gestaltet wird, wenn die Funktion in die richtige Form gegossen wird.
Die Funktion eines Textes liefert der Autor, für die Form, also dafür, dass aus einem Text ein Buch wird, ist der Buchgestalter verantwortlich. Seine Arbeit verrichtet er einzig im Dienste des Textes. Buchgestaltung ist ein Handwerk, das Konventionen zu beachten hat, mit ihnen spielen, sie sogar an Grenzen treiben, aber keinesfalls willkürlich brechen darf. Und weil die Buchgestaltung eine Unterdisziplin des Designs ist, unterliegt sie auch ästhetischen Regeln, bleibt aber Handwerk, Kunsthandwerk. Beide Begriffe, Kunsthandwerk und Design sind dort zurecht zu Schimpfwörtern mutiert, wo sie für »das Hinguckerhafte, das lärmende Hallo-ich-bin-Design-Rumgetröte« (Gerhard Matzig) stehen.
Ist ein Buch gut gestaltet, hören wir kein Getröte, werden nicht an der Nase herum geführt und übertölpelt, sondern zielgerichtet zum Wesenskern des betreffenden Textes gelenkt. Das gut gestaltete Buch folgt im besten Sinne der bekannten Regel: »form follows function«.
Friedrich Forssman ist Buchgestalter, und seine Verdienste um das »schöne Buch« sind groß. Er hat Reclams Universal Bibliothek ein modernes Antlitz verpasst, berät die Andere Bibliothekin Gestaltungsfragen, hat das Spätwerk Arno Schmidts gesetzt (ein Unterfangen, das lange als aussichtslos galt und jahrelange Arbeit erforderte), gestaltet alle Bücher des Weidle Verlages und, und, und. In dem kleinen Bändchen Wie ich Bücher gestalte gestattet Forssman nun einen Blick in seine Werkstatt.
Das Buch, das Sie gerade in den Händen halten, folgt dem Muster »Flattersatz, Kolumnentitel unten-außen, Marginalien, Einband mit Notizbuch/Schreibheft/Kladden-Zitat«: Es ist ein Werkbericht, und das soll man ihm ansehen.
Dieses Zitat belegt: Wie ich Bücher gestalte ist ein persönliches Bekenntnis, kein Lehrbuch. Forssman legt seine Arbeitsweise offen, die sich vom Text ausgehend von innen nach aussen orientiert. Mit vielen anschaulichen Beispielen und Abbildungen wird erläutert wie Schrifttypen, Punktgrößen, Laufweiten und Zeilenabstände funktionieren, warum Buchformate schlank, stumpf oder kompakt wirken können und welche Satzspiegel und Einbandformen zu wählen sind. Beispielhaft wird der gesamte Arbeitsprozess der Buchgestaltung bis in Detailfragen zu Fußnoten, Kolumnentiteln, Inhaltsangaben, dem Impressum oder möglichen Registern durchgegangen. Alle Detailentscheidungen müssen ständig miteinander abgeglichen und aufeinander abgestimmt werden, im Sinne des gestalteten Textes und seiner intendierten Wirkung. Einem Gestalter, so Forssman, steht zwischen Freiheitsgraden und Notwendigkeiten viel Bewegungsspielraum zur Verfügung, nur eines darf er nicht, seine Persönlichkeit, seinen Geschmack und seine Vorlieben in den Vordergrund schieben.
Buchgestaltung ist im besten Sinne nostalgisch. Bei jedem neuen Projekt gilt es zu prüfen, welche Lösungen die Vorgänger des Gewerbes bereits gefunden haben und wie sie aktuellen Vorgaben angepasst werden können. Eine große Bibliothek mit aussergewöhnlich gestalteten Büchern aus mehreren Jahrhunderten sei bei weitem das wichtigste Werkzeug für den guten Gestalter, sagt Forssman. So ist dieses Bändchen gleichzeit ein glühendes Plädoyer für das gedruckte Buch.
Forssman ist zweifelsohne einer der Besten seiner Zunft, das weiß er auch und hält damit nicht hinter dem Berg. Er brennt für seine Arbeit und ist in seinem feurigen Eifer auch nicht gegen dogmatische Positionierungen gefeit. Einige davon entpuppen sich, denkt man kurz nach, als sehr plausibel: ein Buch nicht zu kleben, sondern, mit Fäden zu heften schlägt sich mit etwa 1,50 bis 2 Euro im Kaufpreis nieder. Dafür, so Forssman, ließe sich das Buch leichter aufschlagen und lesen, sowie, und das sei das Entscheidende, trage keine Zeituhr zur Selbstzerstörung mehr in sich. Klebebindungen brechen früher oder später, Bücher werden so in 20 Jahren zu Loseblattsammlungen, vom Buch bleibt nur noch eine Ruine. Die Mehrkosten für Fadenheftung, lassen sich übrigens schnell wieder hereinholen, wenn man auf das Kapitalbändchen verzichtet, das bei industriell gefertigten Büchern nur Schmuck ist und keinerlei Funktion besitzt. Oder es wird irgendein anderer Schnick-Schnack über Bord geworfen, der keinerlei Bedeutung für den Text habe und somit keinerlei funktionale Bedeutung.
Zugegeben, in Forssmans Text schwirren viele Fachbegriffe, das Büchlein wirkt an einigen Stellen schnell geschrieben, glänzt nicht immer mit geschliffenen Formulierungen. Aber unterm Strich zeigt es, wie sehr die Gestaltung eines Buches das Vergnügen beim Lesen mitbestimmt, mehr noch: Den Text mit all seinen Bedeutungen und Funktionen in Form gießt. Was wir unbewußt vielleicht geahnt haben, hier wird es ins Bewußtsein gehoben. Nach der Lektüre der 80 Seiten von Wie ich Bücher gestalte schauen wir bei jedem Buch, das wir in die Hand nehmen genauer hin und wissen plötzlich, warum einige Bücher »schön und gut lesbar« sind und andere nicht. Ich empfehle Forssmans Text ausdrücklich allen, die Bücher wirklich lieben. (Verlagsmitarbeiter schließe ich unbedingt mit ein, damit künftig (noch) seltener lieblos gestaltete, billig produzierte »Wegwerf-Bücher« produziert werden.)

Ästhetik des Buches
Klappenbroschur, fadengeheftet, 80 Seiten
Göttingen: Wallstein Verlag 2015

Wie ich Bücher gestalte ist in der Reihe Die Ästhetik des Buches erschienen, die Klaus Detjen im Wallstein Verlag herausgibt. »Die Buchform und die Form des Buches« lautet das übergreifende Motto der bislang vorliegenden Bände. Alle sind lesenswert.
Auch Charlotte Lacrois hat im Blog besonders buch den Text von Friedrich Forssman sehr positiv besprochen: Notizen eines Gestalters.
25. Oktober 2015 @ 19:30
Hallo Jochen,
ein interessanter Buchtipp. Auf das Buch bin ich schon einmal gestoßen. Ich muss sagen, dass ich Bücher mit Fadenbindung liebe. Überhaupt Bücher, die richtig hochwertig sind und wo sich jemand Gedanken gemacht hat. In letzter Zeit habe ich gezielt nach Bücher ausschau gehalten, die richtig schön sind. Es gibt sogar eine Stiftung, die besonders schöne Bücher auszeichnet: http://www.stiftung-buchkunst.de/
Eine Kunst ist das ganz sicher und zwar eine, die ich sehr zu schätzen weiß.
Liebe Grüße
Tobi
25. Oktober 2015 @ 18:02
Wenn ich mich so umschaue hier im Atelier sind bestimmt achtzig % all meiner Bücher geklebt. Also tot gestaltet. Und dennoch möchte ich auf keines verzichten. Vielleicht ist der Königsgedanke des Buches mit Faden ein idealer und oftmals im Alltag nicht anzutreffen. Letzendlich würde ich auch lose Blätter lesen wenn der Inhalt mich packt. Abseits vom ideal.
25. Oktober 2015 @ 18:21
Schon richtig, lesbar, sicher auch packend bleibt selbst eine Loseblattsammlung; Nur ist das dann kein Buch mehr. Das eigentliche Problem ist doch, dass Verlage wegen sehr geringer Kostenersparnis auf Fadenheftung verzichten, wider besseren Wissens.
Das Ideal wäre demnach mit äußerst geringem Aufpreis leicht zu erreichen, nämlich Bücher, die auch in 100 Jahren noch Bücher sind. lg_jochen
25. Oktober 2015 @ 15:08
Danke für diese Besprechung!
Ich erinnerte mich dabei sofort an das Fach Herstellung, welches in der Buchhändlerberufsschule zu meinen Ausbildungszeiten (noch?) unterrichtet wurde. Ich freue mich jedesmal, wenn ich ein Buch mit Fadenheftung in der Hand halte…
25. Oktober 2015 @ 17:32
Fadenheftung ist für mich mittlerweile ein sehr wichtiges (privates) Kriterium, wenn ich Bücher beurteile. Unverständlich, dass viele Verlage ihre Bücher aus lieber weiter kleben und zum Tode verurteilen. Die eingesparten Kosten sind marginal. lg_jochen
25. Oktober 2015 @ 13:43
Toll! Ich möchte sofort bei Forssman in die Lehre gehen.
Viele Grüße, Madame Filigran
25. Oktober 2015 @ 17:33
Wenn Du das Buch aufmerksam liest, dann ist das beinahe wie ein erstes Lehrjahr. Also auf in die Buchhandlung, liebe Madame Filigran.