Von Zappelphilipp-Poetik, Murmeltieren, Geld und Viren – Die Frankfurter Buchmesse 2015
Das ist Buchmesse: Einfach auf Clemens Setz zustürmen und sagen: »Hallo, ich wollte Ihnen schon immer mal etwas sagen, aber ich weiß nicht was. Das sage ich Ihnen jetzt einfach mal.« Nach verdutzdem Blick des Autors und peinlicher Pause entspinnt sich dann aber doch ein kurzes, intensives Gespräch über Zappelphilipp-Poetik und Literatur mit Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom und »betreutes Lesen«. Buchmesse auch das: kurz einem übermüdeten, aber überglücklichen Frank Witzel zum Buchpreis gratulieren, meinem Favoriten von Anbeginn.
Einer von 250 Tausend. Mein Anteil am Buchmessentrubel, am Familientreffen der Buchbranche, am Fest der Literatur, am Worldbusiness der Agenten und Verleger ist naturgemäß gering, eigentlich komplett zu vernachlässigen. Aber irgendwie war ich dabei. Über schlechte Luft, schlechtes Essen, Gedränge, lange Wege, verstopfte Gänge, müde Beine und schmerzende Füße hier kein Wort, wer Buchmesse will, bekommt Buchmesse. Welche Party wo, welcher Promi wie und welche Gespräche warum, auch damit werden keine Zeilen geschunden. Nur so viel: Es hat verabredete Treffen gegeben, heimlich ersehnte und gänzlich unverhoffte. Viel Input, der in den kommenden Wochen und Monaten sich hoffentlich in Output auf lustauflesen.de umsetzen läßt. Und ein wenig Alkohol wurde auch getrunken. (Danke an die Rockstars und meine liebsten Lyrik-Berserker vom Verlagshaus Berlin für das Foto; ich hab’s mir mal gekl.., ähm, ausgeliehen.)
Und täglich grüßt das Murmeltier
Bemerkenswert, und das soll Kern meines Messefazits sein, ist, dass bestimmte Diskussionen und Debatten einfach nicht zur Ruhe kommen (wollen?, sollen?). Auf der Messe war bei privaten Standgesprächen, in kleineren und größeren Runden und auf Podiumsdiskussionen immer wieder vom Verhältnis der Blogger zum Feuilleton, von der Verlagerung der Kritik in »dieses Internet« und von der Grenze zwischen Rezension und PR die Rede. Eine nimmermüdes, kreiselndes Thema, so scheint’s, das selten mit neuen Argumenten, aber beständig mit vielen altbekannten munter am Köcheln gehalten wird. Von wem eigentlich und warum? Aus der Sommerdebatte jedenfalls ging zumindest tell hervor, das im Frühjahr, sollte die Finanzierung klappen, an den Start gehen will. Hier und hier eher knappe und spärliche Informationen zum Projekt. Edelfedern im Elfenbeinturm oder wirklich eine neue, vor allem lebendige und offene Form der Kritik im Netz? Mal sehen, was kommt.
Lösungen sind augenblicklich nicht in Sicht. Und doch stellt sich die Frage, was macht Denis Scheck eigentlich in 5 Jahren? Mögliche Antworten lieferten unter anderem im Orbanism-Space »zwischen Feuilleton und Haul« Nora Gomringer, Wibke Ladwig, Jan Drees und Stefan Mesch. Hier die angeregte und anregende Diskussion zum Nachhören, und Caroline Schultz hat gefilmt, weshalb hier alle auch zu sehen sind, vor allem Jan Drees mit seiner schönen, grünen Strickjacke. Für die FAZ resümierte Andrea Diener unter der Überschrift »Der Feuilletonist, das unbekannte Wesen« ein (sehr begrüßtes, aber aus verschiedenen Gründen etwas unglücklich verlaufenes) Bloggertreffen der Verlage Hanser, Suhrkamp und S. Fischer:
Blogger sind jetzt eine wirtschaftliche Größe für die Verlage geworden. Man redet gern über die eigene Bedeutung. Aber das tun Journalisten ja auch, und ich finde es genauso unangenehm.
Was war geschehen? Nun, die unter dem »trendigen« Hashtag #hasufi15 einberufene, wie immer höchst heterogene Bloggerschar, wollte nicht hochkarätigen Autoren wie Jackie Thomae, Clemens Setz und Juan Guse lauschen, sondern mehr »so plaudern« und über Geld reden:
Könnte man nicht irgendwie dafür sorgen, dass da ein bisschen Geld rumkommt? Wir zahlen ja die Hotelzimmer selbst und alles. Wie isses mit Bannerwerbung? Könnten die Verlage nicht mal was lockermachen? Die Verlage waren ein wenig verblüfft, ob das den Bloggern denn so recht sei, aber die winkten ab, ach was, kein Ding, wir passen schon auf unsere Glaubwürdigkeit auf und werben nur für gute Bücher. Und beschworen wieder einmal die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten, denn da können ja immerhin ein paar Blogger von ihrem Tun leben.
Waren Blogs ursprünglich nicht so eine Art privates Wohnzimmer, in dem man sich traf, frank und frei die Meinung sagte, unabhängig war und Geld keine Rolle spielte? Ja, aber das hat sich geändert. Verlage, rührige Autoren und pfiffige PR-Manager haben die Blogs als Influencer entdeckt, als Plattform für Meinungsmache und als Werkzeug für indirekte Werbung. Alle sind sich bewußt, wie fließend in diesem »heiklen Minenfeld« die Grenzen verlaufen, wo die Abgründe lauern und die Gefahren der Abhängigkeit. Sind sie? Ich persönlich bastle noch an meinem Konzept, habe meine Position im Spiel der Meinungen, Märkte und Moneten (immer) noch nicht gefunden. Und im fröhlichen (auch berechtigten) Netz-Nebeneinander der Formen und Farben habe ich mich schwungvoll in die Nesseln gesetzt, als ich in der SWR2-Matinee freimütig bekannte, dass Booktuber mir mitunter Schmerzen bereiten. (Sorry, falls Ihr Euch beleidigt fühlt. Es war Ironie. Muss man das jetzt immer erklären?) Fazit: Es ist und bleibt schwierig. Aber, einfach nur »Urlaub im Land der Bücher«, wie das Börsenblatt herausgefunden hat, waren die vier Tage Frankfurt für mich nicht.
Die geschätzte Kollegin Sophie Weigand hat auf literaturen die Debatte übrigens (erneut) schön zusammengefasst. Lest das und Ihr seid im Bilde.
P.S.: Danke an alle für alle schönen Gespräche, Begegnungen, Umtrünke und Späße. Danke an alle, die mich tapfer auf eine Zigarette in das trüb-feuchte Grau vor der Halle begleitet haben. Und danke an alle, die mich vielleicht übersehen haben. Eventuell blieb mir so einiges erspart. (Achtung, schon wieder Ironie!) – Bis Leipzig 2016, Ihr Lieben.
P.P.S.: Von agressiven Frankfurter Buchmessen-Viren bin ich diesmal verschont geblieben. Aber die Virenschleuderpreisverleihung (was für ein Wort!) war wieder großartig. Danke, Leander.
P.P.P.S: Lest bitte unbedingt auch die kluge und tiefsinnige Dankesrede von David Kermani zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.