Erschöpft und zerknirscht im Besenwagen – Kein Kandidat für den Blogbusterpreis von »lustauflesen.de«
So, wir starten jetzt mal ein kleines Radrennen und schauen sofort nach hinten. Da lauert nämlich der gefährlichste Gegner, der Besenwagen, ein unauffälliger Kleinbus, der dem Peleton gemächlich hinterhertuckert. Wer zu langsam ist und zurückfällt, wird von der Straße gefegt. Aus der Traum vom Finish. Der Besenwagen ist ein erbarmungsloses Monster.

Jetzt sitze ich auf der Rückbank des Besenwagens beim »Blogbuster-Preis« und frage mich, wie konnte das passieren? Als auf der Frankfurter Buchmesse der Startschuss zur ersten Etappe fiel, bin ich losgesprintet, neben mir vierzehn weitere gut trainierte BloggerInnen. Alle hochmotiviert wie ich. Autorinnen und Autoren sollten einer Bloggerin, einem Blogger ihrer Wahl vertrauen, uns ihre Manuskripte senden, damit wir einen Kandidaten finden, den wir der Jury unter Vorsitz von Denis Scheck präsentieren. Ein Manuskript, dem wir vertrauen, dem wir eine Chance geben, ein Roman, an den wir glauben und den wir verteidigen. Diese erste Etappe des Rennens ist flach und leicht genommen. Euphorie begflügelt.
Mehr als 250 Manuskripte gingen bis Ende Dezember ein, für die einen mehr, für die anderen weniger. Was soll’s, Quantität ist nichts, Qualität dagegen alles. Startschuss zur zweiten Etappe: Lesen, lesen, lesen. Es wird hügelig, das Feld zieht sich auseinander. Ich finde mein Tempo, arbeite mich voran, Exposé um Exposé, Leseprobe um Leseprobe und schließlich in engerer Auswahl Manuskript um Manuskript.
Doch dann das! Kette gerissen, Plattfuß am Hinterrad und die Trinkflasche ist leer. Kein Materialwagen nirgends. Keuchend kämpfe ich mich durch, bleibe hier und da stehen, steige vom Rad, verschnaufe, fluche leise vor mich hin. Mit ordentlichem Rückstand eier ich über die Ziellinie, dem Besenwagen diesmal noch knapp entwischt. Reporter angeln Statements: »Ich sag mal so, von der Ausgangslage her gesehen, war alles gut! Aber hintenraus fehlten eindeutig die Körner.«
Sportsprech beiseite, lasst uns Tacheles reden. Mich erreichten einige originelle Geschichten mit ausgefallenen Plots. Ich danke euch Autorinnen und Autoren für eurer Vertrauen, das ihr mir entgegengebracht habt und das ich jetzt, das entscheidende Zwischenziel in Sicht, entäusche. Ihr habt viel Arbeit in eure Texte gesteckt, viel Herzblut mag geflossen sein und viel Schweiß. Aber entscheidend ist, ob ihr den Leser erreicht, in diesem Fall, ob ihr mich erreicht und berührt. Unlektorierte Romane zu lesen ist eine Herausforderung, das habe ich gelernt. Die gleichen strengen und engen Maßstäbe anzulegen wie bei einem »fertigen Produkt« eines renomierten Verlages ziemt sich nicht. Doch gänzlich über Bord werfen kann und möchte ich meine Ansprüche an »gute Literatur« auch nicht. Ich kann nicht beurteilen, ob ich zu harsch war mit meinen Urteilen, zu ungeduldig beim Lesen, zu kurzsichtig oder gar zu verbohrt. Doch von einem bin ich fest überzeugt: Im Kern eines Manuskriptes muss etwas stecken, das knackig und überlebensfähig ist, sich nicht fortspülen lässt von handwerklichen Fehlern und kleineren oder größeren Verstößen gegen die Regeln literarischen Schreibens. Am Ende hat dieser kleine, harte Kern in nahezu allen Manuskripten, die mich erreichten, gefehlt. Keines vermochte mich so stark einzunehmen und zu fesseln, dass ich sagen könnte: das ist meine Kandidatin oder mein Kandidat.
Letzte Etappe, Hors Categorie, da oben auf dem Gipfel muss ich festlegen, mit wem ich die rasende Abfahrt ins Blogbuster-Ziel wage. Ich bin schon ziemlich aus der Puste, aber zwei sind bis kurz vor Ende des steilen Anstiegs noch wacker mit mir unterwegs. Zwei ambitionierte Autoren mit ambitionierten Texten. Ich habe lange mit ihnen und mit mir gerungen, immer wieder. Mal war der eine vorne, mal der andere. Dann kam der Besenwagen und hat uns, geschluckt. Sorry.
Ich möchte meine beiden Schlusskandidaten nicht denunzieren oder vorführen. Deshalb keine Detailkritik; das Folgende wird oberflächlich und allgemein gehalten (ihr, um die es geht, werdet euch erkennen). Der eine Roman erzählt von einem Paar unterschiedlicher sozialer Herkunft, das sich im Berlin der 68er Studentenunruhen findet und wieder auseinanderdriftet, er findet nach einer Haft in ein bürgerliches Leben, sie rutscht in den Terrorismus. Doch es gibt einen, der sie für immer verbindet. Der andere Text ist eine Phantasmagorie im Schatten von Dantes Die Göttliche Komödie. Ein Lebensfilm nach dem Tod, ein Höllenritt, eine Wanderung übers elysische Feld und eine Berüruhng mit der Weltformel, ein jenseitiges Zeitpanorama voller Figuren des jüdischen Lebens.
Warum schlage ich keinen der beiden »potentiellen Favoriten« für die Longlist vor? Beide Texte verfügen über eine gute Grundidee, beide sind originell, farbig koloriert und … dann doch nicht literarisch genug. Zu viele überflüssige Adjektive, ein fehlender Rhythmus (man merkt das schnell, wenn man laut vorliest), dissonante Töne, unmotivierte (und fehlerhafte) Perspektivsprünge. Es wird beschrieben und referiert, nicht erzählt, die Figuren bleiben merkwürdig blass und eindimensional. Sie sind zu vorhersehbar in ihrer monochromen Scherenschnittexistenz. Sicherlich könnte ein professionelles Lektorat viele Scharten auswetzen, aber eines bliebe. Beide Texte vermitteln mir nicht glaubwürdig, warum ich das lesen soll/muss/kann, haben keine wirkliche Richtung, in die mich Erzähler und Erzählung lenken. Ich mag sie irgendwie, ja, und doch hadere ich schwer mit ihnen, weil nach der Lektüre dieses mulmige Gefühl zurückbleibt, dieses »Hm, was soll das? Was will er?« Wenn am Ende eines Buches nicht viel mehr als gleichgültiges Achselzucken bleibt, dann hat das Buch im Grunde versagt. Das ist ein hartes Urteil, ich bin mir dessen nach langen inneren Kämpfen bewußt. Aber keinen der Texte, die mich erreicht haben, auch nicht die beiden zuletzt verbliebenen, kann ich guten Gewissens empfehlen und meinen Namen daruntersetzen.

Anders als den Leserinnen und Lesern dieser Zeilen sind mir bereits feststehende Longlistromane bekannt. Ich durfte in einige Favoriten meiner Blogbustermitstreiter hineinschauen, ich habe Eröffnungskapitel gelesen, hier und da längere Passagen und Schlussabsätze. Ich habe hier hohe Qualität entdeckt, sprachliche und inhaltliche. Deutlich höhere als bei den Texten auf meinem Schreibtsic, und ich habe in deutlich geringerer Zahl die oben aufgelisteten Mängel festgestellt. Schmerzhaftes Fazit: meine Einreichung hätte in diesem Feld als aussichtloser Zählkandidat nicht überlebt. Daher mein Verzicht und mein nochmals aus vollem Herzen ausgeschütteter Dank an alle Autorinnen und Autoren, dir mir ihre Herzenstexte und -projekte anvertraut haben und die ich nun herbe im Stich lasse. Ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen.
Ich sitze also im Besenwagen, zerknirscht und erschöpft, aber mit einigermaßen erhobenem Haupt, während das Peleton gen Ziel entschwindet. Die Kandidatinnen und Kandidaten der anderen findet ihr gesammelt auf der Blogbuster-Webseite. Ich bin gespannt, wen die Jury am Ende der »Tour de Blogbuster« das Gelbe Trikot überstreift.
Den Mitstreitern 54books, Bücherwurmloch, Die Liebe zu den Büchern, Kaffeehaussitzer, Kulturgeschwätz, Literaturen, Lust zu Lesen, Mumorez, Novelero, Pinkfisch, Sätze & Schätze, Sounds & Books, Zeichen & Zeiten und Zeilensprünge wünsche ich alles Gute auf den verbleibenden Etappen. Ich behalte alles im Blick.
Titelbild: Besenwagen »Volta a Portugal 2007« | Foto von Miguel Vieira (Redwood City, CA, USA) [CC BY 2.0] via Wikimedia Commons
31. März 2017 @ 16:58
Das finde ich sehr schade und auch ein bißchen unverständlich. Das heißt, ich denke die Ansprüche waren vielleicht viel zu hoch und das gefällt mir eigentlich nicht und ich bin auch sicher, daß ich, hätte ich, die Manuskripte gelesen, wahrscheinlich mehr als eines für gut gefunden hätte.
Nun die Einreicher werden es verschmerzen, den Kopf schütteln, sich ärgern, je nach Temperament und mich geht das Ganze eigentlich auch nichts an, habe ich ja wohlweißlich nicht mitgemacht und eines meiner Manuskripte weggeschickt, um mir dann so etwas anhören zu müssen.
Aber schade, wenn Blogger so hohe Ansprüche stellen, die ja eigentlich nicht wirklich Bücher schreiben ist das schon für mich und ich stelle mir die Frage, wie ist das bei den Büchern, die sonst gelesen werden? Hätte da Hanya Yanagihara, Martin Walser oder Olga Grjasnowa beispielsweise auch nicht genügt?
Vielleicht sollte man auch als qualifizierter Buchblogger beim Leisten bleiben, das überstrenge Kritikerhirn ausschalten und sagen, daß und das hat mir am besten gefallen, das schlage ich vor!
Wenn ich es recht verstanden habe, gibt es da ja noch an die zwanzig Bloggerfavoriten und Dennis Scheck wählt am Ende das Beste ein, also eine sehr große Hürde zu einem Verlagsvertrag zu kommen.
Zum glück waren die anderen nicht so streng und haben einen Kanditaten und den hier über gebliebenen Favoriten wünsche ich eine mildere Agentur und wohlgesonnereVerlage, liebe Grüße aus Wien, wohin ich nach Leipzig wieder zurückgekehrt bin!
4. März 2017 @ 09:56
Sehr aufrichtig, Jochen. Ich hab das sehr gern gelesen 🙂
4. März 2017 @ 10:08
Vielen Dank. Es hat Überwindung gekostet und es gab Gegenwind. Aber ich steh zu meiner Entscheidung. lg_jochen
3. März 2017 @ 11:09
Total nachvollziehbar. Ich hätte es wahrscheinlich genauso gemacht.
Lieben Gruß, Anton
4. März 2017 @ 10:09
Danke, Anton, für die Unterstützung. lg_jochen
2. März 2017 @ 18:45
Ein so schwieriges Thema wunderbar souverän und gleichzeitig versöhnlich in Textform gegossen – sehr lesenswert. Vielen Dank!
4. März 2017 @ 10:10
Danke für die nette Rückmeldung, Anette. lg_jochen