Spirituelle Tortur und Überlebenskampf – Der Film »Silence« von Martin Scorsese
Der Konflikt ist elementar. Darf der Mensch an seinen Überzeugungen und an seinem Glauben festhalten, wenn dadurch andere unsagbar leiden müssen? Der japanische Schriftsteller und Katholik Shūsaku Endō (1923 – 1996) hat diesen Konflikt in seinem 1966 erschienenen Roman Schweigen extrem zugespitzt. Er erzählt von einem Jesuitenpater, der in der Verfolgung nur Christ bleiben kann, indem er sein Gelübde aufgibt, abschwört und Christus verleugnet.
Diesen Stoff, der von Spiritualität in einer konkreten, physischen Welt handelt, einer Welt, in der die dunkelsten Züge der menschlichen Natur aufgedeckt werden, hat der Katholik Martin Scorsese verfilmt. Nein, er hat diesem Stoff vielmehr einen Film abgerungen. Insgesamt 30 Jahre dauerten die Vorarbeiten, unzählige Studios winkten ab, die Dreharbeiten in Taiwan entwickelten sich für Schauspieler und Crew zur physischen und psychischen Strapaze. Doch wie schon beim Jesusfilm Die letzte Versuchung Christi (1988) hielt Scorsese, der römisch-katholischste aller Hollywood-Regisseure, eisern an seinem Herzensprojekt Silence fest.

Im Jahr 1638 brechen Pater Sebastião Rodrigues (Andrew Garfield) und Pater Francisco Garpe (Adam Driver) von Portugal ins für die westliche Welt völlig abgeschottete Japan auf. Sie wollen den Gerüchten nachgehen, dass ihr berühmter Lehrer Cristóvão Ferreira (Liam Neeson) seinem Glauben abgeschworen habe. Früher waren die Pater willkommen, aber nun ist Japan ein zerissenes Land. Unmenschlich und brutal verfolgen die japanischen Machhaber die Christen im Land. Folter und Tod sind an der Tagesordnung. Auch Sebastião wird gefangen genommen. Angesichts der Gewaltherrschaft der Shōgune stellt sich ihm die immerwährende Frage: Wie kann Gott zu all dem schweigen?
Stille wird zur Qual. Zu Beginn des Filmes eine schwarze Leinwand, man hört Grillen zirpen, Fliegen brummen, Vögel zwitschern, das Konzert der Natur steigert sich zum Höllenlärm, dann ein brutaler Tonschnitt, totale Ruhe, das Wort Silence erscheint. Anschließend entwickelt sich vor gewaltiger Landschaftskulisse in langen, ruhigen Einstellungen ein brutaler Kampf der beiden Pater gegen Hunger und Entbehrung, gegen die Unbilden der Natur und gegen eine japanische Inquisition, die in stoischer Gelassenheit brutalste Gewalt ausübt. Selbst der Himmel über Japan ist erbarmungslos. Er begrüßt die portugiesischen Pater mit Sturm und Regen, ihren Aufenthalt in den Dörfern der christlischen Fischer überzieht er mit einer trüben, feucht-schwülen Decke. Die Sonne kommt erst heraus, wenn sie im Gefängnis hocken, einem Holzkäfig im Hof des Statdhalters, dann brennt sie unbarmherzig nieder und dörrt Körper und Geist aus. Das ist sehr intensiv und wird durch exzellente Darsteller, allen voran Andy Garfield, getragen.
Silence verhandelt einen inneren Glaubenskampf und den Zusammenprall von Kulturen. »Japan ist ein Sumpf, in dem fremde Saat keine Wurzeln bilden kann. Alles, was ihr Männer aus dem Westen pflanzt, wird verdorren.« Die japanischen Christen verehren nicht Gott, erklärt Inoue, sie verehren nur euch Padres. Sie leiden nicht für ihren Glauben, sie leiden für euch. Schwöre vom Glauben ab, und das Leiden der Menschen hat ein Ende, halten die Peiniger dem Pater gebetsmühlenartig vor. Der Shogun Inoue (hervorragend gespielt von Issey Ogata) konfrontiert den römisch-katholischen Glauben Sebastiãos mit den Grundideen des Buddhismus. Japan kennt keinen Gott, aber viel Gottheiten. Doch während der Buddhismus auf das Nichts, auf die Leere zielt, findet Sebastião selbst unter Folter im Christentum ein Ziel. Es ist das Antlitz der Liebe, das sich ihm in dem Moment offenbart, als er es mit Füßen tritt, vom Glauben abfällt und Japaner wird, wie zuvor sein Lehrer Ferreira.
Scorsese bleibt der literarischen Vorlage treu, soweit das bei der disparaten Dreiteilung des Romans möglich ist, der anfangs als Briefroman daher kommt, dann ein protokollarisch-nüchtern vorgetragener Bericht der Gefangenschaft ist und am Ende mit vorgeblich historisch-verbürgten Akten- und Tagebucheinträgen eines japanischen Beamtens und eines holländischen Handelsbeauftragten ausklingt. So wuchtig und stark der Film in den ersten beiden Dritteln (und dann erneut in den Schlusssequenzen) ist, in der Darstellung des inneren Glaubenskonfliktes Sebastiãos, besonders im Moment des Abfalls, wird er mitunter problematisch. Wo Shūsaku Endō im Roman das kraftvolle literarische Mittel des inneren Monologes zur Verfügung steht, ist Scorsese auf das Zeigen plakativer Bilder angewiesen. Das ist schwierig und die Grenze zum Kitsch wird schnell geschrammt oder überschritten. Aber die wenigen, kurzen Ausfälle sind zu verkraften, denn letztlich tragen die Glaubwürdigkeit der Darsteller und die stille Wucht der Einstellungen den Film.

Wie in Die letzte Versuchung Christi konfrontiert Scorsese den Kinobesucher auch in Silence mit einem Kreuzweg. Der Film variiert die Passion: Verkündigung des Evangeliums, Verrat, Gefangennahme, Verhör, Folter und statt Kreuzigung in diesem Fall der schmerzhafte Abfall vom Glauben. Sebastião erkennt, dass seine standhafte Loyalität zu Kirche und Mission nur dem eigenen Seelenheil dient. Er nimmt die Qualen der Märtyrer in Kauf, weil sein Glaube selbstbezogen und nicht mitleidend ist. Aber wahre Nächstenliebe opfert auch sich selbst, nichts darf festgehalten werden, nicht einmal der Glaube. Im Abfall Sebastião und seiner Selbstaufgabe sieht Scorsese einen Akt der Menschlichkeit.
Gleichzeitig verhandelt der Film auch den beständigen Ost-West-Konflikt, in dem der Westen fest überzeugt ist, seine Werte seien universell und müssten nur einfach in fremde Kulturen eingepflanzt werden. Doch wenn sie dort auf Widerstand stoßen ist der Clash der Kulturen unausweichlich. Bezeichnend ist, wie der Samurai Inoue in Umkehrung der Verhältnisse exakt die perfiden Techniken der römisch-katholischen Inqusition gegen die Padres einsetzt. Eine weitere Mahnung des Films gilt den Grenzen von Assimilation und Anpassung, wenn er zeigt, wie Sebastião mit seinem ehemaligen Glaubenslehrer Ferreira, im inneren bis zu ihren Lebensenden zerrissen, gegen ins Land geschleppte christlich-westlich Einflüsse ankämpfen.Auch in einer vermeintlich postsäkularen Zeit sorgen der Anspruch verschiedener Gesellschaften auf universelle Wahrheit, der Konflikt zwischen intitutioneller Religion und persönlichem Glauben und das scheinbare Schweigen Gottes, dessen Gläubige in seinem Namen Gewalt ausüben, für Aufregung. Der Film mit seiner Geschichte aus dem 17. Jahrhundert ist somit sehr aktuell.
Silence spricht kein Blockbusterpublikum an, Silence ist kein Popcorn-Kino. Mit diesem 46 Millionen Dollar teuren Film geht Scorsese auf hohes Riskio. Der Zuschauer sollte prädestiniert sein, eine gewisse Bereitschaft mitbringen, sich mit dem Thema Spiritualität und Glauben vorurteilsfrei auseinanderzusetzen. Silence ist alles andere als ein naives Missionsfilmchen, sondern eine ehrliche und tiefe Auseinandersetzung mit Glaubensfragen und -konflikten, Silence verhandelt die großen Themen Zweifel, Schwäche und das Schicksal des Menschen. Wer christlicher Theologie völlig gleichgültig gegenübersteht, wird ratlos bleiben, alle anderen werden das Kino verlassen und noch lange über Silence nachdenken.
Silence. Ein Film von Martin Scorsese. Mit: Mit: Adam Driver, Andrew Garfield, Liam Neeson, Tadanobu Asano, Ciarán Hinds, Yōsuke Kubozuka, Yoshi Oida, Shin‘ya Tsukamoto, Issey Ogata, Nana Komatsu, Ryô Kase. Nach dem gleichnamigen Roman von Shūsaku Endō. (161 Minuten) – Ab 2. März in den deutschen Kinos.
Der Roman Schweigen von Shūsaku Endō ist in der deutschen Übersetzung von Ruth Linhart im Septime Verlag erschienen. Link zu meiner Besprechung.