Meine Bibliothek – Eine Vergewisserung
Da twitterte der Kaffeehaussitzer neulich über eine skurrile Marotte und sorgte für mächtig Traffic. Zustimmend dachte auch ich, sequentieller Bücherkauf entspricht tatsächlich nicht der Natur des Homo Legens, denn der ist immer auch Homo Colligens. In meinem Leben mit Büchern tanze ich quietschfidel auf der Borderline zwischen biliophil und biblioman. Dies impliziert selbstverständlich parallele, also gehäufte Bücherkäufe. Was nebenbei, wenn die Kontrolle verlorengeht, sehr gefährlich werden kann, wie bei Carlos María Domínguez nachzulesen ist. (Aber was ist ein Leben ohne Gefahr?!)
Ein Raum ohne Bücher ist ein Körper ohne Seele.
(Marcus Tullius Cicero)
(M)eine Bibliothek ist der Spiegel (m)einer Seele, behauptet Cicero indirekt. Und der Volksmund verspricht: »Zeige mir, was du liest und ich sage dir, wer du bist.« (Sage niemand, er prüfe in fremden Wohnungen nicht gerne die Bestände und verschaffe sich ein Bild.) So ist die Bibliothek nach aussen Visitenkarte, aber nach innen dient sie der Vergewisserung und dem Aufbruch, ist Ruheraum und Abenteuerspielplatz zugleich. »Hast du das alles tatsächlich gelesen?« »Nein, natürlich nicht!« Denn mit der Bibliothek schlage ich ein Basislager auf, sammel Vorräte, schaffe einen Hort der Möglichkeiten, verorte mich.
Eine Bibliothek besteht nicht notwendig aus Büchern, die man gelesen hat oder auch nur eines Tages lesen wird, das sollte man unbedingt betonen. Das sind Bücher, die wir lesen können. Oder die wir lesen könnten; selbst wenn wir sie nie lesen werden.
(Jean-Claude Carrière)
Der Bibliothek wohnt der Wunsch nach Systematik inne. Notwendige Strenge und Ordnung aber erfordert nur der öffentliche Wissenspeicher, damit jeder finde, was er sucht. Die private Bibliothek dagegen ist ein lebendiger Organismus, dessen Herz im Takt des Besitzers schlägt. Seine wechselnden Vorlieben, sein schwankender Geschmack, die gesamte mäandernde Biografie evolutionieren ein fraktales Chaos aus Lust und Laune. Bei mir herrsche bitte Ordnung in der Unordnung und Unordnung in der Ordnung.
Jedes Ding an seinem Platz und jedem Platz sein Ding und umgekehrt; zwischen diesen Spannungsfeldern, dem einen, das den Schlendrian begünstigt, die zum Anarchismus neigende Gutmütigkeit, dem anderen, das die Tugend der tabula rasa preist. (…) Dreiviertel meiner Bücher sind niemals richtig eingeordnet […] einstweilen trage ich sie von Raum zu Raum, stelle sie von einem Regal ins andere, lege sie von einem Stapel auf den anderen, und es kommt vor, dass ich drei Stunden nach einem Buch suche, ohne dass ich es finde, dabei aber die Genugtuung erlebe, sechs oder sieben andere zu entdecken.
(Georges Perec)
Noch köstlicher ist, die Bibliothek mit einer lieben Partnerin oder einem Partner zu teilen, gemeinsam an der geordneten Unordnung zu arbeiten. Da bilden sich Blöcke der Vorlieben, werden Schreine für Säulenheilige eingerichtet, verstecken sich äußerlich unscheinbare Zeugen vergangener Lieben, künden zerfledderte Buchruinen von Leiden und Leidenschaft. Private Kanones bilden sich aus, befruchten und durchdringen sich, stetig pulst und wächst der Bücherspeicher.
Bibliotheken rechnen sich nicht, aber sie zahlen sich aus.
(Anonym)Wer bereits auf Erden die Qualen der Hölle kennen lernen möchte, der verkaufe seine Bibliothek!
(Alexander von Humbold)
Er besaß ihrer nämlich 20.000 Bände, Tieck 16.000 und Schopenhauer 10.000. Bei uns sind’s 1.500 (über den Daumen). Verkauft wird nicht, aber eingekocht, wie bei einer guten Sauce. Bei jedem Neuzugang zwei alte Bände zu entfernen, reduziert die Bibliothek in absehbarer Zeit auf die wesentliche Essenz. (Wer mag, treibe das Spiel bis kurz vor das bittere Ende, dann bleibt ein Buch; das Buch?!) Übrigens: Selbst wegwerfen darf man Bücher, um nochmals den geschätzen Kaffeehaussitzer zu zitieren.
Wieviele Bücher kann 1 armes Menschengehirn, wie es zur Zeit (ich meine biologisch) gebaut ist, überhaupt beherrschen=verwalten? / Sehr großzügig gerechnet liest »man mit Verstand« vom 5. – 25.000. Lebenstage; d.h. pro Tag 1 Band angenommen (wiederum großzügig; das setzt Zeit & Lesebegabung voraus) könnte man 20.000 Bücher zu sich nehmen, (gleich 0.1% der vorhandenen).
(Arno Schmidt)
Ergo: der Bücher sind genug für die verbleibende Lebenszeit. Übrigens: Wie mir der sequentielle Bücherkauf fremd ist (s.o.), so fremd ist mir auch das sequentielle Lesen. Es sind immer mehrere Bände parallel in Gebrauch, und sei es nur zum überfliegenden Queren. Was aus unseren Büchern einst wird, wenn wir nicht mehr sind, beunruhigt mich nicht. In der Gegenwart gilt es, von ihnen Rendite einzufordern, nicht, sie in einer möglichen Zukunft zu vererben.
Man fühlt sich in der Bibliothek wie in der Gegenwart eines großen Kapitals, das geräuschlos unberechenbare Zinsen spendet.
(Johann Wolfgang Goethe)
(Verzeiht dieses kleine (vielleicht auch peinliche) Privatissimum. Es wurde ausgelöst vom streifenden Morgenlicht und das darin verborgene Glück des Augenblicks vermitteln ein Foto und ein stammelnder Text nur ungenügend.)