Es wird überleben! – Ein Gespräch über die Zukunft des Buches
Eine Bibliothek besteht nicht notwendig aus Büchern, die man gelesen hat oder auch nur eines Tages lesen wird, das sollte man unbedingt betonen. Das sind Bücher, die wir lesen können. Oder die wir lesen könnten; selbst wenn wir sie nie lesen werden.
Jean-Claude Carrière
Die große Zukunft des Buches. Zwei alte, weise Männer unterhalten sich über Bücher und Bibliotheken. Beide sind leidenschaftliche Leser und Büchersammler, hochgebildet und kultiviert. Der Leser sitzt stumm neben ihnen am Tisch und lauscht einem Gespräch, das niemals polemisch wird oder herablassend. Allenfalls leise Ironie schleicht sich ein und eine gehörige Portion Altersweisheit. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Buches werden abgehandelt. Umberto Eco und Jean-Claude Carrière nehmen, angestoßen durch kluge Fragen und Einwürfe von Jean-Philippe de Tonnac, den Leser (und Zuhörer) mit auf eine Zeitreise von der Papyrusrolle über Gutenberg bis hin zum E-Reader und digitalisierten Bibliotheken im Internet, laden ein zu einem Streifzug durch die Kulturgeschichte der Menschheit. Sie diskutieren auch über den schmalen Grad zwischen Bibliophilie und Bibliomanie, was lustauflesen.de besonders zu schätzen weiß.
Zutiefst beruhigend ist, dass die beiden keine pädagogischen Vorschläge machen oder große kulturpolitische Thesen aufstellen. Sie plaudern, ganz persönlich, über das Lesen, das Büchersammeln, die Angst vor dem Feuer, die Liebe zu Büchern, das Sortieren von Sammlungen und berichten über die Faszination großer Bibliotheken. Das Buch ist für beide einfach eine der größten Erfindungen der Menschheit.
Das Buch ist wie der Löffel, der Hammer, das Rad oder die Schere: sind diese Dinge erst einmal erfunden, lässt sich Besseres nicht mehr machen.
Umberto Eco
Umberto Eco und Jean-Claude Carrière spielen keinesfalls die Rollen verwegener Yedi-Ritter in der Gutenberg-Galaxie, die alte Werte bärbeissig verteidigen und alles Neue bekämpfen. Sie diskutieren zum Beispiel sehr ernsthaft, ob und wann es Sinn macht Krieg und Frieden auf einem E-Reader zu lesen. Elektronische Lesegeräte können durchaus die Welt verändern, räumen sie ein, aber was geschieht beim großen Blackout? Und Umberto Eco erzählt schmunzelnd davon, dass er viele seiner Texte auf alten Disketten heute am neuen Computer dank «technischer Fortschritte» nicht mehr lesen kann, seine vergilbten Manuskripte auf Papier aber alle Zeiten überdauern, und zwar lesbar. Doch das ist nur eine kleine Facette des Gespräches, eine von sehr, sehr vielen. Beide, Eco und Carrière, sind keineswegs eines verbohrten Medien-Traditionalismus verdächtig, sie wägen ab, vergleichen und ziehen Schlüsse. Am Ende siegt, zumindest bei ihnen und im Augenblick, das Buch.
Bücher und Bibliotheken sind eine Odyssee des menschlichen Geistes. Nie führen sie auf direktem Weg zum Ziel, sie nehmen Umwege, Irrwege und landen in Sackgassen. Beide, Eco und Carrière, sind große Anhänger der Dummheit und der Ignoranz. Gerade die Autoren, die sich dem Irrweg verschrieben haben und mit ihrer Dummheit ganze Bibliotheken füllten, haben den menschlichen Geist vorangebracht und indirekt das Wissen über die Welt vermehrt. Dieser (recht umfängliche) Teil des Gespräches ist besonders amüsant und erhellend. Nichts wirke inspirierender als Dummheit, Ignoranz, Zensur, Inquisition und Nachlässigkeit. Denn Werke von Rang haben sich gerade und besonders dann zielsicher durchgesetzt, wenn alle Bemühungen darauf gesetzt worden sind, sie zu unterdrücken. Die Büchern und Bibliotheken innewohnenden Mechanismen des Überlebens funktionieren verläßlich. Das war so und wird so bleiben.
Gleiches gilt für das Feuer, sei es absichtlich an die Bücher gelegt oder als eine nicht abwendbare Katastrophe über die Bibliotheken hergefallen. Der Brand der Bibliothek von Alexandria etwa hat viele Exemplare bedeutender Werke vernichtet, aber nicht die Werke selbst, die meisten (vielleicht alle, man kann niemals sicher sein) haben in Form anderer Einzelexemplare an anderen Orten überlebt. Genauso gewiss ist, dass viele unsägliche Schmöker und Wälzer ein Raub der Flammen wurden, von denen wir gar nichts wissen wollen und die verzichtbar sind. Das Schicksal der Bibliotheken und der Bücher ist von je her ambivalent, schwankend und nicht vorhersehbar. Das macht sie interessant und deshalb haben sie eine große Zukunft.
Die große Zukunft des Buches ist lehrreich und amüsant, ein gedankensprühendes, erhellendes Gespräch über das Wohl und Wehe des Buches, angesichts stets neuer Herausforderungen. Wer das Buch als Gegenstand liebt, wird begeistert sein, und es ist nicht auszuschließen, so Jean-Philippe de Tonnac, «dass es bei den Besitzern von E-Books einige Nostalgie wachrufen wird.»
Ein kleiner persönlicher Nachtrag. Warum hier und jetzt dieser Beitrag? Die große Zukunft des Buches ist einer dieser überraschenden Regalfunde. Man streift am Bücherbord entlang und plötzlich steht da dieses Bändchen, das man irgendwann gekauft, vielleicht sogar gelesen, dann aber wieder vergessen hat. Was folgt ist zwangsläufig: herausziehen, aufschlagen, anlesen, hängen bleiben. Deutlicher noch als nach der ersten Lektüre drängt sich nach der zweiten die Erkenntnis auf: das Buch wird bleiben, selbst dann wenn wir neue, technische Entwicklungen zulassen und nicht verteufeln. Besonders tröstlich ist, dass diese Botschaft zwischen zwei Buchdeckeln vermittelt wird.
Ein Gespräch mit Jean-Philippe de Tonnac
Aus dem Französischen von Barbara Kleiner
Taschenbuch, 288 Seiten
München: Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv) 2011
Diese Ausgabe ist leider nur noch antiquarisch erhältlich
Aber die gebundene, zuerst 2010 im Hanser Verlag erschienene Ausgabe kann noch regulär im Buchhandel erworben werden, zum Beispiel hier bei buchhandel.de.
Jean-Claude Carrière, geboren 1931, ist einer der bedeutendsten französischen Drehbuchautoren und Schriftsteller. Er arbeitete u.a, mit Jacques Tati, Luis Bunuel, Louis Malle, Volker Schlöndorff und Milos Foreman. Er ist Präsident von «La fémis», der Hochschule für Film und Audiovision in Paris.
Umberto Eco, geboren, 1932, lehrte Semiotik an der Universität von Bologna und verfasste zahlreiche Schriften zur Theorie und Praxis der Zeichen, der Literatur, der Ästhetik und der Kunst. Sein erster Roman «Der Name der Rose» machte ihn weltberühmt; weitere bedeutende Romane folgten.