O, schwöre nicht beim Mond, dem Wandelbaren – Ein Lunarium von Joachim Kalka
Wenn Sie auf dem Mond leben müssten, was würden Sie am meisten vermissen? – Mondschein!!
So hat Arno Schmidt einmal auf eine Zeitungsumfrage geantwortet. Eine für den Bargfelder Haidedichter typische – und nur zu konsequente – Replik, spickte er doch seine Romane und Erzählungen mit allerfeinsten und ausgefallenen Mondmetaphern. Auf der anderen Seite kreidete er seinen schreibenden Kollegen gerne falsche Mondauf- und –untergänge, sowie falsche Mondphasen an. Und er fand viele astronomische Fehler bei den großen, alten Dichtern. Dass immer, wenn Liebende sich still vergnügen, der Vollmond sanft über die Wipfel linst, ob’s passt oder nicht, war (und ist) den Schriftstellern egal. Schmidt nicht. Er selbst ließ einen seiner Roman gar zur Hälfte auf dem Mond spielen, wenn auch nur in der Phantasie: Kaff auch Mare Crisium.
Auch in Joachim Kalkas Mondbuch hat Arno Schmidt einen Auftritt. Er ist einer von sehr, sehr vielen Schriftstellern und Dichtern, die Kalka in seiner knappen, aber luziden Mondmonographie zitiert. Ein Büchlein, so geheimnisvoll, milde leuchtend und betörend wie der große Gesteinsbrocken am Himmel über uns.
»Oh, schwöre nicht beim Mond, dem wandelbaren«, möchte man wie Julia ausrufen. Denn ach, wie wandelbar ist doch der uns so nahe stehende Himmelskörper.
Der Mondschein ist romantisch-idyllisch, doch gleich hinter seinem Schleierglanz beginnt die Unheimlichkeit.
(Joachim Kalka)
Im Mittelalter galt sein fahles Licht als Magnet für das Böse, das Zwielichtige und Geheime. Sein ständig wechselndes Antlitz irritierte und lockte das Bedrohliche. Der Werwolf fürchtet den vollen Mond und leidet, der Vampir zieht sein silbergraues Licht dem grellen Schein der Schwester Sonne vor. Der Schlafwandler ist dem Mond ausgeliefert und der Verrückte ist im Englischen der »lunatic«. Andererseits; wie schön leuchtet der volle Mond den Liebenden und Senhnsüchtigen oder spendet mildes Licht in mannicherlei romantischen Momenten.
Joachim Kalka hat sich auf die Spuren des Mondes in der Literatur begeben. Entweder hat er für seinen Text monatelang akribisch recherchiert und hunderte Bücher gewälzt oder er ist ein überaus belesener und sehr kluger Mann. (Die Wahrheit wird, wie meist, in der Mitte liegen.) Egal wie er es angestellt hat, das Ergebnis ist schlicht beeindruckend. Der Mond ist ein kulturhistorischer Überblick, wertvoll wie ein Stückchen Mondgestein. Vielfältig sind die Erwähnungen, Gedanken, Spiegelungen des Mondes, die Kalka in Poesie, Prosa und Dramatik aufzuspüren vermochte.
Jede umgeschlagene Seite enthüllt neue Erkenntnisse über das Zwitterwesen am Firmament, mal lockende Frau Luna, mal der Mann im Mond, ganz Antlitz ohne Körper. Dornbusch und Laterne, das ist der Mondschein im Sommernachtstraum, Shakespeare noch einmal, dargestellt von den tumben Handwerkern. Wie anders das Licht und der Zauber bei Titania und Oberon, den Geistern des Waldes. Dieser unergründbaren Ambivalenz des Mondenen setzt Kalka (s)ein Denkmal.
Nicht die Systematik wählt Joachim Kalka als Leitschnur, nein, er geht absichtsvoll assoziativ vor. Sein Text mäandert von einer lunaren Erscheingsform zur nächsten, läßt sich treiben und sich von sich selbst überraschen, liest rechts und links neben dem Weg unzählige Fundstücke auf. Kalkas Ausführungen sind ebenso sachlich, wie poetisch. Keine Überschriften und Kapitel stören den Fluss auf den gerade mal 100 Seiten. Auch die Entzauberung des Mondes durch die exakten Wissenschaften streift er, die Eroberung des Mondes durch den Menschen und den (Alb)Traum eines (bevorstehenden) Lunartourismus.
Dieser Essay ist schimmernd und rätselhaft wie der Mond selbst und taucht unseren fremd-vertrauten Nachbarn in sanftes Licht, auf dass wir erkennen welches Geheimnis über uns schwebt. Schmaler Umfang, großer Inhalt. Der Mond von Joachim Kalka sollten alle lesen, die jemals sehnsuchtsvoll, und sei es noch so verstohlen und heimlich, zum Mond aufgeblickt haben. Kalka in seinen Gedanken zu folgen, bereitet enormes Vergnügen und damit alles stimmt, hat der Berenberg Verlag dem Büchlein ein famoses Kleid verpasst mit Leinenrücken, Fadenheftung, angnehm getöntem Papier, feinem Satz und Druck. (Aber das machen die Berenbergs ja bei all ihren schönen Büchern!)
Ein kulturhistorischer Essay
Gebunden, fadengeheftet 104 Seiten
Berlin: Berenberg Verlag 2016
Informationen zum Buch auf der Webseite des Verlages
Hier eine kleine Zugabe aus meiner bibliophilen Sammlung. An den Mond von Johann Wolfgang von Goethe.
An den Mond
Füllest wieder ’s ganze Tal
Still mit Nebelglanz
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz(…)
Faksimilie der ersten Reinschrift des Gedichtes aus einem Brief an Charlotte von Stein, versehen mit den Noten zur ersten Strophe nach einer Komposition von Philipp Christoph Kayser (1755-1823). (Hier der Text im Projekt Gutenberg.)
Bildnachweis: Mondaufgang über der Mojave Wüste: Foto von Jessie Eastland | Quelle Wikimedia Commons | CC-BY-SA-4.0