Im Zentrum steht das Sohnesopfer – Ein Gespräch mit Michael Roes über »Zeithain«
Dass Zeithain, Michael Roes’ ebenso opulente wie feinsinnige Preußenphantasie, zu den bemerkenswertesten Neuerscheinungen des vergangenen Literaturherbstes gehörte, habe ich bereits mehrfach betont und warum das so ist, in einer ausführlichen Besprechung dargelegt. Auf der Frankfurter Buchmesse 2017 hat sich Michael Roes Zeit genommen, entlang meiner Fragen einige Aspekte des Romans und seiner Beschäftigung mit dem Preußenmythos von Kronprinz Friedrich und seinem Freund Katte ausführlicher zu erläutern.
lustauflesen.de: Zeithain erzählt drei Vater-Sohn-Geschichten. Im Zentrum steht der Konflikt von Kronprinz Friedrich mit seinem Vater Friedrich Wilhelm, aber auch Katte, Friedrichs Freund, hat ein problematisches Verhältnis zu seinem Vater. Und in der Rahmenhandlung stößt der Erzähler Philip Stanhope auf Geheimnisse in der Vergangenheit seines Vaters. Diese Vater-Sohn-Beziehung ist ebenfalls überschattet. Alle drei Konflikte sind geprägt von Unterdrückung, von Versuchen des Abnabelns und Loslösens und von Hass und Auflehnung. Aber immer auch vom Weiter-lieben-wollen. Wie sehr war das ein Grundanliegen, diese Vater-Sohn-Geschichten ins Zentrum der eigentlichen Lebensgeschichte Kattes zu rücken?
Michael Roes: Der Ursprung liegt im Motiv des Sohnesopfer. Die Beschäftigung damit reicht zurück in meine Studienzeit, an dessen Ende ich über das Sohnesopfer von Abraham und Isaak promoviert habe. In diesem Kontext stieß ich auf die Katte-Tragödie. Sie führt in neuzeitlicher Form, in beispielhafter Vollkommenheit vor, was ich auch schon bei dem Abraham-Isaak-Komplex versucht habe herauszuarbeiten. Nämlich die Verschränkung zwischen Sexualität, Verlangen und Opfer. Das Opfer ist eine Art negativer Vereinigung mit dem Geliebten, dem man real nicht nahekommen darf, aus welchen Gründen auch immer. Das Opfer ist ein Akt symbolischer Verschmelzung.
Bei Abraham und Isaak ist mir das schlagartig klargeworden beim Betrachten der Darstellung von Caravaggio. Der Maler hat seine Darstellung jeder Metaphysik beraubt, sein Bild zeigt tatsächlich eine Vergewaltigung. Abraham als ein geiler, alter Mann mit beinahe priapeisch wirkender Glatze drückt den nackten Isaak mit Gewalt auf einen Stein. Der Junge bietet seinem Vater das Gesäß dar, und fast wie ein Phallus droht das Messer sich in seinen Körper zu bohren. Caravaggio hat als Künstler und sensibler Zeitgenosse sofort verstanden, was hinter dieser Opferung steckt. Hundert Jahre hat Abraham auf diesen Sohn gewartet, nun, da er endlich da ist, ist er bereit für Gottvater, also für seine eigene Vaterfigur, diesen geliebten Sohn zu opfern. Abraham ist unfähig, seinem eigenen Übervater zu widersprechen und zu sagen: Wenn du das von mir verlangst, bist du nicht mehr der liebe Gott, an den ich glauben will, sondern dann bist du ein böses Prinzip, von dem ich mich nicht korrumpieren lasse. Ich glaube, seit sich der Monotheismus in der westlichen Welt durchgesetzt hat, der uns Abraham als Urbild des Glaubens hinstellt, ist dieses Prinzip des Sohnesopfer aufgrund Gehorsams wem auch immer gegenüber ein durchgängiges Motiv. Es zieht sich durch 2000 Jahre abendländischer Geschichte, bis hin zu den Schlachtfeldern des ersten und zweiten Weltkrieges, wo die Söhne massenhaft auf den Altären des Vaterlandes geopfert wurden.
lustauflesen.de: Was war zuerst da, die Idee von Katte zu erzählen oder die Rahmenhandlung? Denn die ist essentiell, weil Philip, der Erzähler des Rahmens, die Kattegeschichte ja erst imagniert. Der Rahmen somit überhaupt erst die Motivation liefert, von Katte und seinem Leben zu erzählen.
Michael Roes: Natürlich war die Kattegschichte von Anfang an da und sie war eng verbunden mit der Geschichte von Abraham und Isaak. Schon als Kind war mir Abraham unheimlich. Ich empfand es als grotesk, mir diesen Mann, der bereit ist seinen eigenen Sohn zu ermorden, als Vorbild anzuerkennen. Genauso in der Kattegeschichte: bis heute preisen viele Menschen die Entscheidung Friedrich Wilhelms, Katte hinzurichten, als eine Art Staatsräson, die klar das Recht durchsetzt und sich nicht von der eigenen Familienbande korrumpieren läßt. Aber das ist eine Fehldeutung, denn der König beugt das Recht. Zweimal plädierte das von ihm eingesetzte Kriegsgericht für lebenslange Haft und nicht für die Todesstrafe. Sein Motiv war, soldatische Strenge als Vorbild hinzustellen und jegliche unbewusste Dynamik im Hintergrund zu verdrängen. Die Geschichte, so wie sie erzählt und historisiert wurde, verschweigt, woher der tiefe Hass Friedrich Wilhelms auf seinen Sohn kommt. Katte ist eine Art symbolisches Opfer. Bei dieser mythischen, deutsch-preußischen Geschichte erscheint, anders als bei Abraham und Isaak, kein Engel mit einem Schafbock und deshalb muss Katte als Ersatzopfer herhalten. Es wird nie klar, ob nicht das eigentliche Opfer doch Kronprinz Friedrich sein sollte, weder ihm selbst, noch seinem Vater. Friedrich wird zwei Jahre in Küstrin inhaftiert und im Unklaren gelassen, ob er nicht der Nächste ist. Aus scheinbarem Gehorsam einem höheren Gesetz gegenüber wird ein grausames Opfer gerechtfertigt, obwohl es kein Verbrechen gibt. Katte und Friedrich sind unschuldig wie Isaak, sie haben nichts verbrochen, sie sind Opfer ihrer Umstände. Katte sogar doppelt, denn auch Friedrich missbraucht ihn, indem er den Freund dem enormen Loyalitätskonflikt aussetzt, als Gendarm eigentlich dem König mit Leib und Ehre verantwortlich zu sein, und gleichzeitig den Freundschaftsdienst zu erbringen, Friedrich bei der Desertation zu unterstützen. Diese Geschichte hat mich berührt, weil sich in ihr alle grausamen Vater-Sohn-Geschichten beispielhaft kristallisieren. Fontanes Diktum, dass wir das immer nur aus Friedrichs Perspektive sehen und resümieren, der Kronprinz sei dennoch Friedrich der Große geworden, hat mich zusätzlich motiviert, dieser Traumatisierung nachzugehen. Denn nicht trotzdem, sondern gerade deswegen wurde Friedrich zu Friedrich dem Großen, weil er ein falsches Leben geführt hat und Katte nachträglich ebenfalls zum Opfer macht. Bei der Recherche überraschte mich, wie interessant dieser Katte ist, obwohl wir so wenig Verlässliches über ihn wissen. Von heute aus betrachtet, wirkt er eher wie ein zeitloser Held und weniger wie eine Figur in einem historischen Kontext. Friedrich wählte ihn zum Freund, weil schon seine Zeitgenossen ihn als besonders wahrgenommen haben. In kleinen, bösartigen Charakterisierungen beschreibt Friedrichs Schwester Hermine Katte als gottlos, undiszipliniert, aufsässig und ein bisschen unheimlig. Ich betrachte das eher als positive Zuschreibungen. Er war jemand der sich trotz pietistischer Kadettenanstalt und Erziehung durch einen sehr strengen, sadistischen Vaters nicht hat verbiegen lassen und frei zu denken lernte, nicht zuletzt auch aufgrund seiner ausgedehnten Kavaliersreise durch Frankreich und England. Friedrich fühlte sich zu Katte hingezogen, weil er von all den Soldaten um ihn herum einer war, der innere Freiheit verkörperte. Den relativ großen Altersunterschied machten die musischen Gemeinsamkeiten wett. Instinktiv klug wählte Friedrich einen Freund von dem er wusste, dass der sich im Loyalitätskonflikt für die Freundschaftsseite und nicht für den Gehorsam gegenüber dem militärischen Kodex entscheiden würde.
lustauflesen.de: Kaum verlässliche Fakten viel Spekulation: Mussten Sie deshalb die Rahmenhandlung installieren?
Michael Roes: Dieser preußische Mythos spukte mir lange im Kopf herum. Daraus einen Roman zu machen allerdings fiel mehr schwer, denn es war ja nicht meine Geschichte, sondern unserer aller Geschichte, eine deutsche Tragödie. Mir war klar, wenn ich mich daran wage, muss diese Geschichte aushalten, dass alle sie als ihre eigene lesen und genau prüfen, was der Roes daraus gemacht hat. Auch weil sie unglaublich viel Kontextwissen erfordert und damit hohen Rechercheaufwand, habe ich sie lange liegengelassen und mich nicht herangetraut. Wie war die Zeit, wie haben die Menschen gelebt, gesprochen, wie haben sie sich gekleidet, was prägte die zum Teil weit auseinanderliegenden Orte und was machte ihre bereits in ihrer Zeit sehr unterschiedlichen Kulturen aus? Die entscheidende Frage schließlich war, in welcher Sprache schreibt man sowas? Ungeheurer Respekt vor der Aufgabe, ließ mich lange zurückschrecken. Vor einigen Jahren, nach vielen vorangegangenen Büchern, die alle in gewisser Weise auch einen anthropologische Hintergrund haben – und auch diese Kattearbeit ist auf gewisse Art eine historische Anthropologie, tiefengeboren in der Zeit – war die Geschichte dann plötzlich in meinem Kopf. Gleichzeitig war mir klar, es durfte keine historische Kattebiographie sein. Es musste ein Roman sein, in dem all die Leerstellen, die dieses Leben umgeben, mit romanhafter Empathie gefüllt werden. Nicht zuletzt, um mich abzusichern gegen Leute, die dann kommen und kritisieren, historisch stimme dieses und jenes nicht. Gerade weil es auf das Historische nicht ankam, habe ich diese Rahmenhandlung entwickelt, die einerseits die Kattegeschichte schützt, den Leser an die Hand nimmt und in die Geschichte dieses Menschen hineinführt, der dreihundert Jahre entfernt ist aber so nahe kommt, wie je nur ein Zeitgenosse das kann. Andererseits dient der Rahmen als ironischer Zerrspiegel. Die Kattegeschichte ist realistisch erzählt, aber sie ist nur eine mögliche Geschichte, ein Roman. Damit niemand glaubt, es sei die Geschichte schlechthin, mache ich sie zu Philips Preußenphantasie, zu seiner Kattephantasie. Vieles darin ergibt sich aus Stanhopes epileptischen Gehirngewittern, die Surreales mit Realen vermixen, zum Beispiel in der Schilderung der Zerstörung Königsbergs. Wer genau hinschaut, bemerkt seine mephistophelischen Züge. Das Verrückte ist ja, dass weniger die aufmerksamen Leser, aber die Kritiker, die oft keine aufmerksamen Leser sind, das Surreale an dieser Gestalt nicht wahrgenommen haben oder wahrnehmen wollten und ihnen wichtige, kontextuelle Bezüge etwa bei den Metaphern vom Engel oder Koyoten entgangen sind. Da sind wir nämlich zum einen beim Engel von Abraham und Isaak, der hier aber im Rilkeschen Sinne ein schrecklicher Engel ist, keiner der das Ersatzopfer annimmt. Zum anderen sind wir beim Koyoten, der als klassische Trickster-Figur permanent die Gestalt wechselt und doppelzüngig redet. Diese körperlich gewordenen, irritierenden Metaphern federn die sehr anrührenden und sentimentalen Passagen in der Kattegeschichte ab. Philip Stanhope reisst den Leser aus der Imagination und wiederholt unablässig: das ist ein Roman, ist ein Roman ist ein Roman.
lustauflesen.de: Sie muten ihren Lesern allerdings einiges zu. Wenn z.B. Philip seine Bettlaken im Hotel vollblutet, was auf das Grabtuch Christi anspielt und diese Anspielung gleichzeitig ironisch gebrochen wird, sind direkte Bezüge zur eigentlichen Katte-Erzählung ad hoc kaum noch zu entdecken.
Michael Roes: Philips Sprachduktus und damit die gesamte Rahmenhandlung ist hochironisch und konterkarierend. Überhaupt, wer Berlin kennt, der weiß, es gibt weit und breit keine gottlosere Stadt. Die Mystifizierung dieser Stadt, sie zum Inbegriff eines Wallfahrtortes zu machen, trieft vor Ironie und mich wundert, dass sich einige damit so schwer tun und pedantisch herummäkeln. Andererseits ist genau das eine Funktion des Rahmens: wenn es zu kritisierende Punkte gibt, dann bei Philip Stanhope; der schützt genau damit die Kerngeschichte.
lustauflesen.de: Was mich mehr irritiert hat als die karikaturenhafte Ironie der Rahmenhandlung, ist ihr abruptes Ende.
Michael Roes: Stanhope stirbt nicht mit 26 wie Katte, er lebt weiter. Und doch ist seine Geschichte auserzählt, nachdem er das Geheimns seines Vaters aufgdeckt hat und an dem Ort steht, an dem Katte sein Leben verlor. Damit verläßt er den Bereich der Vater-Sohn-Komplexe. Für seine umgekehrte Kavaliersreise hat Philip zwei Motive: das eine ist, aufgrund der vorgefundenen Briefe den Spuren seines entfernten Verwandten nachzuspüren. Das zweite ist die Entdeckung, wie sehr auch sein eigener Vater seine Geheimnisse gehütet und vor dem Sohn versteckt hat. Philips Biographie sollte nicht zu sehr in den Vordergrund rücken, Katte nicht den Raum und die Aufmerksamkeit streitig machen. Deshalb bricht sie ab. Aber nochmals, ohne die Rahmenhandlung wäre mir der Stoff entglitten, dann läge vor uns nur ein historisierender Text, der kaum noch als Roman wahrgenommen worden wäre. Dann hätte sich die Kritik, die Rezeption überhaupt, nicht auf das Literarische konzentriert, sondern nur auf Authentizität und historische Wahrheit. Mich interessiert aber die innere Wahrheit, das Seelendrama im Hintergrund all dieser Figuren. Die lässt sich ausschließlich mit poetischen, romanhaften Mitteln herausarbeiten, sich lediglich an historisch verifizierten Daten entlang zu hangeln hilft da kaum.
lustauflesen.de: Die Tragödie von Friedrich und Katte gilt auch als ein traditionsstiftender Mythos der Schwulenbewegung. Wie beschreibt man das Verhältnis der beiden richtig? Hatten sie ein homoerotisches Verhältnis, hatten sie Sex? Das sind historisch nicht zu klärende Fragen. Ihr Roman geht damit sehr behutsam um. Eine ins körperliche reichende Beziehung der beiden deuten Sie lediglich an, lassen allenfalls Gesten, Berührungen und Annäherungen zu, die niemals eindeutig oder gar explizit sind. Andererseits wird auch Philip Stanhope in der Rahmenhandlung mit einer verheimlichten, homosexuellen Beziehung seines Vaters konfrontiert.
Michael Roes: Ich erzähle eine Geschichte der Körper. Die Gesellschaft der Zeit von Katte und Friedrich, aber auch die von Stanhopes Vater als alliierter Soldat im Nachkriegsdeutschland und viele Gesellschaften in unserer Zeit sind homosoziale Gesellschaften. Männer unter sich, Männer beim Militär, Männer, die unverheiratet sind und für die es keinen unehelichen Sex gibt. Im Berlin zu Friedrichs Zeiten gab es keine Prostitution, denn alles, was nur entfernt nach Lust riecht, hatte Friedrich Wilhelm aus Preußen verbannt. In dieser homosozialen Gesellschaft gab es folglich keine andere Möglichkeit der Nähe, als die zum eigenen Geschlecht. Das ist zum Beispiel in Teilen der arabischen Welt bis heute so. Deshalb bin ich vorsichtig mit unseren Etiketten, die etwas Anderes und sehr Konkretes umschreiben. Die Sehnsucht nach Nähe in diesen homosozialen Gesellschaften kennt keine Grenzen nur solange, bis man sie benennt, sie öffentlich wird. Erst dann hat sie Konsequenzen, wird Teil des Alltags. Seit wir in Höhlen leben, geschehen nachts im Dunkeln Dinge, die mit dem Körper zu tun haben, die aber einfach nicht benannt werden. Auch bei Katte und Friedrich gab es diese Nähe, diese Freundschaft und es gab Gelegenheit. Die Soldaten haben immer zusammen geschlafen, und ob man sich dann im Rausch oder Halbschlaf umarmt oder anderes geschieht, ist gar nicht zentral. Es wird erst in dem Augenblick zum Thema, das ist bis heute so und keineswegs nur in der arabischen Welt, wenn die Dinge öffentlich und benannt werden. Das ist das eigentliche Drama der Katte-Geschichte: Der König benennt Dinge, egal ob sie passiert sind oder nicht. Er zerrt etwas aus dem Dunkel, wenn er vor dem versammelten Hochadels Europas seinen eigenen Sohne effiminiert schimpft; und jeder weiß, was damit gemeint ist. Es ist egal, was Soldaten unter sich machen, solange sie gute Soldaten sind, aber jetzt muss man sich dazu verhalten. Das ist das Dilemma. Und deshalb bleibe ich im Text diskret und respektvoll, weil ich nichts unterstellen will, weil ich nichts weiß, sondern nur aus meiner eigenen Lebenserfahrung heraus spekulieren kann. Am weitesten wage ich mich vor in einer Puffszene bei den Gendarmen, die andeutet, wie das dann läuft oder nicht läuft. Eine pietistische, prüde Gesellschaft hat die jungen Männer damals zutiefst verunsichert, nicht überall in Europa, aber gerade in Preußen. In die habe ich mich versucht hineinzuversetzen und stelle mir vor, dass es so war wie heute noch in vielen Teilen der Welt, wo junge Männer keine Möglichkeit haben, Nähe und Sexualität ohne Sanktion und Ächtung auszuprobieren.
lustauflesen.de: Abschließend eine Frage zum eigentlichen Schreibhandwerk. Für Zeithain haben sie zwei sehr unterschiedliche Sprech- und Erzählhaltungen entwickelt, die vom Surrealen geprägte und ironisch aufgeladene der Rahemnhandlung und die eigentliche Katteerzählung, die sich der Sprache und Literatur des 18. Jahrhunderts annähert, ohne sie platt zu imitieren. Entsteht dabei der Text in einem Rutsch oder in getrennten Arbeitsphasen?
Michael Roes: Bei meiner Art zu schreiben gibt es drei große Phasen. Die erste ist: lesen, lesen, lesen. Und bei diesem Roman habe ich sicher zwei Jahre lang enorm viel gelesen. Dann beginne ich, Material zu sammeln, sehr wahllos kommt da eins zum anderen, keinesfalls chronologisch oder spezifischen Szenen zugeordnet, jede Blokade oder Vorsortierung versuche ich zu verhindern. Viel Material lieferten meine Reisenotizen, denn ich habe die im Buch beschriebene Reise Stanhopes selbst gemacht. Irgendwann merke ich dann, das Material ist da, allerdings als großer Flickenteppich. Nachdem der exakte Montageplan mit allen Anschlüssen, Schnittstellen und Verschränkungen fixiert vor mir lag, habe ich in der Phase der eigentlichen Ausarbeitung tatsächlich die drei großen Stränge des Buches einzeln geschrieben, also den Rahmen, die Briefe Kattes und die eigentliche Lebensgeschichte.
Bildnachweis: Caravaggio (1571-1610), Das Opfer des Isaak (Uffizien, Florenz) | [Public domain] | Quelle: Wikimedia Commons || Porträt Michael Roes | Foto: © Privat / © Schöffling & Co.