Pause – Das Blatt bleibt weiß und leer
Da sprach der alte Häuptling der Indianer:
Wild ist der Westen, schwer ist der Beruf.
Vor gut einem halben Jahr erschien hier »Ein vorläufiger Abschlussbericht«. Besserung hat sich nicht wirklich eingestellt. Im Gegenteil: »Die Buch- und Literaturblogs sind tot!«, tönt es allenthalben. Gestern noch der heiße Scheiß, werden Blogs heute, so scheint es, abgelöst von Instagram und morgen von Was-auch-immer.
Zutiefst beneide ich alle, die ihre Blogs einfach weiterschreiben, alle die das können und wollen.
Ich kann das (derzeit) nicht. Bücher gäbe es, zu denen ich etwas zu sagen hätte. Aber bereits das Schreiben an sich, der mechanische Akt, mit einem Stift Worte, Sätze, Absätze aufs Papier zu bringen, misslingt. Gedankenbündelung? Fehlanzeige! Wortfindung? Fehlanzeige! Antrieb? Fehlanzeige!
Was hemmt? – Ein Befund
Eine Analyse meiner zurückliegenden Texte beweist: ich surfe auf den lackierten Oberflächen von Texten, statt auf ihre Mechaniken unter der Haube zu schauen. Nur Inhaltsangabe, gepaart mit Impressionen und momentanen Befindlichkeiten. Nichts wird vergrößert unterm Brennglas, allenfalls vergröbert. Die dargestellte Wirklichkeit setze ich bereitwillig gleich mit realem Leben, kommentiere und paraphrasiere diese Gleichsetzung psychologisch, emotional, politisch und nahezu durchgehend unkritisch. Das Programm einer Besprechung bietet dann kaum mehr als einen flotten, auf Inhalt bezogenen Wirklichkeitsabgleich.
Formale Kriterien (Stil/Komposition) ettiketiere ich allenfalls als »gekonnt«, »stimmig«, »meisterlich«, »brillant«. Die Technik und Wirkung der Sprache ordne ich wahlweise als »wunderbar«, »hochpoetisch«, »fein gezeichnet« ein oder (ganz schlimm) als »lapidar«, »beiläufig«. Unterm Strich zählt, ob ich als Leser »überrascht«, »unterhalten«, »angerührt«, »geschockt« oder »überwältigt« bin. Wenn nicht, lautet das Verdikt gerne, dass die Lektüre »langweilt« oder (etwas abgemildert) es eine Autor/in mir »nicht leicht« oder (als Vorwurf) mir »sehr schwer« macht. Nicht selten geraten Beiträge auf »lustauflesen.de« so ins gefährliche Fahrwasser der vielfachgescholtenen Klappentextprosa, ergo in die Nähe oberflächlicher, werbender Empfehlung. (Was Verlage kaum stören dürfte; mich schon.)
Flinke Geschmacksurteile aus flinker Rezeption, um an diesem Punkt unmissverständlich zu sein, sind absolut statthaft! Wer sollte sie verbieten?! ABER: sie beleuchten nur einen kleinen (wenn nicht den kleinstmöglichen) Ausschnitt des Gesamtbildes, erkennen bestenfalls Kunsthandwerk und münden schlimmstenfalls in ungefilterte Harmlosigkeiten und unreflektiertem Jubel. Was bleibt ist Lob (fast nie Veriss) statt Analyse.
Das alles finde ich wiederum nicht nur in meinen Texten, sondern in der Mehrzahl aller Blogs und ebenso in weiten Teilen des (je nach Standpunkt angefeindeten oder geachteten) »Feuilletons«. Das Resultat ist Enui und der Widerwille so weiter zu lesen und zu schreiben. Stattdessen wünsche ich mir, möchte ich mir als Aufgabe stellen: »Die Oberfläche durchstoßen, abtauchen, die Mechaniken der Literatur ins Auge fassen!« Deshalb, um mich, abzukühlen, zu sammeln und zu sortieren, eine Pause.
Was fehlt? – Eine Pausenwanderung ins Theoriegebirge
Ein Text ist ein sprachliches, genauer: ein aus und mit Sprache geformtes Kunstwerk, eine der Wirklichkeit entgegen oder zur Seite gestellte Fiktion. (Und jede Prosa-Fiktion ist zunächst (und vor allem) eine »Lüge«, die mit der Wirklichkeit nichts gemein hat, selbst, wenn sie das behauptet.) Um den Verfahren und Techniken dieser »Lüge« beizukommen, sie zu durchschauen und zu verstehen, klettere ich erneut ins Theoriegebirge. Zu vieles ist verschüttet von den Grundlagen, Methoden, Theorien. Auch deshalb die Pause.
Ja, ich vernehme euren Aufschrei: »Das ist elitär, das nimmt die Lust am Lesen und am Schreiben darüber!« Im Gegenteil: Elitär ist nur der Gedanke, dass ausschließlich Leser mit einer ganz bestimmten kulturellen Vorbildung, literarische Werke schätzen (und beurteilen) könnten. Vielleicht fällt uns dieser Gedanke besonders schwer, weil Literatur, also das »sprachliche Kunstwerk«, selbst aus »einfacher Sprache« besteht. Wir mithin meinen, darüber zu urteilen sei ein Leichtes.
Wer es für sich ablehnt, einer oder einer Kombination von Theorien folgend und ihre Werkzeuge anwendend, Texte zu beurteilen, die/der bleibt dann lediglich einer anderen (meist älteren) Theorie verhaftet. Ich bin der festen Überzeugung, dass Betrachtung von Literatur ohne fest geformte Vorannahmen, ohne feste Kriterien, ohne ein »Quantum Theorie« nicht zu bewerkstelligen ist. Es ist schlichtweg nicht möglich, sich dagegen zu verwahren, zwischen sich (als den/die Leser/in) und den Text eine Literaturtheorie treten zu lassen. Auf einem irgendwie gearteten, »theoretischen Fundament« stehen wir immer.
Wie breit und dick sie/er dieses Fundament ausgießt und stabilisiert, bleibt jeder/jedem frei überlassen. Vom spontanen Geschmacksurteil bis hin zur elaborierten Analyse sind der Möglichkeiten viele. Nur jedes Urteil, egal ob es subjektiv oder objektiv formuliert ist, sollte zu einem Mindestmaß begründet sein. Für einfache Begründungen müssen nicht einmal komplexe Theorien bemüht werden. Eine ehrliche Antwort auf die Frage »Was genau?« »gefällt«, »bewegt«, »hemmt«, »stört« oder »stößt ab« ist weitaus hilfreicher für Leser/innen einer Besprechung als nur die Ausage, dass.
Das »Theoriegebirge« existiert, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. Jede/jeder, die/der sich über eine bloße Inhaltsangabe hinaus mit Literatur beschäftigt und sich (wie elaboriert auch immer) darüber mit anderen austauscht, muss sich ihm stellen. Je nach Wagemut und Forscherdrang kann das mit einem Blick aus der Ferne durchs Beobachtungsglas, einem Spaziergang am Fuß der Flanken oder der Kraxelei in den steilsten Wänden des Massivs geschehen.
Lange Rede – kurzer Sinn
Ich habe beschlossen, aufzubrechen, mein Schrittempo zu erhöhen, weiter vorzudringen in das »Theoriegebirge« und es begleitet mich die Hoffnung, anschließend »lustauflesen.de« erneut (vielleicht auch mit anderen Präsentationsformen und anderer Prägung, aber in jedem Fall informierter) beleben zu können. Vielleicht stürze ich auch ab und bleibe liegen. Aber das werde ich nie erfahren, wenn ich jetzt nicht aufbreche. Nicht loszumarschieren, ließe mich weiter in meiner müden Blog-Starre versauern. Also los!
Ins Marschgepäck packe ich auch das: Die kantigen, sperrigen Texte, die, die es dem »Leser schwer machen«, liegen mir näher am Herzen als andere. Das werden sie auch künftig. Doch ich habe gelernt, Vielfalt ist ausschlaggebend. Literatur (halbwegs objektiv und ehrlich) bewerten kann nur, wer »breit gefächert« liest. Dabei beruhen Einordnung, Beurteilung und Wertung von literarischen Texten (und ihren Inhalten, Stilen und Kompositionen) immer auf einem Kanon. Wohlgemerkt, es ist nicht ausschlaggebend, alles gelesen zu haben, was Kanones (denn es gibt nie den einen, sondern stets mehrere) vorgeben, sondern möglichst viel verschiedenes.
Bei mir z.B. klaffen eklatante Lücken bei Texten von Frauen und bei Texten aus dem mittleren 19. Jahrhundert. Und ja, auch bei Texten, die auf weniger komplexe, eher auf Unterhaltung zielende Erzähltechniken und Erzählhaltungen setzen, besteht Nachholbedarf, nicht, um darüber zu schreiben, sondern allein aus Gründen differenzierter Urteilsbildung und Vergleichbarkeit. Auch dazu die Pause und eine gemäßigtere Taktzahl in Zukunft.
Postskriptum
Bis Anfang September herrscht Ruhe im Blog. Auf Facebook (auch wenn die Algorithmen mich ausbremsen), auf Instagram (auch wenn ich das richtige Maß aus Spaß und Ernst noch nicht gefunden habe) und auf Twitter (aus Gewohnheit und ohne echten Erfolg) bleibe ich gelegentlich aktiv.
Bitte nagelt mich nicht wegen schwammiger Begrifflichkeit fest. Am Ende bin auch ich nur »literaturwissenschaftlicher Amateur«.
Entschuldigung! Der kurze Abschied ist nun doch sehr lang geraten und etwas zerfaser(l)t.
Nach Diktat verreist. In echt jetzt, ohne Flax.
Bildnachweis: Alte, rote Schreibmaschine | Foto von N. N. | Quelle: rawpixel.com