Entscheidend ist Leidenschaft – Das war meine Leipziger Buchmesse 2017
Es ist wieder Leipziger Buchmesse. Leipzig, das ist wie Familientreffen, Klassenfahrt und Kindergeburtstag. Die ersten bekannten Gesichter strahlen einem bereits entgegen, kurz nachdem wir (in Leipzig ist anders als in Frankfurt die liebste Ehefrau der Welt immer dabei) aus dem Auto purzeln und zum Akkreditierungsschalter schlappen, noch ein wenig müde und angeschlagen von der Fahrstrecke Berlin Leipzig. Schön! Noch bevor das erste Buch gesichtet wird, fallen wir lieben Menschen um den Hals, Menschen, die wir mitunter nur auf Buchmessen sehen, die aber alle gute Freunde sind. Denn alle Buchmenschen sind irgendwie gut Freunde.

Es könnte ein langer Bericht werden über Gespräche, Begegnungen, Entdeckungen, Enttäuschungen und Messe-Albereien. Aber ich langweile nicht mit barocker Weitschweifigkeit, sondern greife lediglich drei, vier (oder fünf) »Highlights« heraus. »Highlight« klingt schick, modern und konzentriert.


Tja, die haben mich tatsächlich vorlesen lassen auf der Buchmesse! Genauer im Programm von Leipzig liest, noch genauer aus einer »Novität«, die just zur Buchmesse auf den Markt gekommen ist. Die Indie-Verlage duotincta und Homunculus präsentierten junge Autoren und ihre Werke im Beyerhaus, darunter auch Warum ich lese. Dieses Sammelbändchen mit 40 Liebeserklärungen an die Literatur hat Sandro Abbate (Novelero) initiiert und herausgegeben. Nach Andrea und Klaus Daniel (BücherKaterTee) durfte auch ich meinen Text vortragen. Eine Ehre und Freude. Auf der Messe, zwei Tage später auf der Leseinsel der jungen Verlage, folgten Katharina Herrmann (Kulturgeschwätz), Sophie Weigand (Literaturen) und Sarah Reul (Pinkfisch). Sie machten das, wie Andrea und Daniel, viel charmanter und souveräner als ich. Danke an das »toffe Team« vom Homunculus Verlag, das dieses schöne Buch ermöglicht haben. Möge es viele Leser finden.

Der Freitag war von morgens bis abends durchgetaktet, noch enger als der Donnerstag. Im Eiltempo, was immer das auch in vollgestopften Messehallen sein mag, von Verlag zu Verlag. Kaum sind die Frühjahrsbücher auf dem Markt, kümmert man sich um die Vorschau auf den Herbst. Wie manisch ist das bloß?! Mein Standardsatz in diesem Jahr lautete: »Nenne mir zwei Super-Top-Titel aus eurem Programm, die zur mir passen und die ich unbedingt lesen sollte!« Alle, ausnahmslos alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verlage hatten da was auf der Pfanne, auch wenn sie mich zunächst verdutzt und leicht überfordert anschauten.

Danke an Euch, Ihr seid die Besten. Ohne Euch wäre mein Blog nicht, was er ist und viele schöne und aufregende literarische Werke sausten unbemerkt an mir vorbei. Ach ja, das ein oder andere Frühjahrsbuch landete dann noch im Beutel. Nach zwei Messetagen blieb nur der Ausruf: Oijoijoi oder Auhauehaueha! Jetzt fehlt nur noch das Lebens-Lesezeit-Abo vom lieben Gott.
Der Samstag war ein Bummeltag. In Halle 5 gings von Stand zu Stand. Hier ein Plausch, da ein Plausch. Die Indie-Verlage in ihrer Vielfalt sind einfach großartig. Die Verlegerinnen und Verleger alle supernette Menschen.
Und dann das: ein neuer Verlag, einer von dem ich noch nichts gehört hatte. Der Stand vom Verlag Das kulturelle Gedächtnis war eine Entdeckung. Unter dem Motto »Lieber zeitlos lesen« erscheinen vier Titel im Halbjahr. Allen gemeinsam ist das auffällig-schöne Gestaltungskonzept einer Reihe, die an Klassiker-Bibliotheken erinnert, aber gleichzeitig ins Zeitgenössische twistet. Die Idee: ein Kuratorenteam gibt alte Texte der Literatur- und Kulturgeschichte neu heraus (zum Teil neu übersetzt), holt sie mit elegant-pointierten Nachworten und Einleitungen in unsere Zeit holen und beweist, dass Denken und Schreiben nicht immer »neu erfunden« werden müssen. Da findet sich unter anderem ein historischer Meilenstein der sogenannten Lügenpresse aus dem Jahr 1835, Voltaires Abrechnung mit den drei Buchreligionen als Drama, eine historische, aber erschütternd aktuelle Flucht- und Auswanderungsgeschichte, ein Band zur Konfliktlösung als Wendebuch, von vorne oder von hinten zu lesen, in dem es heißt: entweder Kampf oder Verhandlung. Zum Verlag Das Kulturelle Gedächtnis demnächst mehr, versprochen.
Der Sonntag gehörte den Blogger:Sessions17. Zum zweiten Mal hatte die Buchmesse zu dieser Konferenz geladen. Ich durfte auf einem Podium mit Mareike Krause (Meine Lesechallenges) und Bozema Anna Badura (Das Debüt), moderiert von Wolfgang Tischer (Literaturcafé), zum Thema »Warum über Bücher bloggen?« diskutieren. Das hat Spaß gemacht.

Gong! Rückblende! Wichtig! Jörg Sundermeier vom Verbrecher Verlag streute an allen Messetagen eine enthusiasmierende Botschaft. »Bibliodiversität! Das ist das kommende Thema!« Er hat das nicht erfunden, sondern Susan Hawthorne. Nee, auch falsch, sie hat nur aufgeschrieben, was Verlage und Autoren in Südamerika begonnen haben zu leben. Ähnlich wie bei der Biodiversität gilt es im Buchwesen (und bei Lesern) kulturelle Vielfalt und Sorgfalt walten zu lassen. Das Ergebnis ein interkultureller, weltumspannender Gewinn für alle. Das gedruckte und gebunde Manifest für unabhängiges Publizieren von Susan Hawthorne hat Jörg an viele Menschen verteilt.

Gong! Wieder in die Gegenwart der Blogger:Sessions. Auch Andreas Platthaus, Leiter der FAZ-Literaturredaktion, kam in seiner Keynote auf Susan Hawthorne zu sprechen. Auch er zeigte sich überzeugt von den klugen Ausführungen zur »Bibliodiversität«, nicht zuletzt weil sich auch das Schreiben über Literatur und Bücher ändern kann, soll, muss. Und Blogger, so Platthaus in seiner brillant-geschliffen, frei vorgetragenen Rede (beeindruckend!), seinen da unverzichtbar.

Ja, es gebe hie und da Reibereien zwischen Print-Feuilleton, klassichen Medien und der Bloggosphäre. Aber das sei im Grunde marginal. Denn entscheidend ist die Leidenschaft. Sie ist die Basis von Kritik. Meinung hat nur Sinn, wenn sie leidenschaftlich vorgetragen wird. Und da ziehen BloggerInnen und »professionelle Kritiker«, mögen sich die angewandten (Kultur)Techniken auch unterscheiden, an einem Strang, auch wenn sie das nicht immer so wahrnehmen wollen oder können. Kern unseres gemeinsamen Tuns, so Platthaus, sei die Leidenschaft fürs Buch, die Leidenschaft für Literatur, der Wunsch, diese Leidenschaft weiterzutragen und möglichst viele Menschen damit anzustecken. Bäm!
Platthaus’ Keynote und selbstverständlich alle anderen Sessions sorgten für viel Gesprächsstoff und Austausch auf der Konferenz. Es hat sich gelohnt. Als letztes dies noch: Fabian Neidhardt (Mokita) und Wolfgang Tischer haben zum Abschluss »21 (also nahezu alle) Möglichkeiten mit dem Blog Geld zu verdienen« vorgestellt. Mit allen »Pros und Cons« ist das jetzt ein für alle mal auf Literaturcafé aufgelistet. Lasst uns das, wenn gewünscht, als Basis für künftige Diskussionen nutzen und nicht immer wieder bei Null starten.

P.S.: Dank Mareikes (s.o.) und anderer TeilnehmerInnen leidenschaftlicher Interventionen zugunsten von #lesechallenges denke ich jetzt drüber nach, mal bei einer mitzumachen.
P.P.S.: Die Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse habe ich diesmal geschwänzt. Trotzdem Glückwunsch an die drei Siegerinnen.
P.P.P.S.: Erstaunlich ist, wieviele Menschen in eine Leipziger S-Bahn oder Straßenbahn passen.
P.P.P.P.S: Ebenso erstaunlich ist, wenn man sich in einer von einer Ur-Leipziger Familie betriebenen Tapas-Bar in der Innenstadt wie im sonnigen Barcelona fühlt und am Ende des Abends mit allen im vollgestopften Raum weinselig per Du ist.
P.P.P.P.P.S: Viele liebe Buchfreunde (siehe Anfang) habe ich dennoch verpasst, nicht ausreichend geknuddelt oder zu kurz gesprochen. Fühlt Euch umarmt und geherzt. Wir holen alles, was gefehlt hat, bei der #lbm18 nach.
