#Blogfragen für Buchblogger von Stefan Mesch
10. Oktober 2015
Stefan Mesch ist die Machine Gun der Literaturblogger, so heißt es jedenfalls in der Nominierung zum Virenschleuderpreis 2015. Darin liegt ein Körnchen Wahrheit. Stefan ist Autor und Übersetzer, er schreibt begnadete (und auch sehr lange) Listen, durchforstet unermüdlich Bücher und Blogs, stellt Empfehlungen zusammen und postet in vielen Netzwerken stets offen und ehrlich, was er gut findet und was nicht. Außerdem liebt er Fragebögen und hat kürzlich festgestellt, dass ihm bei aller Vernetzung doch viele Informationen fehlen:
Ich kenne tolle Buchblogs und tolle Leser*innen und Rezensent*innen. Aber ich habe viele Fragen, die mir die “über mich”-Seite oder die kurzen persönlichen Gespräche mit Bloggern oft nicht beantworten. Deshalb habe ich – aus Neugier und ohne besondere Forschungs-, Umfrage- oder Analyse-Absicht – 15 Fragen gesammelt, die ich fast jedem Literaturblogger gern stellen würde.
Hiermit stehe ich Stefan (Danke, für die zum Teil vertrackten Fragen!) und damit auch allen meinen Leserinnen und Lesern Rede und Antwort.
Das Lieblingsbuch meiner Mutter:
Wäre wohl ein eher leichtes Buch, unterhaltsam, gefühlvoll und nicht besonders dick. Ein Dornnenvögel hat sie sehr gerne gemocht. Meine Mutter liest sehr viel, querbeet durch viele Genres, nur blutige Thriller mag sie nicht.
Das Lieblingsbuch meines Vaters:
Mein Vater ist ein herzensguter, aber auch ein sehr rationaler Mann, ein Ingenieur, kein Mann der Worte. Die Kraft des Positiven Denkens von Norman Vincent Pearle war vor vielen Jahrzehnten sein Lieblingsbuch, damals vielleicht das einzige, das er wirklich mehr als einmal gelesen hat. Der Titel wurde zum geflügelten Wort in der Familie. Und wie eine Mahnung stand Vaters einziges Buch im Regal. Seit er Rentner ist liest er mehr, viel mehr, auch mit gesteigertem Genuss und gutem Lesegeschmack; gerne politische Sachbücher, Biographien, aber auch viel Belletristik.
Ich führe einen typischen Buchblog, weil…
… ich eigentlich keinen typischen Buchblog führen möchte. Ich ziehe auch die Bezeichnung Literaturblog vor, weil mir das schärfer und präziser erscheint. Im tausendfachen Heer der Blogs steche ich dann aber doch nicht wirklich hervor. Manchmal bereitet mir das Sorgen, doch die werfe ich schnell über Bord. Dafür macht mir das Bloggen zu viel Spaß, selbst wenn es tausende Andere auch machen. Fußball spielen ja auch tausende Menschen, es ist und bleibt dasselbe Spiel und doch spielt es jeder anders und jeder entwickelt seine individuellen Techniken, seinen Stil, findet sein persönliches Vergnügen. Es ist und bleibt Fußball, doch jedes Spiel ist ein neues Spiel, unvorhersehbar und überraschend, und immer wieder beobachten es interessierte Zuschauer vom Rand aus. Ergo: Bloggen sollte wie Fußball sein. Viele machen es, füllen es im Rahmen der Regeln individuell aus und gestalten extrem abwechslungsreich.
Ich bin anders als die Blogs, die ich gern lese, weil…
… ich hinter meinem Blog stehe, mit meinen Leidenschaften, Vorlieben und Macken. Hinter den anderen Blogs stehen andere Menschen, mit ihren anderen Leidenschaften, Vorlieben und Macken. Deshalb sind wir alle irgendwie anders, selbst wenn wir über dieselben Bücher schreiben sollten. Ist doch toll, oder?!
Am Bloggen überrascht mich / beim Bloggen habe ich gelernt, dass…
… es viel Zeit und Herzblut kostet. Ein Buch zu lesen ist eine Sache, darüber einen Text zu verfassen, eine andere. Sicher ist: ich lese inzwischen etwas aufmerksamer, sammle und sortiere bereits bei der Lektüre Gedanken zum Buch. Allerdings: wenns an’s Schreiben geht, sind die meist schon wieder entfleucht. Texte, Besprechungen, Kurzkritiken zu formulieren, ist harte Arbeit für mich und fordert mich extrem. Am Ende seufze ich oft: Das versteht jetzt niemand, das ist doch gequirlter Unsinn. Bloggen lehrt Demut und Präzision. An beidem mangelt es mir (noch).
Helfen Amazon-Rezensionen? Wobei? Wie?
Mir nicht. Ich lese sie auch gar nicht mehr, im Gegensatz zu früher, weil es mir inzwischen zu anstrengend geworden ist, die wenigen Perlen zu finden im Schlamm der Amazon-Kundenbewertungen. Recht häufig (beileibe nicht immer) scheinen sie mir eher ein Beleg für die Dummheit der Leute zu sein, die sie schreiben (Dummheit kann hier wahlweise ersetzt werden durch: Ignoranz, Verbohrtheit oder Eifer). Abstossend auch sind die Geschmackskriege, die Trolle dort gerne führen, mit dem Anspruch stellvertretend für alle zu sprechen.
Hilft Literaturkritik in Zeitungen und Magazinen? Wobei? Wie?
Die hilft mir schon. Ich nutze Texte in Zeitungen und Magazinen als ein Radar, auf dem ich sehe, was auftaucht, groß wird und eventuell wieder verschwindet. Literaturkritik bietet Navigationshilfen zur groben Orientierung. Ich lasse mir aber keinesfalls Wege vorschreiben, dazu bin ich zu eigensinnig. Über die Jahre, das habe ich festgestellt, hat sich herauskristallisiert, welchen Kritikerinnen und Kritikern ich vertrauen kann, wessen Welle in Frequenz und Amplitude mit meiner harmoniert, von wem ich Empfehlungen (oft ist es ja nicht mehr, was in den Zeitungen steht) annehmen kann. In geringem Umfang hilft mir die Literaturkritik also, meine Lektüreauswahl zu treffen. Nicht selten geschieht das ex negativo, indem mir selbst positive Besprechungen indirekt verraten, welches Buch mich persönlich dann doch nicht weiter zu interessieren braucht.
Helfen Blogs? Wobei? Wie? Wem?
Blogs können (zumindest bei mir) dasselbe erreichen wie die Zeitungskritik. Ob sie das bei anderen Menschen auch können, vermag ich nicht zu beurteilen, aber ich wünsche es mir. Ich fände es schön, wenn lustauflesen.de als kleines Literatur-Radar funktionieren könnte, als Orientierungshilfe, die die Neugier auf bestimmte Bücher anschiebt. Ich persönlich nutze viele Blogs auf diese Weise. Stellt sich nur die Frage:
Wer liest mich? Habe ich eine Zielgruppe?
Wen ich wann wie womit erreiche, wüsste ich nur allzu gern. Meine Webstatistiken liefern zwar reichlich Zahlen, aber eben nur Quantitäten, keine Qualitäten. Hin und wieder erfahre höre ich in Gesprächen, dass Menschen meine Seite regelmäßig lesen. Häufig überrascht mich das dann, weil ich diese Personen nicht als mögliche Leser erwartet hätte. Die überwiegende Zahl der Zugriffe erfolgt jedoch über zufällige Suchanfragen. Ob diese Leser zurückkehren? Einge ja, die meisten nicht. Als Zielgruppe, also als gewünschte Leser würde ich alle bezeichnen, die lesen können und gute Bücher mögen.
Wahr oder falsch: »Ich blogge vor allem, weil ich mich über Bücher austauschen will und im persönlichen Umfeld nicht genug Menschen habe, mit denen ich das könnte.«
Falsch. Es gäbe genügend Menschen, mit denen ich mich austauschen könnte, aber ich möchte mehr. Vielleicht ist dieser übertriebene Drang sich mitzuteilen kindisch, vielleicht auch großspurig. Aber ich kann nicht anders. Wenn der Blog einmal einige Wochen ruhen sollte, aus vielfältigen Gründen geschieht dies, dann kribbelts meist schnell wieder in den Fingern und es zieht mich an den Computer.
Mein persönlicher Geschmack und meine Prinzipien beim Lesen und Bewerten:
Ein Buch darf alles; nur nicht langweilen. Langeweile ist tödlich. Ein Roman kann anstrengend sein, schwierig, komplex, er darf mich fordern, ja sogar überfordern, aber ebenso gut auch einfach nur unterhaltsam sein. In jedem Fall muss er etwas anschlagen in meinem Inneren, etwas zum Klingen bringen, meine Gedanken auf Reisen schicken. Lesen bedeutet für mich, eintauchen zu können in fremde Welten, neue Lebens- und Denkbilder entdecken zu dürfen und meinen Horizont zu weiten. Ein besondere Vorliebe hege ich für die „dicken Dinger“, Bücher, in denen mich die Autoren auf mehr als tausend Seiten in hochkomplexe Geschichten verwickeln. Das können und dürfen auch sehr intellektuelle und abgehobene Bücher sein, solche von denen behauptet wird, sie seien eigentlich unlesbar, total verkopft oder ohne wirkliche Handlung. Nur langweilen, das dürfen sie mich nicht. Aber das sagte ich ja bereits. Wenn ich über Bücher schreibe, auch über die komplexen und herausfordernden, dann möchte ich Neugier wecken, nicht belehren. Ich möchte auf ein Buch zeigen und sagen: Seht her das gibt es, mir gefällt das, versucht es auch einmal, egal ob sofort oder später. Bei der Bewertung von Literatur verlasse ich mich auf meine Intuition, meinen Geschmack und einige Werkzeuge, mit denen ich im Literaturstudium gelernt habe umzugehen.
Habe ich Vorbilder?
Nein, definitiv nein. Hin und wieder keimt zwar der Wunsch auf, so schreiben zu können wie x oder so originell zu sein wie y. Ich bewundere durchaus auch den Stil und die Haltung einiger Blogger (und auch einiger Zeitungs- oder Fernsehkritiker). Aber Vorbilder in dem Sinne, dass ich ihnen nacheifern, ihnen gleich werden möchte, sind sie nicht, allenfalls liefern sie mir neue Anreize und Anregungen oder beflügeln meinen Ehrgeiz, den eigenen Stil weiter zu entwickeln. Ich möchte ich bleiben. Konkretes Beispiel? Ich mag sehr, wie Denis Scheck über Bücher spricht und schreibt, wie er seine Filmbeiträge gestaltet; soll ich ihn mir zum Vorbild nehmen, ihn womöglich zu kopieren veruchen? Nein, vorbildlich wäre, eine eigene Haltung und Handschrift zu finden, eine die aus mir kommt und zu mir passt.
Welche Ratschläge würde ich meinem früheren Lese-Ich geben? Kann man lernen, Bücher besser auszusuchen, zu entdecken und zu genießen? Wie?
Irr- und Umwege, ich habe es bereits oben gesagt, gehören zum Erwachsen werden. Im Leben wie beim Lesen. Es ist falsch zu glauben, wenn man rückwirkend etwas anders oder gar besser hätte machen können, dann wäre das Leben (und das Lesen) besser verlaufen. Wir sind, was wir sind. Eins aber steht fest: heutzutage ist es leichter als früher, sich eine Flut von Informationen über Bücher zu verschaffen, dem Internet mit seinen Onlineangeboten der Zeitungen, seinen Plattformen und den zahlreichn Blogs sei Dank. Aber in Fluten, das ist die Kehrseite, kann man auch leicht versinken.
Was soll sich tun in meinem Blog und in meinem Leser-/Schreiber-Leben in den nächsten fünf Jahren:
Der Spaß am Schreiben soll bleiben und Wachsen. Die Lust aufs Lesen soll bleiben und wachsen. Die Zahl meiner Leserinnen und Leser soll bleiben und wachsen. Und mit ganz viel Glück balanciere ich weiter glücklich und zufrieden auch noch in fünf Jahren auf der Borderline zwischen bibliophil und biblioman; ohne Absturz und Blessuren. (Etwas Schreibtraining, etwas mehr Routine, etwas mehr Kunstfertigkeit beim Formulieren, täte mir gut, das wäre etwas, was ich mir wünsche. Doch ich breche nichts übers Knie. Mal sehen, was sich in den kommenden Jahren entwickelt.
Bei wieviel Prozent der Bücher, die ich gelesen habe, denke ich danach: Mist. Ich wünschte, ich hätte das nie gelesen…? Steigt oder fällt diese Prozentzahl, Jahr für Jahr. Und: Warum?
Ich denke die Zahl nimmt ab, ganz unabhängig davon ob man bloggt oder einfach nur liest. Mit zunehmendem Alter entwickelt sich der persönliche Lesegeschmack, auch das Gespür für die richtigen Bücher zur richtigen Zeit. Der Überschwang (und damit verbunden die gewisse Verführbarkeit) der Jugend führt auch zu Überschwang (und Verführbarkeit) in der Buchauswahl, das Ausprobieren, das sich Ausprobieren steht im Vordergrund, auch das Irren und Umkehren. Das ist richtig so und wichtig, sowohl fürs Leben als auch fürs Lesen, denn daran wächst und reift die Persönlichkeit. Fehlgriffe sind freilich in jedem Alter und Reifegrad möglich, auch Enttäuschungen über Bücher, aber ein »gewachsener und gefestigter Lesecharakater« wird diese Momente seltner erleben, als ein »junger, heranwachsender«.
Stefan Mesch selbst hat übrigens jüngst Gesine von Prittwitz auf ihrem Blog SteglitzMind Rede und Antwort gestanden. Wer ihn noch nicht kennt, erfährt hier einiges über ihn und seine Aktivitäten.
Weitere Einblicke in mein Selbstverständnis als Blogger finden Sie auch in dem Text: 7 Unschärfen – Über die Kritik an der Kritik und das Bloggen.