Männerbilder zwischen Apotheose und Klischee – Die zwölf Apostel der Monique Schwitter
Hin- und hergerissen war ich, als ich den Klappentext zu Eins im Andern von Monique Schwitter gelesen hatte. Von Gesandten des Glaubens und der Liebe ist dort die Rede, von mythischen Umrissen von Männern und von einer Liebesbiographie. Wird mir hier eine Lebens- und Liebesbeichte einer zeitgenössichen, modernen Frau als verschrobenes oder gar kitschiges Heiligenbrevier untergeschoben? Wie kommt das auf die Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2015? Mit diesen und weiteren skeptischen Fragen habe ich mich in die Geschichte gestürzt und wurde gehörig überrascht. Mit Eins im Andern ist Monique Schwitter ein kluges und ehrliches Buch über die Liebe, das Leben und den Tod gelungen.
Die namenlose Icherzählerin, eine Schauspielerin, Regisseurin und Autorin, googelt aus Langeweile den Namen einer alten Liebschaft und stellt entsetzt fest, dass Petrus seit vier Jahren tot ist, er hat sich im winterlichen Schneetreiben vom Dach seines Wohnhauses gestürzt. Diese Nachricht und das bestürzende Gefühl, ihn nicht einmal vermisst zu haben, ist Anlass für die Frau, ihr aktuelles Schreibprojekt aufzugeben und statt dessen die Geschichte ihrer Männer, ihrer Lieben, ihres Lebens aufzuschreiben. Und dabei schaut ihr der Leser gewissermaßen über die Schulter: Eins im Andern ist (Kunstgriff Nr. 1) metafiktional, behauptet, das Buch, das wir lesen, entsteht beim Lesen.
Die Apostel der Liebe
Elf Männer sind es, die wir in der Folge nach Petrus kennenlernen. An sechster Stelle steht Philipp und gleichzeitig steht er auch am Anfang und am Ende, denn Philipp ist der Ehemann der Erzählerin, Vater ihrer Kinder, dem kleinen Kleinen und dem großen Kleinen. Philipp hat, das rückt im Verlauf der Geschichte immer mehr in den Vordergrund, eine gewaltige Krise im Leben der Familie ausgelöst. Schulden, eine Therapie gegen Spielsucht und der drohende Verlust der Liebe sind die Folge. Sie, die Erzählerin, flieht vor dieser Krise, reist vom Wohnort Hamburg nach Zürich, in die Stadt ihrer Kindheit, sucht schreibend den wahren Sinn des Lebens und der Liebe. In der Erinnerung an die anderen »Apostel« in ihrem Leben findet sie, nein, nicht die Lösung, aber ihre Lösung.
Monique Schwitter packt eine gehörige Portion Heilssymbolik in ihren Roman. Die eigentliche Erzählung erstreckt sich über den Zeitraum eines Jahres, vom Januar 2013 bis zum vierten Advent desselben Jahres, kurz vor dem dem Höhepunkt des Kirchenjahres, der Geburt des Messias, endet die Geschichte. In ihren Erinnerungen, die die Erzählerin auf ihrer Flucht vor (und zu) sich selbst in kleine Kladden notiert, springt sie bis zu 20 Jahre zurück. Aber Gegenwart und Vergangenheit sind nicht fest verzahnt im chronologischen Ablauf, die Konturen verwischen, Erinnertes und Erlebtes fließen ineinander. Das Gegenwärtige wird aus dem Vergangenen gedeutet und gleichzeitig legt das Vergangene das Gegenwärtige neu aus. Das Leben kennt keine Brüche und Zäsuren, es fließt und alles was je in den Lebensstrom gefallen ist, wird immerfort als Treibgut mitschleppt.
Eins geht ins andere über, eine Liebe in die andere. Oder bleibt die Liebe immer dieselbe, bleibt sie sich treu? Ändern sich nur ihre Gefäße? Bietet sie sich einfach in einem Mann nach dem anderen dar, offenbart sie, die eine, einzige, wahre, sich einfach nur in verschiedenen Gestalten? Hat also nicht die Liebe verschiedene Gesichter, sondern einzig der Geliebte?
Petrus, Andreas, Jakob, Johannes,Thomas, Nathanael, Philipp, Mathieu, Simon, Tadaeus, Simon der Jüngere. Die Namen der Männer im Leben der Erzählerin, die Namen ihres Liebens und auch Leidens, die Namen der zwölf Apostel. Einer fehlt: Judas Ischariot, der Verräter. Wörtlich ist ein Apostel ein Gesandter, ein Sendbote. Im Neuen Testament sind es die Begleiter Christi, die er erwählt hat, die Heilsbotschaft weiterzutragen und zu verbreiten. Die vier Evangelisten (z.B. Markus 3, 13-19) zeichnen diese Männer wenig individuell. Erst die Kirche des Mittelalters gestaltet sie zu Bedeutungsträgern und Symbolfiguren. Diesen Faden nimmt Monique Schwitters geschickt auf und spinnt ihn (Kunstgriff Nr. 2) behände weiter.
Es sind mysteriöse, beinahe mythische Charaktere, die uns die Erzählerin in ihren Erinnerungen vor Augen stellt, einer von ihnen ist schlicht nur imaginiert. Sie begegnen uns in kurzen, ausschnitthaften Episoden, mal anekdotisch heiter, mal getragen, manche tragisch gar. Es sind verletzliche Männer, aber auch verletzende, einige sind gequält andere quälen. Doch immer sind sie direkt in der Ansprache, halten der Erzählerin den Spiegel vor, geben ihr gleichnishafte Botschaften mit, einige bgleiten sie über längere Lebensabschnitte, andere nur kurz. Nicht selten sind in der bildenden Kunst die zwölf Apostel dargestellt, wie sie das Totenbett Marias, der Mutter Gottes, umstehen. Die leidende (aber auch heilige) Frau, umgeben von zwölf Männern. Monique Schwitter bedient sich dieser symbolträchtigen Bilder im übertragenen Sinn, ohne (allzu sehr) ins Pathetische abzurutschen. Ihr Ton ist mitunter sehr ironisch, manchmal knapp und karg, beinahe lapidar, aber immer ehrlich. Die zahlreichen biblischen Anspielungen, die eingestreute Tiersymbolik (Schafe, Schäferhunde, kafkaeske Rattenhorden) ragen nicht wie brutal eingeschlagene Pflöcke aus dem Text heraus, sondern sind fein verwoben, versteckt, beläufig eingeschoben. Sie aufzuspüren in diesem Erinnerungsstrom aus Realität und Erfindung und ihren jeweiligen Gehalt und ihre Funktionen zu ermitteln, macht beim Lesen viel Vergnügen.
Christopherus und der Tod
Es sind elf Apostel (Jünger), wie gesagt, es fehlt Judas. Das heilige Dutzend wird bei Schwitter durch den Heiligen Christopherus aber doch vollständig. Der Heilige taucht nicht als lebendige Figur auf, sondern als Bild auf einer Postkarte. Sie zeigt die Abbildung eines Christopherus in genau der Kirche, zu der die Erzählerin einst mit Petrus in einer Silvesternacht eine Schneewanderung unternommen hat. Diese Postkarte begleitet sie durch das Jahr der Erinnerung, das just beginnt mit der Nachricht von Petrus’ Tod (im Schnee). Schnee auch wieder am Ende des Romanes, am Ende des Jahres. Christopherus, der Riese, der als Christusträger den Fluss durchschreitet, soll vor Gefahr und Krisen schützen. Der Anblick seines Bildes bewahrt, so der Legendenglaube, auch vor plötzlichem Tod. Neben den Aposteln, den Gesandten des Glaubens und der Liebe, bringt Christopherus die zweite große Lebenskonstante in den Roman, nämlich den Tod (Kunstgriff Nr. 3). Verletzungen, Krankheiten, Sterben begleiten die Liebe und das Leben der Erzählerin und ihrer Männer. Fliegen und fallen, Treue und Verrat, Liebe und Tod: am Ende sind es doch diese großen, diese dominierenden Grundthemen des Lebens, die Monique Schwitters abhandelt.
Hin und wieder verrutschen einige Bilder, wird die Konstruktion (auch das Konstruierte) der Geschichte zu offensichtlich und durchschaubar. Aber im Ganzen entwirft Monique Schwitter – deren Biografie übrigens der Erzählerin erstaunlich ähnelt – in Eins im Andern eine überzeugende Abhandlung über die großen und existentiellen Fragen des Lebens. Etwas Kitsch und Klischee, die ihr bei aller Vorsicht dann doch durchrutschen, verzeihe ich gern.
Was ist das, die Liebe? Warum kann sie kommen und Gehen? Wohin geht sie, wenn sie geht?Und was ist eigentlich mit der aktuellen Liebe los? Sie sitzt in seinem Zimmer und checkt Mails oder sieht fern.
Die Apostel auf der Shortlist
Ich kann mir vorstellen, wie Eins im Andern auf die Shortlist geraten ist. Monique Schwitter hat einen soliden, gut konstruierten und unterhaltsamen, dabei anspruchsvollen Roman geschrieben, der kaum polarisieren oder und anecken dürfte. Gegen das Buch ist kaum etwas einzuwenden, genauso reizt es wenig zu überschwenglichem Jubel. Es ist ein Roman der im Jurystreit über möglicherweise kontroversere Bücher als Konzessionsentscheidung einfach durchrutscht. Voilá. Da steht er, ist guten Gewissens von BuchhändlerInnen zu empfehlen und wird seine Leserschaft finden, da bin ich mir sicher. Interessant wäre es, zu erfahren, ob das überwiegend Männer oder doch mehr Frauen sein werden.
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(Foto: Andreas Praefcke. Kirchgattendorfer Altar, Mitteltafel der Predella: Der Tod Mariens, Bamberger Dom. Quelle: Wikimedia Commons)