
Sie kommen und sie holen dich – »Truggestalten« von Rudolph Herzog
Berlin leuchtet, aber im Schatten lauern die Gespenster der Vergangenheit. Mit seinen »Truggestalten« belebt der Filmemacher und Sachbuchautor Rudolph Herzog das Genre der Schauergeschichten. Ein gelungenes literarisches Debüt.

Rebhühner auseinandernehmen – »Glanz und Schatten« von Michael Fehr
In »Glanz und Schatten« führt Michael Fehr Wortartistik mit Bluesmusik zusammen. Seine verrätselten Metamorphosen und Miniaturen kommen ohne Satzzeichen und mitunter ohne tiefere Bedeutung daher. Sie tauchen ab in Grauzonen der Realität.

Hybris und Dünkel führen in die Katastrophe – »Das Floß der Medusa« von Franzobel
Eine schonungslose Schilderung vom Untergang der Menschlichkeit. Vom »Floß der Medusa« wurde in Literatur, bildender Kunst und Film bereits häufig erzählt. Dem großen Narrativ vom Verlust der Zivilisation in der Katastrophe hat Franzobel mit seinem Roman eine überzeugende und zeitlos gültige Variante hinzugefügt.

Überleben mit Lügen und Liebe – »Das kalte Blut« von Chris Kraus
Zwei ungleiche Brüder, eine verhängnisvolle Menage á trois, Geheimdienste und Nazis, die ihre Biografien nach dem Zusammenbruch reinwaschen und nahtlos weitermachen. Chris Kraus vermischt in »Das kalte Blut« Liebe, Lügen und Verrat. Eine süffige Mixtur, die aber hier und da einen bitteren Beigeschmack hat.

Baden gehen – »Walter Nowak bleibt liegen« von Julia Wolf
Ein Mann liegt bewegungslos in seinem Badezimmer und rechnet in einem inneren Monolog mit seinem Leben ab. Julia Wolf liefert das perfekte Psychogramm eines Alphatierchens. Diese Männerstudie ist tragisch und komisch zugleich.

Philosophenalltag und Fischgrätengras – »Lampe und sein Meister Immanuel Kant« von Antje Herzog
Immanuel Kant war Mathematiker, Professor, Philosoph und schrulliger Zeitgenosse. Er führte einen streng geordenten Alltag und seine Heimat Königsberg verließ er so gut wie nie. Antje Herzog hat Kants diszipliniertes Leben und seine Marotten unter die Lupe genommen.

Einstecken und austeilen – »Ellbogen« von Fatma Aydemir
Die Icherzählerin Hazal breitet ihre Geschichte vom Überleben im Wedding aus, von Ellbogen in den Rippen, von einer Gewalttat und von einer Flucht. Fatma Aydemirs Debütroman zeigt, warum junge Menschen aus der zweiten oder dritten Einwanderergeneration keine Identität finden.

Ein Leben gezimmert aus Lüge und Betrug – »Mittellage« von William H. Gass
Joseph Skizzen ist Musikprofessor an einer kleinen Universität im mittleren Westen der USA. Sein Leben ist geordnet, im Mittelmaß gefestigt. Doch das ist alles Lüge. Joseph Skizzen thront auf einem Gerüst aus Betrug und Schwindelei.

Spirituelle Tortur und Überlebenskampf – Der Film »Silence« von Martin Scorsese
Martin Scorsese bezeichnet die Verfilmung des Romans »Schweigen« von Shūsaku Endō als Herzensangelegenheit. In langen Einstellungen entwickelt der Film große Wucht und verhandelt die außergewöhnliche Kraft des menschlichen Glaubens.

Die Kunst ist das Flüstern der Geschichte – »Der Lärm der Zeit« von Julian Barnes
Meisterhaft erzählt Julian Barnes in seinem jüngsten Roman vom Überlebenskampf eines Künstlers in der Diktatur. »Der Lärm der Zeit« ist weit mehr als eine Biographie des Komponisten Dmtri Schostakowitsch.
Schicksale in Schieflage – »Betrunkene Bäume« von Ada Dorian
Sie sei eine optimistische Melancholikerin, sagt Ada Dorian über sich. In ihrem heiter-tragischen Debütroman beschreibt sie, wie sich Menschen in die Einsamkeit manövrieren und sich trotz sozialer Kontakte und Familie durch mangelnde Kommunikation isolieren.
Lyrisches Lunchpaket – Die »Chinabox« aus dem Verlagshaus Berlin
Zeitgenössische Lyrik? Aus China? Geh weg! – Im Falle der »Chinabox« wäre diese Haltung ein Fehler. Die Sinologin und Übersetzerin Lea Schneider hat eine sehr lesenswerte Sammlung zeitgenössicher Lyrik aus der Volksrepublik zusammengestellt.
Melancholischer Sommer in Yorkshire – »Ein Monat auf dem Land« von J. L. Carr
Ein Fresko wird freigelegt und eine Seele gerettet. J. L. Carr erzählt, wie ein vom Ersten Weltkrieg traumatisierter Mann langsam sein Gleichgewicht wiederfindet. »Ein Monat auf dem Land« ist eine elegante und leichtfüßige Novelle mit Gewicht. Ein trost- und mutspendendes Büchlein.
Nennt mich Archie Ferguson – »4321« von Paul Auster
Paul Auster hat sein Opus Magnum abgeliefert. »4321« hat mich umgehauen und tief berührt. Selten empfand ich einen so umfangreichen Roman gleichzeitig so kurzweilig und aufpeitschend. Für mich war es ein wichtiges Buch zur richtigen Zeit und ich wünsche mir, andere erlebten es genauso. Ein Meisterwerk.
Der Tod des Autors als strukturalistisches Abenteuer – »Die siebte Sprachfunktion« von Laurent Binet
Roland Barthes wird von einem Wäschereilaster niedergemäht, ein Manuskript verschwindet und eine wilde Jagd beginnt. Wer jemals in die Tiefen der poststrukturalistischen Theorie abgetaucht ist, findet hier seinen Spaß. »Da Vinci Code« für Dekonstruktivisten.
Wir werden den Tod schwerlich los – »Null K« von DeLillo
Don DeLillo, der Altmeister des Postmoderne, meditiert in »Null K« über den Tod, die Unsterblichkeit und das Leben. Eine anregende Lektüre, die große Fragen stellt und letztlich ein vehementes Plädoyer für ein Leben im hier und jetzt vorträgt.
»My life? : A tablet full of snapshots!« – Arno Schmidt. Eine Bildbiographie
Der prachtvolle Band im Großformat ist das bislang umfangreichste biographische Projekt zu Arno Schmidt. Materiell, sozial und psychologisch wird hier eine einzigartige und in der deutschen Nachkriegsliteratur beispiellose Schriftstellerexistenz durchleuchtet und erhellt.
William’s World – Die Welt mit Shakespeares Augen sehen
Lesen, was er las, sehen, was er sah, und viel über ihn und seine Zeit erfahren. Erstmals hat der akribische Quellenforscher Günter Jürgensmeier alle Quellen, aus denen der Barde von Stratford schöpfte, in einem Band in deutscher Sprache versammelt. Prachtvoll und lehrreich.
Die Apokalypse – Ein Interview mit dem Übersetzer und Philologen Kurt Steinmann
Die »Apokalypse«, das letzte Buch der Bibel, ist rätselhaft und erzählt vom Ende der Welt. Der altgriechische Text der Antike ist seiner visionären Wucht und Brutalität immer noch mitreißend und packend. Ein Gespräch mit Kurt Steinmann, der die »Apokalypse« neu übertragen hat.
Trauma ist Verlust – »Eine Handvoll Sekunden« von Peter Verhelst
Ausgehend vom Trauma eines Autounfalls tastet sich Peter Verhelst in diesem Episodenroman vor in die Welt literarischer Möglichkeiten und Wahrheiten. Trauma ist Verlust. Es geht darum, die zersplitterte Realität wieder neu zusammenzusetzen.
Zarter Strich und harte Realität – »Foc/Feuer« von Sebastian Rether
Sebastian Rether zeichnet die Erinnerungen eines Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Es sind die Erinnerungen seines Großvaters. »Foc/Feuer« erzählt dabei keine durchgehende Geschichte, sondern skizziert in kurzen und drastischen Szenen das Leben an und hinter der Front.