Die Apokalypse – Ein Interview mit dem Übersetzer und Philologen Kurt Steinmann
Das Ende der Welt, wie wir sie kennen, ist nah! Als Donald Trump zum 45. US-Präsidenten gewählt wurde, blickten viele Auguren tief in den Kaffeesatz und prophezeiten multimedial den Untergang. Der Trump und der Tod, Visionen der Endzeit und die Apoklaypse.
Auf dem Foto rechts zu sehen ist auch die Apokalypse, die der Manesse Verlag just in einer auwendig geschmückten und gestalteten Neuausgabe vorgelegt hat. Die Offenbarung des Johannes, jenes letzte und höchst rätselhafte Buch des Neuen Testamentes, die älteste und bekannteste Form der Rede von den letzten Dingen. Das lediglich als ironischen Kommentar auf unsere Zeit zu betrachten, als Aperçu des Gegenwärtigen, wäre ein ein tiefgreifendes Missverständnis und viel zu kurz gesprungen. Dieser Fiebertraum, in dem Mensch und Tier verschmelzen, Himmel und Erde in Flammen stehen, Engel zu Vergeltung blasen und göttliche Gestalten zu Gericht sitzen, ist weit mehr.
Der Schweizer Altphilologe und Übersetzer Kurt Steinmann hat den Text vollständig aus dem Altgriechischen neu übertragen. Ich hatte Gelegenheit mit ihm über die Stellung dieses Buches in der Literatur zu sprechen und ihn zu fragen, was ihn als Leser und Übersetzer an der Apokalypse reizt.
Interview mit Kurt Steinmann
Herr Steinmann, Sie haben griechische Dramen wie die Orestie von Aischylos übersetzt, die Gedichte der Sappho, die Odyssee des Homer, den vollständigen Eid des Hippokrates und Renaissancetexte wie das Lob der Torheit von Erasmus. Warum nun die Offenbarung des Johannes, die Apoklaypse?
Es gibt verschiedene Motive. Zum einen können Sie heute keine Zeitung aufschlagen, ohne dass dort die Rede von apokalyptischen Ereignissen ist. Apokalyptisch ist zu einem Modewort geworden, aber es wird meist falsch und sinnentstellt verwendet. Das griechische Präfix apo bedeutet »fern von«, kalypto »verborgen, verschleiert«. Apokalypse ist eben nicht nur eine ungeheure Katastrophe, sondern Apokalypse bedeutet hier Entschleierung und Entdeckung der letzten Wirklichkeit Christi und Entfaltung des Geschichtsplan Gottes. Dem wollte ich nachgehen. Ein zweites Motiv war eher spachlicher Art. Ich war als Übersetzer nach den vorangegangenen Arbeiten schlicht neugierig auf das Altgriechisch des neuen Testamentes.
Was zeichnet diesen Text aus und was wissen wir über den Verfasser, wer war jener Johannes?
Er ist nicht identisch mit dem gleichnamigen Lieblingsjünger Jesu, auch nicht identisch mit dem Verfasser des Johannesevangeliums. Er war vielmehr ein Prophet und Prediger, der in den frühchristlichen Gemeinden Kleinasiens aktiv war. An sieben dieser Gemeinden richtet er auch sein um 81 bis 96 nach Christus verfasstes Sendschreiben, das wir heute als die Offenbarung kennen. Johannes war mit Sicherheit kein Grieche, sondern stammte vielmehr aus judenchristlichen Kreisen und war stark verwurzelt im alttestamentlich jüdischen Erbe. Das läßt sich im Originaltext an der starken semitischen Färbung der Sprache erkennen, er schreibt zum Beispiel alle Eigennnamen in semitischer Form. Auch zitiert er immer wieder lange Passagen wörtlich aus dem Alten Testament. Diese Zitate, die bereits im Schriftbild des griechischen Grundtextes, der Nestle-Aland Auagabe, optisch vom Fließtext abgesetzt sind, habe ich, um sie noch stärker hervorzuheben, in Anführungszeichen gesetzt, das gab es bislang noch bei keiner Übersetzung. Grundsätzlich erkennt der Fachmann aber an vielen, vielen Grammatikfehlern sofort, dass der Verfasser der Apokalypse im Griechischen nicht besonders sattelfest war.
Dennoch hat Sie der Text gefesselt. Warum?
Für mich ist die Apokalypse in erste Linie ein bildhaftes und wortgewaltiges Sprachkunstwerk. In seinen ungeheuren Bildern wirkt es beinhae wie eine Antizipation, eine Vorwegnahme der expressionistischen Literatur etwa von Trakl oder Heym. Fasziniert hat mich als Übersetzer, als Freund der Kunst, wie dort kosmische Katastrophen in Bilder gefasst werden, die bis heute fesseln. Die apokalyptischen Reiter, die Engel mit den Posaunen, das Buch mit den sieben Siegeln, die Hure Babylon. Das sind Bilder, mit denen auch heute noch jeder Leser etwas verbindet, einige sind als feststehende Begriffe in unsere Alltagssprache eingesickert. Die Sprache der Apokalypse ist die des von Visionen überwältigten Sprechens. Diese Sprache ist blind gegenüber Wiederholungen, Redundanzen, Anakoluthen, Sprüngen in den Tempi. Sie ist im Satzbau orientiert am gesprochenen Wort. Johannes schreibt unvermittelt, atemlos, direkt und mitunter im Stakkato. Dieser fesselnde und drängende Erzählstil ist Ziel meiner Neuübersetzung gewesen. Ich will ehrlich sein: weniger interessiert war ich zunächst an den eschatologischen Themen, die dort angesprochen werden, der Rede von den letzten Dingen. Für einen Adventisten oder ein Mitglied der Zeugen Jehovas wäre das sicherlich genau anders herum.
Die Neuausgabe der Apokalypse in Bildern
Mit welchen Prämissen, mit welcher Grundhaltung gehen Sie an einen Text wie diesen?
Für mich ist es zunächst völlig unerheblich, ob vor mir ein heiliger oder ein kanonischer Text liegt oder ob der Autor ersten oder zweiten Ranges ist. Es kommt immer nur darauf an, dem Ursprungstext weitestgehend gerecht zu werden. Gerecht werden heißt, jeden Ausdruck ernst zu nehmen, nichts hinzuzufügen, nichts wegzulassen und die Reihenfolge der Bilder zu beachten. Das erfordert absolute Strenge, denn ich darf nie besser sein wollen als der Autor. Jedes Wort muss, so wie es sich ergibt, vom Sprachgebrauch her in all seinen Schattierungen erfasst werden. Ich versuche alles, mich dabei nicht in den Vordergrund zu drängen, indem ich wundervoll klingende Ausdrücke und Wendungen erfinde. Gerade bei der Apoklaypse war das vordringlich, denn sie ist an vielen Stellen sehr schlicht gehalten. Johannes hat ja für sehr einfache Menschen in den Gemeinden geschrieben. Ich definiere Übersetzen gerne als Bergsteigen am Seil. Es ist ebenso anspruchsvoll wie das ungesicherte Kraxeln, aber die Gefahr des Absturzes ist ungleich kleiner, weil Sie Lexika haben, Vorgängerübersetzungen und andere Hilfsmittel. Trotzdem existiert auch am Seil das Risiko des tiefen Falls. Dafür gibt es zahlreiche Beispiel, Raoul Schrotts Homer-Übersetzung ist in meinen Augen so ein verheerender Absturz.
In der von Ihnen übersetzten Ausgabe ist auf der rechten Hälfte der Doppelseite der Text abgedruckt. Die Einteilung in Absätze und Kapitel stammt von Ihnen, ist aber zur besseren Orientierung und zum Vergleich mit anderen Übertragungen zusätzlich indiziert mit den gebräuchlichen Kapitel und Versnummern. Auf der linken Seite finden sich Ihre Kommentare und Anmerkungen. Eine notwendige Steig- und Kletterhilfe für den Leser?
Ich glaube das ist ein Desiteratum, also etwas zu Wünschendes. Aus folgendem Grund: ich habe alle einige große Bibelkommentare durchgeackert, die in der Regel nur ein theologisches Fachpublikum zur Kenntnis nimmt, nicht zuletzt weil sie sehr schwierig geschrieben sind und enormes Vorwissen voraussetzen. Im Gegensatz dazu sind die gängigen Bibelausgaben nur sehr rudimentär und unzureichend kommentiert und erläutert. Ich habe bei der Apokalypse nun einen Mittelweg angestrebt. Ich musste mich als Nichttheologie auf diese umfangreiche Fachliteratur stützen und habe dabei sehr viel kompilierende Arbeiten vorgenommen. Genauso musste ich auf der anderen Seite, die jeweilige Meinung der Kommentatoren filtern und gewichten. Im Ergebnis möchte ich das Hilfsmittel meines Kommentars nicht als so klein bezeichnen. Er erläutert alle wichtigen Fragen, zwar sehr knapp mitunter, aber es wird nichts ausgespart, was wichtig ist. Der Leser wird nicht alleine gelassen.
Die Zahl der Menschen, die Altgriechisch lesen und verstehen können, ist überschaubar. Das Original werden also die wenigsten zum Vergleich heranziehen. Wer Ihre Übersetzung beurteilen möchte, muss andere Übersetzungen heranziehen. Wahrscheinlich wird das die von Martin Luther sein, denn sie ist die bekannteste und weit verbreitet. Nicht zuletzt wegen des anstehenden Jubiläums »500 Jahre Reformation«, sei die flappsige Frage gestattet, was hat Luther falsch gemacht?
Luther hat bei seiner Übersetzung ein großes Unbehagen verspürt. Er habe sich nie recht in diesen Text einfühlen können, schrieb er zur Apokalypse. In der gesamten Kirche übrigens ist das Buch umstritten. In der Ostkirche zum Beispiel darf die Apokalypse nicht im Gottesdienst vorgelesen werden und in der syrisch-orthodoxen Kirche gehört das Buch nicht einmal zum Kanon. Bei Luther sei mit Nachdruck an das berühmte Wort »sola fide« erinnert, allein durch den Glauben. Das Wort »sola« steht nirgends im Original, ist aber entscheidend geworden für die gesamte Reformation. Luther hat den Text an zahlreichen Stellen nicht gefälscht, aber stark verändert im Hinblick auf seine Absichten. Hinzu kommt, dass die von Luther verwendete sächsische Kanzleisprache des 16. Jahrhunderts etwas ganz anderes ist, als das Deutsch von heute. Insofern war Luther kein Hindernis oder Problem für mich: Meine Prämisse lautete, nicht zu verfälschen, aber im Gedankengang zu modernisieren. Immer wieder habe ich mir die Frage gestellt ist das frisch genug, heutig und aktuell, aber nicht modernistisch.
[Zum Vergleich: Die Offenbarung in der aktuell vollständig überarbeiteten Luther-Übersetzung | »Lutherbibel 2017«]
Jenseits von altphilologischem Interesse, warum sollten wir diesen alten Text heute noch lesen? Was hat er mitzuteilen, ist er noch aktuell?
Mehr denn je, denn in der Offenbarung werden unglaubliche Katastrophen kosmischen Ausmasses geschildert. Überschwemmungen, Metoriteneinschläge, Hunger und Durst in der Welt, Seuchen. Diese Plagen sind heute doch längst Realität oder es steht zu befürchten, dass sie in absehbarer Zeit eintreten werden. Jetzt könnte man natürlich einwenden, wenn das existiert, warum soll ich das noch nachlesen. Apokalypse bedeutet Katastrophe, ja, aber nicht das Letzte. Es wird theologisch nicht das letzte Wort Gottes gesprochen und dann kommt die Vernichtung, sondern am Ende steht das neue Jerusalem. Auf unsere zerstörte Welt wird wie an einem gigantischen Kran eine neue Welt herabgelassen. Bevor das geschieht muss aber noch eine große Entscheidungsschlacht geschlagen werden. Mir kommt es manchmal so vor, als seien wir in dem, was wir gegenwärtig im Zusammenprall und Zwist der Kulturen erleben, bereits auf dem Weg dorthin. Unabhängig von theologischen Inhalten, unabhängig vom Glauben, überwältigt die Apokalypse den Lesen als Kunstwerk mit einer gewaltigen Bilderflut. Das ist egreifend, auch für Agnostiker und Atheisten. Der Gläubige mag es darüber hinaus als Aufforderung zur Umkehr verstehen. Von Umkehr ist nämlich viel die Rede und vom neuen Leben. Es ist ein Hoffnungsbuch und ein Trostbuch, es ist eine Ermutigung und Stärkung. Übrigens liegt darin, dass man durch Katastrophen hindurch gehen muss, um am Ende Erlösung zu finden, eine Parallele zu vielen großen Werken der Literatur. Auch die Odysse beschreibt einen Weg durch eine Reihe von Katastrophen und Herausforderungen, eine Folge von Fährnissen und Niederlagen, aber am Schluss steht die Versöhnung in der Rückkehr in die Heimat. Ebenso in der Ilias durch die Auslösung der Leiche Hectors durch Priamos bei Achilleus.
Herr Steinmann, vielen Dank für das Gespräch.
Ein faszinierendes Buch vom Ende der Zeit
Die Apokalypse ist ein Text der Antike, in ihrer visionären Wucht und Brutalität aber immer noch mitreißend und packend. Johannes hat mit seiner Beschreibung der Endzeit die Vorstellungen der christlich-jüdischen Kultur des Abendlandes, der große Begriff sei hier gestattet, nachhaltig geprägt. Man denke nur an Albrecht Dürer, der entgegen allen Gepflogenheiten ohne Auftrag eines Fürsten oder Mäzens 15 großartige Holzschnitte zur Apokalypse geschaffen hat, aus eigenem Antrieb, weil ihn und seine Zeit der Text so bewegt hat. Der schwedische Künstler Daniel Egnéus nimmt dieses Erbe in seinen sieben doppelseitigen Illustrationen für die vorliegende Ausgabe auf.
Weil er sich von vielen althergebrachten Formulierungen älterer Übersetzungen gelöst hat ist Kurt Steinmann trotz großer philologischer Akribie eine neue Apoklaypse gelungen, die uns aufzurütteln und zu erschüttern vermag. Es ist ein literarischer Text von Rang, den es zu lesen lohnt, ganz unabhängig davon ob wir nun glauben oder nicht. Wie sehr die Apokalypse auch jenseits der Theologie unsere Kulturgeschichte geprägt hat, verdeutlicht Jürgen Kaube in einem instruktiven und kenntnisreichen Nachwort. Obendrein ist es eine wundervolle, bibliophile Ausgabe, die sich als Geschenk förmlich anbietet, sei es für andere oder für sich selbst.
Aus dem Altgriechischen und mit Anmerkungen von Kurt Steinmann
Mit einem Nachwort von Jürgen Kaube und 7 farbigen Illustrationen von Daniel Egnéus
Gebunden, fadengeheftet im Schmuckschuber 176 Seiten
Zürich: Manesse Verlag 2016
Mehr Informationen zum Buch und eine Leseprobe auf der Webseite des Verlages