Noppensocken und Hüte – Mit Frank Schulz auf Kreuzfahrt
Für Donald Maria Jochemsen ist die FlipperIV ein Albtraum der Meere. Und dennoch schifft sich der unter wechselnden Pseudonymen wechselnd erfolgreiche Kiezkünstler und alternde Offkultur-Bohemien wacker ein. Die angebetete Tänzerin Kristin Luise gilt es zu überraschen. Weil Donald aber erfahren hat, dass auf Kreuzfahrtschiffen immer wieder Passagiere unter mysteriösen Umständen verschwinden, engagiert er als Leibwächter Onno Viets, jenen Ex-Kneipier, Hartz-IV-Empfänger, Tischtennis-As und Teilzeitprivatdetektiv, der nach wilden Abenteuern mit einer durchgeknallten Hamburger Mafiaclique unter postraumatischen Störungen leidet (alle Details in Onno Viets und der Irre vom Kiez).
Die Reise auf dem Schiff der baumelnden Seelen wird für den misanthropisch beharrlich vor sich hin raunenden und Mitmenschen (»Diese Fratzen, diese Fratzen!«) beleidigenden Donald zu einer nur noch im Dauersuff (»Schnapsi-Taxi!!«) zu ertragenden Riesenenttäuschung und für den angstgebeutelten unter Verfolgungswahn leidenden Onno zum Wendepunkt seines (eigentlich genügsam-vergnüglichen, aber dennoch verkorksten) Lebens.
Frank Schulz zieht wieder einmal alle Register, die der groteske Humor zuläßt. Vulgär-banale Kalauer wechseln sich ab mit verschmitzten Alltagsbeobachtung, knorrige Bosheiten folgen auf ironische Seitenhiebe und alles und jeder wird durch den Kakao gezogen. Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung feiern fröhliche Urstände, durchzogen von Schulzes sattsam bekannten, trockenen und mit Missingsch und Hamburger Schnack angereicherten Ton. Wer auf psychologisch fein austarierte, tiefgründige Charaktere hofft, ist hier fehl am Platz. Onno und Donald sind Archetypen, von Archetypen umgeben. Doch der kleine Kosmos der FlipperIV, unermüdlich befeuert und in Drehung gehalten von der omnipräsenten Entertainment Mangagerin Maren Vigoleit, läßt liebevoll karikierte Blicke auf unser Leben zu, ja, zwischen all den absurden Abenteuern von Donald und Onno an Bord sind Körnchen tiefer Weisheit verstreut. Das ist das große Talent von Frank Schulz, dass er seinen Lesern zwischen Schenkelklopfern und beständigem Kichern die Abgründe des Lebens aufzeigt.
Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen ist bei allem hanebüchenen Slapstick eine durchaus ernsthafte Beschäftigung mit Alter und Vergänglichkeit; große Träume platzen während der Reise, sichere Ankerplätze des Alltags entschwinden am Horizont und am Ende steht Onno vor den Trümmern seines Lebens, weil er einer Lebenslüge aufgesessen ist, in der er sich den Glauben an die unsterbliche Lebensliebe vorgegaukelt hat. Im urkomischen Roman steckt ein tieftrauriger Kern.
Der Verfasser dieses bescheidenen Blogbeitrages kann sich noch so viel Mühe geben, die hohe Kunst des schulzschen Humors zu erklären, es wird ihm nicht gelingen; deshalb auch der bewusste Verzicht auf Zitate aus dem Roman. Die Heiterkeit ebenso wie die Tiefgründigkeit von Frank Schulz versteht man erst, wenn man Frank Schulz liest, und zwar längere Passagen. Oder noch besser, wenn man Frank Schulz hört. Dringend sei empfohlen, eine Lesung des Hamburger Kultautors zu besuchen, wenn sich die Möglichkeit ergibt, denn mit seiner Stimme, seinem unverwechselbar-trockenem Hamburger Ton im Ohr werden weitere Türchen in seinem urkomisch-traurigen Werken aufgeschlossen. (Hier: Leseprobe aus dem Roman auf der Verlagsseite.)
Bei näherem Hinsehen gibt es beim Humor, wie bei allem anderen im Leben auch, drei Kategorien, es gibt ihn in übel, in flach und in gut, es gibt den Humor im Tetrapack vom Aldi, es gibt den Humor in der Schraubverschlussflasche für ein paar Mark von der Tankstelle und es gibt den Humor vom Wein-Peter, spezialabgefüllt, grand cru und St. Emilion und was weiß ich nicht alles.
Das sagte Sven Regener in seiner Laudatio auf Frank Schulz bei der Verleihung des Kasseler Literaturpreises für grotesken Humor Ende Januar. Und er fügte hinzu, Frank Schulz beherrsche schlafwandlerisch sicher alle drei Arten, aber den größten Fehler, den Humor machen könne, begehe er nie: nämlich Witze auf Kosten anderer Menschen zu machen. Die leser von Frank Schulz lachen am Ende über immer nur über sich selbst. Das ist hohe Kunst.
P.S.: Die Preisrede von Sven Regener ist hier als PDF vollständig zu lesen.
Köstlich amüsiert hat sich über den Roman auch Gérard vom Blog Pop-Polit.
P.P.S.: Der geheimnisvolle Titel dieser Besprechung ist a.) den Noppensocken mit Schlumpfmotiv zu verdanken, in denen Onno Viets an der Tischtennisplatte unschlagbar ist – zumindest in der entsprechenden Sportabteilung des BSV Hollerbeck Eppendorf e.V. und b.) Donalds Vorliebe für extrem ausgefallene, mehrfach am Tag nach ausgeklügeltem System auszutauschenden Kopfbedeckungen aller Art, neben Drogen, Schmerztabletten und Alkoholika aller Art.
Roman
Gebunden, 332 Seiten
Berlin: Galiani Verlag 2015