Fotografie – sehen, verstehen, gestalten
Lesen bildet! Auch beim Fotografieren? – Ja! – Aber niemand sollte glauben, durch das Lesen einiger Fachbücher zum guten Fotografen zu werden. Fotografieren, so meine bescheidene Erfahrung, lernt man nur durch Fotografieren, und das auch nur, wenn es stets verbunden ist mit einer gehörigen Portion Selbstkritik. Dennoch versprechen unzählige Bücher, mit ihrer Hilfe zum besseren Fotografen zu werden. Und jeden Monat kommen neue hinzu. Vor allem technisch orientierte Lehrbücher für Anfänger und Einsteiger gibt es massenhaft. Ich gebe zu, auch bei mir stapelt sich da einiges in den Regalen und Schränken. Wirklich von Nutzen waren nur ganz wenige. Der fortgeschrittene Amateur muss auf dem Markt dann bereits deutlich länger suchen, bis er Lehrwerke findet, die ihn auf Dauer fesseln und ihm neues vermitteln. Zwei haben es mir in der jüngeren Vergangenheit besonders angetan; die möchte ich hier gerne vorstellen.
Das Wesen der Fotografie
Stephen Shore, der einflußreiche (und von mir hoch geschätzte) Fotokünstler, hat eine Art ABC-Fibel für Fotografen geschrieben. Sie entstand aus seiner langjährigen Lehrtätigkeit an einer US-amerikanischen Hochschule. In Das Wesen der Fotografie. Ein Elementarbuch beschreibt Shore, wie die Fotografie die Wirklichkeit transformiert und mit welchen Mitteln der Fotograf in diesen Prozess eingreifen kann.
Shore geht das Thema beinahe philosophisch an. Er analysiert die physische/dinghafte, die beschreibende/darstellende und die geistige Ebene der Fotografie. Dabei steht die Beschreibung des fotografischen Abzuges als physisches Objekt, als Ding also, am Anfang und erst nach und nach treten formale, inhaltliche und konzeptionelle Aspekte hinzu. Fläche (Flachheit), Ausschnitt, Zeit und Focus stehen im Mittelpunkt. Sie definieren die Fotografie, bestimmen ihr Wesen. Shore illustriert seine jeweils sehr konzentrierten und knappen Definitionen mit Fotos von bekannten und unbekannten Fotografen. So entsteht ein ABC, ein Art kleines Einmaleins der Fotografie. Der Fibelcharakter dieses Buches, viele Bilder und wenig Text, verführt immer wieder aufs Neue zum Lesen, Blättern und Nachdenken. Definitiv ein Lehrbuch für die Ewigkeit, auch wenn sich hier keine Patentrezepte für bessere Bilder finden lassen.

Ein Elementarbuch
Gebunden, 136 Seiten, mit 86 Abbildungen
Berlin: Phaidon 2009

Bildaufbau und Farbdesign
Mein zweiter Klassiker stammt von Harald Mante. Er gehört unbestritten zu den besten Lehrern, wenn es um Bildaufbau und Farbgebung geht. Seine Lehrbücher gehören seit Jahrzehnten zur Pflichtlektüre angehender Fotografen und Designer. Das Foto ist eine gemeinsame Neuauflage von zwei ursprünglich getrennt erschienenen Büchern. In beiden Teilen des Werkes geht es nicht um Belichtungszeiten, Blendenwerte und ISO-Zahlen; wer so etwas sucht, wird enttäuscht. Im ersten Abschnitt (Bildaufbau) dreht sich alles um Punkte, Linien und Flächen. Diese drei Elemente werden dabei nacheinander aus dem jeweils vorhergehenden entwickelt. Richtig eingesetzt, sind sie für das ausgewogene Bild zuständig, unabhängig vom Bildinhalt. Die Nähe zu Kandinskys Theoriewerk Punkt und Linie zu Fläche und Lehrbüchern der Meister des Bauhauses ist keinesfalls zufällig.
Im zweiten Abschnitt (Farbdesign) analysiert Mante dann Farben, Farbkombinationen, sowie ihre harmonische Flächenverteilungen. Zunächst sind da die Primärfarben, ihre Wirkung und ihr Gewicht. Es folgen, nur zu konsequent, Sekundär- und Tertiärfarben und wie die quasi mit in den Farbkreis gezogenen Dreiecken, Rechtecken und Quadraten ansprechend kombiniert werden können. Alles wird umfangreich und anschaulich bebildert und nachvollziehbar beschrieben. Auch Mante geht es, wie Shore, nicht um feste Regeln und Rezepte, sondern um ein gestalterisches Einmaleins, das der Fotograf erlernen und und im Schlaf beherrschen sollte; erst dann sei er in der Lage, seine inhaltlichen Aussagen entsprechend zu gestalten.

Bildaufbau und Farbdesign
Gebunden, 208 Seiten, mit 750 Fotos und Grafiken
Gilching: Verlag Photographie 2010

Ferner gilt: lieber in der Kunstabteilung der Buchhandlung stöbern als in der Ecke für Fototechnik. Denn natürlich sind auch Bildbände, Ausstellungskataloge und Fotobücher guter Fotografen (und Fotografinnen) eine exzellente Schule. Bildaufbau, Farbgebung, Motivauswahl und Lichtgestaltung können hier ganz in Ruhe studiert und nachvollzogen werden. Aus möglicherweise zunächst nur nachahmenden Fingerübungen wird dann mit viel Fleiß vielleicht irgendwann ein eigener Stil.