Alfred Andersch & Arno Schmidt = 1 kleine Würdigung
Am 21. Februar 1980, also heute vor 35 Jahren, ist Alfred Andersch im Alter von 66 Jahren in Berzano, Schweiz, verstorben. Dort ist auch seine letzte Ruhestätte. Alfred Andersch gehört als Schriftsteller und Essaist zu den bedeutenden literarischen Stimmen der jungen Bundesrepublik und war Mitbegründer der legendären »Gruppe 47«. Ich möchte ihn an dieser Stelle auch (und besonders) als lebenslangen Freund und Förderer Arno Schmidts würdigen, mit dem er das Geburtsjahr, ja beinahe sogar den Geburtstmonat teilte. Andersch, 4. Februar 1914, Schmidt, 18. Januar 1914.
Kennengelernt hatten sich beide im Herbst 1952 bei einem Treffen mit Martin Walser in Stuttgart. Walser war dort Redakteur beim Süddeutschen Rundfunk. Andersch und Schmidt nahmen sofort einen regen Briefwechsel auf, in dem zunächst mögliche Veröffentlichungen Schmidts in der Frankfurter Verlagsanstalt verhandelt wurden. Doch erst 1954 erschienen dort in einem schmalen Bändchen die zwei Prosastudien Die Umsiedler und Alexander oder was ist Wahrheit? Der Erfolg war mäßig.
Der Pocahontas-Skandal
Mehr Wirbel gab es dann im April 1955 um Seelandschaft mit Pocahontas. Schmidts Erzählung erschien in der von Andersch herausgegebenen Zeitschrift »Texte und Zeichen« und brachte beiden eine Anzeige wegen Pornographie und Gotteslästerung ein. Andersch hatte die Erzählung zu einer Zeit veröffentlicht als Schmidt ohne festen Verleger und gesichertem Einkommen war.
Ob es nicht doch zum Prozeß kommt, ist schwer zu sagen. Ich bin vorige Woche dazu vernommen worden und habe eine Erklärung ins Protokoll diktiert, die sich die Herrschaften hinter den Spiegel stecken können,
(Andersch in einem Brief an Schmidt)
Das Verfahren, in dessem Verlauf Schmidt aus Angst vor einem möglichen Prozeß im erzkatholischen Trier schließlich nach Darmstadt übersiedelte, wurde rund 15 Monate später eingestellt. Gleichzeitig setzte Andersch alle Hebel in Bewegung, Schmidts Romanmanuskript Das Steinerne Herz an Ernst Krawehl und den Stahlberg Verlag in Karlsruhe zu vermitteln. Letztlich mit Erfolg.
Was Sie hier mit der Sprache machen, das ist heute in Deutschland einzigartig, und auch gar nicht wiederholbar. Es wird sich erst in Jahrzehnten auf den Gesamtzustand unserer Sprache und ihrer Literatur auswirken.
(Andersch in einem Brief an Schmidt)
Atomreaktor zum Eierkochen
Kritik an seinen Texten und an seinem eigenwillgen Stil akzeptierte Arno Schmidt nur von wenigen Menschen, Alfred Andersch war einer von ihnen.
Ich sage kein Wort gegen die Sprachkraft der drei Stücke, aber es besteht einfach eine Diskrepanz zwischen der Sprachkraft und dem, was damit bewegt wird. Es kommt mir so vor, als benutzten Sie ein Atomkraftwerk zum Eierkochen.
(Andersch in einem Brief an Schmidt)
Es wäre kaum überraschend gewesen, hätte der mürrische und stets eingeschnappte Schmidt den Kontakt nun abrupt abgebrochen, doch von Andersch nahm er selbst derart harsche Einwände entgegen, ein Zeichen höchster Schätzung und Anerkennung.
Als Rundfunkredakteur (übrigens auch in Zusammenarbeit mit Hans Magnus Enzensberger) überredete und überzeugte Andersch den Kollegen, sein Talent dann für die »Nachtprogramme« einzusetzen. Erste Entwürfe Schmidts kanzelte Andersch jedoch als mangelhaft und denkbar ungeeignet für eine Sendung ab.
Ihre Szenen zu »Cooper« sind durchaus geglückt, aber für das Nachtprogramm nicht verwendbar, weil Sie nämlich Struktur und Qualität dieser Programme unterschätzt haben. Ich werde versuchen, ihn im Jugendfunk unterzubringen.
(Andersch in einem Brief an Schmidt)
Gleichzeit stachelte er Schmidt an, nicht wie sonst häufig bei Ablehnung, gleich aufzugeben; natürlich waren auch die recht üppig bemessenen Honorare ein schlagendes Argument.
Sie sehen, ich bin gar nicht so bockbeinig, auch nicht so ein Verächter des Mammons, wie Sie anzunehmen scheinen : Ich lege Ihnen hier ein anspruchsvolleres Nachtprogramm vor. BROCKES!
(Schmidt in einem Brief an Andersch)
Dieser Dialog fand auf Anhieb Andersch Gefallen und viele weitere folgten. So verdanken wir Andersch Schmidts geistreiche Funkdialoge über vergessene und/oder verkannte Schriftsteller und ihre Bücher. Diese pointierten, meinungsfreudigen und sprachlich messerscharfen Dialoge sind bis heute hörens- und lesenswert.
Die Anerkennung beider beruhte auf Gegenseitigkeit. Schmidt hat sich selten zu Arbeiten von Kollegen geäußert und Rezensionsanfragen in der Regel mit Verweis auf sein enorm=überhartes Arbeitspensum barsch abgewiesen. Eine Ausnahme machte er bei Alfred Andersch, nicht zuletzt weil auch in dessen Romanen Außenseiter und Verkannte (vermeintlich vom Schlage Schmidt) herausragende Rollen spielten. Über Sansibar, oder der letzte Grund urteilte Arno Schmidt.
Ich als 1 Deutscher will sagen, was Andersch’s großes Buch ist : Eine, sachlich unwiderlegbare, Anklage gegen Deutschland. Eine Warnung »an Alle, die es angeht«. Unterricht in (ja, fast eine Anleitung zur) Flucht als Protest. Ein Misstrauensvotum ersten Ranges gegen unser behäbig=aufgeblasenes »Volk der Mitte«. Kompositorisch ausgezeichnet; sprachlich bedeutend über dem Durchschnitt.
(»Das=Land=aus=dem=man=flüchtet« – In: Die andere Zeitung, 24.10.1957)
Eines aber gelang Andersch nicht, Arno Schmidt zur »Gruppe 47« einzuladen. Der knorrige Wortmetz lehnte ein Mitwirken in diesen elitären Zirkel vehemnt ab.
Muss ich bei der Gruppe 47 auch singen? Oder genügt es, nackt vorzulesen?
So sehr Andersch diese Absage auch bedauerte, er blieb Schmidt bis zuletzt in enger Freundschaft verbunden. Nach Arnos Tod schrieb Alfred Andersch in seinem Kondolenzbrief an Alice Schmidt:
Ich las soeben wieder einmal »Das Steinerne Herz«. Was für ein Riese ist da von uns gegangen!
Alfred Andersch & Arno Schmidt: ihr Verhältnis war zutiefst geprägt durch gegenseitige Anerkennung und Hochachtung. Zwei große Schriftsteller, zwei bedeutende Chronisten der jungen Bundesrepublik, deren Werke bis heute weit herausragen.
Eine Edition der Arno Schmidt Stiftung.
Herausgegeben von Bernd Rauschenbach.
Gebunden, 260 Seiten
Zürich: Haffmans Verlag 1983