Die Museumsinsel – Im Auge fremder Betrachter
Wenig bescheiden bezeichnet der Berliner die Museumsinsel gerne als Louvre an der Spree. Unbestritten ist das Museumsensemble in der Mitte Berlins eine Touristenattraktion. Millionen von Besuchern aus In- und Ausland zieht es jährlich in die fünf imposanten Gebäude. Wäre doch schön, wenn man mehr erfahren könnte über die Eindrücke der vielen Besucher, oder?! Für die aktuellen Touristenströme ist das eher schwierig, denn wirklich ergiebig sind die Kritzleleien in den ausgelegten Gästbüchern oder auf Facebook- und Twitter-Seiten nicht. Für Museumsgäste vergangener Zeiten liegt nun aber ein kleines Büchlein vor, das erhellende Einblicke liefert. Für den Pariser Louvre oder die Dresdner Gemäldegalerie gab es eine solche Sammlung von Impressionen, Urteilen und Stimmen schon. Nun zieht die Berliner Museumsinsel nach. Bénédicte Savoy, Professorin für Kunstgeschichte an der TU Berlin, und die freie Kunsthistorikerin Philippa Sissis haben zusammen mit Studierenden der TU Berlin die Texte für diesen Band ausgewählt und editiert.
„Die Berliner Museumsinsel. Impressionen internationaler Besucher (1830–1990)“ ist innerhalb des institutionsübergreifenden Exzellenzsclusters „Topoi“ entstanden. Aber keine Angst, es ist keine staub-trockene Sammlung kunsthistorischer Betrachtungen, sondern ein sehr lebendige Auseinandersetzung mit der Museumsinsel und ihren Schätzen.
So schwärmte 1902 Guillaume Apollinaire beim Anblick des Pergamon-Altars: „Ach, was ist das schön! Welch herrliches Gedicht in Stein“. Den niederländischen Maler Johan Gram zog es dagegen schon 1880 eher in die Nationalgalerie, denn die Kunst sei dort so „königlich untergebracht, dass man die Schale viel schöner findet, als die Perlen, die sie enthält“. Sigmund Freud wiederum ließen die „antiken Scherben“ auf der Museumsinsel unbeeindruckt. Und 1841 attestierte ein französischer Besucher Karl Friedrich Schinkel „tiefe Unkenntnis der elementaren Regeln der Architektur“. Gemeint war das Königliche Museum, das 1830 als erstes Haus auf der Museumsinsel eröffnet worden war.
Impressionen internationaler Besucher 1830–1990. Eine Anthologie.
Franz. Broschur, 336 Seiten m. zahlr. Abbildungen
Köln (u.a.): Böhlau 2012
Die Anthologie enthält – bis auf drei – ausnahmslos ausländische Besucherstimmen zur Berliner Museumsinsel mit seinem Alten und Neuen Museum, dem Pergamonmuseum und der Alten Nationalgalerie. Versammelt sind Reiseberichte, Tagebucheinträge, Briefe, Zeitungsartikel und autobiografische Skizzen von Wissenschaftlern, Literaten, Künstlern, Journalisten und ganz normalen Reisenden. Viele der Berichte von Reisenden aus aller Welt wurden für die Anthologie erstmals ins Deutsche übersetzt, einige Dokumente werden sogar zum ersten Mal veröffentlicht wie zum Beispiel die eindrucksvollen Skizzen des Malers William Turner zum Alten Museum.
Die Dokumente geben einen äußerst lebendigen Einblick, wie die Museen und ihre Sammlungen von Ausländern wahrgenommen worden sind – teils euphorisch, teils kritisch –, oft vergleichend mit dem, was sie von Zuhause kennen. Sie spiegeln auch, wie die Bedeutung der Museen sich für die Besucher im Laufe der Zeit wandelte; die zuweilen nur noch besucht wurden, um der bildungsbürgerlichen Pflicht zu genügen. Andererseits gingen von der Museumsinsel wichtige Impulse aus für die europäische Museumskultur.
Reich illustriert mit zum Teil unbekannten Fotos wie dem von Charlie Chaplin 1931 am Pergamonaltar, ist das Buch eine hoch vergnügliche Lesereise durch ein Stück Berliner Museumsgeschichte. Schön ist es zu lesen, welche Emotionen und Diskussionen die Museen auslösten. Interessant aber auch, wie Kino, Kabarett und andere Vergnügungen die Menschen von Museumsbesuchen abhielten, Berichte darüberdominierten ab 1925.
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der erneuten Diskussion um einen möglichen Umzug der Berliner Gemäldegalerie am Kulturforum auf die Museumsinsel liefert die von Savoy und Sissia herausgegebene Anthologie auch ein „Plädoyer für mehr historische Tiefe“. Dazu passend endet der Band mit einem Artikel des New Yorker Kunstkritikers John Russell. Angesichts des Mauerfalls und damit der Möglichkeit, die durch Krieg und Teilung auseinandergerissenen Berliner Sammlungen wieder zusammenführen zu können, fragte er 1990: „Was werden sie nun tun, da der Spiegel wieder zusammengefügt werden kann? Das werden die Zeit, das Taktgefühl und die tiefsitzenden Emotionen entscheiden.“