Tiefgang und Gelaber
Wer in den 1980er-Jahren etwas auf sich hielt, hat Spex gelesen. Die Zeitschrift gehörte einfach dazu, wenn man hip – hieß das damals eigentlich schon so? – sein und mitreden wollte. Spex war viel mehr als nur eine Musikzeitschrift. Spex war ein Muss, gab den Ton an, sagte wo es lang ging – oder behauptete zumindest, den Weg zu kennen – und Spex hatte keine Angst vor großen Tönen. Für den Leser war es nicht immer leicht, hier Tiefgang von Gelaber zu unterscheiden und mancher Text sorgte innerhalb des Bekannten- und Freundeskreises für heftige Diskussionen. Alles das ist lange her. Spex erscheint zwar immer noch, hat aber an Relevanz deutlich verloren.
Welche Texte aus Spex sind weiter gültig, welche überholt? Das kann nun in dem von Max Dax und Anne Waak herausgegebenen Das Buch Spex nachgeprüft werden. 33 1/3 Jahre Pop- und Kulturgeschichte.
Popmusik kann die Welt verändern, daran haben Pop-Apologeten stets geglaubt, Popmusik hat Einfluß auf Gesellschaft, Kultur und Soziologie, Popmusik ist im Kern revolutionär. Der Blick durch die popmusikalisch gefärbte Brille verändert Sichten und Ansichten und ändert mitunter auch die Art und Weise, wie man darüber schreiben kann und muss. Als 1980 Spex in Köln aus der Taufe gehoben wurde, glaubten die Macher des Blattes fest daran, über das Neue im Pop neu schreiben zu müssen. Sie konnten und der Spex-Ton wurde schnell berühmt (und berüchtigt).
Es ging um politische, ästhetische und poetische Neuorientierungen. Der Standort in der Gegenwart sollte neu bestimmt werden. Der Charakter der Texte verschreckte; der Ton war dogmatisch, imperativ, philosophisch, verschwurbelt und geheimnisvoll. Irgendwie waren Spex-Texte immer wie Schriften für Eingeweihte eines geheimen Zirkels, eine Art Kommunikation unter gleichgesinnten. Man las Spex nicht, man verschlang und verdaute sie, man lauschte den ungewöhnlichen Klängen zwischen den Zeilen.

33 1/3 Jahre Pop.
Gebunden, 480 Seiten
Berlin: Metrolit 2013

Max Dax, von 2006 bis 2010 Chefredakteur der Spex, und Anne Waak, freie Journalistin und unter anderem auch Autorin für Spex, haben 73 Schlüsseltexte über Musik und Popkultur aus über drei Jahrzehnten ausgewählt. Texte von Diedrich Diederichsen, Dietmar Dath, Clara Drechsler, Rainald Goetz, Christoph Gurk, Barbara Kirchner, Jutta Koether, Joachim Lottmann, Hans Nieswandt, Tobias Rapp, Klaus Theweleit u.a. (wahrhaft eine illustrie Autorenliste).
Da findet sich Grundlegendes, Abseitiges, Kurioses, Tiefgründiges aber auch Überholtes, Banales und, sorry, Unverständliches. Und immer ging es, das wird in der Retrospektive überdeutlich, um nicht weniger als die Frage, wie wir wurden, was wir sind. Überraschend vieles, was die Autoren damals in ihren Texten angerissen und gedeutet haben, wird heute noch diskutiert, wenn auch unter anderen Prämissen. Anderes ist eindeutig ad acta gelegt. Dennoch! Ein Blick zurück kann niemals schaden, er ist mitunter hilfreich, in gegenwärtigen Debatten Argumente neu zu ventilieren und die Koordinaten des eigenen, aktuellen Standpunktes neu zu vermessen. Mir hat die Lektüre vieler der in diesem Buch versammelten Artikel jedenfalls viel – nicht nur von Nostalgie gesteuertes – Vergnügen bereitet.