Die Nacht – Reise in eine verschwindende Welt
Die Milchstraße vor tiefschwarzem Hintergrund. Nichts ist atemberaubender. Ein Gewölbe aus Millionen blinkender Sterne, in unterschiedlichen Farben, und iefe Nacht bis zum Horizont. Wer das jemals gesehen hat, wird es nie vergessen. Nur, wo in unserer zivilsierten Welt läßt sich das noch erleben?
Es sind weite Reisen nötig für einen wirklich dunklen Nachthimmel. Die finstere Nacht kennen die meisten Menschen nur noch als Redensart. Die reale Nacht ist verschwunden. Über die ganze Erdkugel verteilt sich nachts gleißendes Licht von Straßenlaternen, Wohnhäusern, Tankstellen und Disco-Beamern. Das meiste davon ist reine Verschwendung.
Auch Licht ist Umweltverschmutzung. Ein Problem, das viele nicht wahrnehmen oder nicht wahrhaben wollen. Astronomen kämpfen seit langem schon gegen die Lichtverschmutzung, und das nicht nur aus Eigeninteresse. Doch in der Öffentlichkeit werden sie bislang meist nur belächelt oder verspottet. Um das zu ändern, hat sich der US-Amerikanische Autor Paul Bogard zu einer Reise in eine verschwindende Welt aufgemacht, zu einer Reise in die Nacht. Sein Bericht darüber ist lesenswert.
Ein faszinierendes Bild möchte man meinen; die großen Industrienationen sind lichtgesättigt, die Schwellenländer leuchten noch nicht ganz so hell, aber sie holen auf. Nur in unberührten Urwäldern, Hochgebirgen, Wüsten und an den Polen herrscht Finsternis. Für viele mag dieses Satellitenfoto der NASA ein Sinnbild für Wohlstand und Entwicklung sein, in Wirklichkeit ist es erschreckend. Unsere Kontinente scheinen in Flammen zu stehen – so viel Licht strahlen sie aus.
Schon heute erleben rund zwei Drittel aller Amerikaner und Europäer keine wirkliche Nacht mehr oder wohnen in einer Region, die als lichtverschmutzt gilt. Jährlich wächst die weltweite Beleuchtung um 6 Prozent. Sterne und Planeten kennen Kinder aus der Großstadt nicht mehr, genauso wenig wie lebende Schweine und Kühe. Und viel wichtiger noch als der unverfälschte Eindruck des nächtlichen Himmels ist die Tatsache, daß die natürliche Dunkelheit der Nacht unerlässlich ist für unsere Gesundheit und die aller Lebewesen.
Paul Bogard hat für sein Buch mit Biologen, Astronomen und Physikern gesprochen, mit Medizinern, Schrifstellern und Umweltaktuvisten. Gemeinsam schärfen sie das Bewußtsein für den Wert der Dunkelheit und die Gefahren des überflüssigen Lichtes. Licht, das produziert wird, um einfach nur in die Umwelt getrahlt zu werden, kostet nicht nur Geld, sondern schadet auch der Tierwelt und den Menschen. Biorhythmen geraten aus dem Takt, Lebenswelten werden buchstäblich in Licht ertränkt und die Schönheit der Nacht als (auch psychologisch bedeutendes) Gegengewicht zur Helligkeit des Tag wird nicht mehr erkannt.
Reise in eine verschwindende Welt
Aus dem amerik. Englisch von Yvonne Badal
Gebunden, 368 Seiten mit 14 s/w-Abbildungen.
München: Blessing 2014
Paul Bogard gliedert seinen Reisebericht in neun Kapitel. Er oreientiert sich dabei an der Bortle Skala. Sie wurde vom Astronomen John E. Bortle 2001 entwickelt, um den Grad der Lichtverschmutzung ohne optische Hilfsmittel mit dem bloßen Auge zu ermitteln. Sie reicht von Klasse 9 (innerstädtischer Himmel, an dem gerade noch der Mond als Himmelsobjekt sichtbar ist) bis Klasse 1 (Ort mit exzellent dunklem Himmel, an dem die sogar die Milchstraße sichtbare Schatten wirft). Entlang dieser Skala bewegt sich auch Bogard bei seiner Untersuchung zur voranschreitenden Lichtverschmutzung, vom hellsten Ort des Planeten, Las Vegas, bis in die dunkelsten Regionen. In Deutschland ist das übrigens Gülpe in Brandenburg, aber auch das Biosphärenreservat Rhön.
Bogard schreibt journalistisch; ihm geht es um Überzeugung, um plastische Erzählung und handfeste Fakten. Er berichtet über ökologische und ökonomische Folgen der Lichtverschmutzung, über das Verhältnis der Kulturen zur dunklen Seite des Planeten im Lauf der Menschheitsgeschichte und über technische Möglichkeiten, das Problem des überflüssigen Lichtes in den Griff zu bekommen. So besucht er Städte und Gemeinden, in denen die Verwaltungen die rundumstrahlenden Straßenlaternen gegen solche austauschen, die gebündelt wirklich nur den Boden unter ihnen ausleuchten. Und er zeigt, was das bringt. Bogard behält den Alltag im Auge, das praktische Beispiel, die packende Beschreibung des Misstandes. Er argumentiert und agitiert nicht; gerade das macht sein Buch so stark.
Auch wenn das Buch mitunter redundant ist und etwas zu häufig auf die Kraft der Anekdote vertraut. Bogards Reisebericht bleibt doch unterm Strich ein flammendes und lesenswertes Plädoyer, das nachdenklich stimmt. Noch ist die dunkle Nacht zu retten, es lohnt sich.
Foto der Milchstraße – Quelle: ESO