Zwischen Volksfest und Leserschwund – Das war meine Frankfurter Buchmesse 2018
Als der ICE irgendwo zwischen Berlin und Erfurt auf 300 km/h beschleunigt, verschwimmt die Landschaft draußen zu bunten Streifen und die mulmige Unlust, die Buchmesse zu besuchen, verfliegt. Am Tag zuvor noch hatte ich öffentlich gepostet, wie mich eine schwelende Blog- und Schreibkrise begleitet und was ich wünsche, erwarte, erhoffe:
Ich freue mich nicht nur auf Begegnungen mit lieben und vertrauten Buchmenschen, neue Bekanntschaften und viel Spaß. Nein, in diesem Jahr suche ich auch nach Inspiration und Motivation für »lustauflesen.de«. Sind wir literaturverrückten Blogger überhaupt noch interessant? Wenn ja, für wen und wie? Wer liest, was wir in die endlosen Weiten des Internets hineinschreiben? Sind Texte mit Tiefe und Argumenten noch gefragt oder reicht heimeliges Schnappschussposten und gefühliges Hashtaggen bei Instagram? Funktioniert »Literatur-Vermittlung« nur noch mit Kaffetassen, sexy Outfit, Gebäck und Emojis oder brauchen wir nach wie vor auch scharfen Verstand, kritische Haltung und hammerharte Urteile?
Wenige fixe Termine, viel Zeit für Gespräche: der Plan stand. Erste Festellung an Messetag eins: zu wenige T-Shirts und kurzärmelige Hemen mitgenommen, zu viele Pullover. »In Leipzig ab nun immer Schneesturm, in Frankfurt dafür Hochsommer im Herbst. Das ist der Klimawandel«, wurde mehrfach geraunt. Selten habe ich die Agora zwischen den Hallen so überfüllt gesehen, wie an den diesjährigen Publikumstagen. Klar, wegen des schönen Wetters sitzen alle draußen, dachte ich, weit gefehlt, in den Hallen noch mehr Gedränge. Kein Durchkommen, endlose Schlangen überall dort, wo es irgendwas zu sehen oder abzugreifen galt.
Das große Angstwort der Messe verlor hier augenscheinlich seine Bedrohung: »Leserschwund«. Die Ergebnisse der unlängst vom Börsenvein erhobenen Studie schwebten wie ein Damoklesschwert über zahlreichen Gesprächen, Meetings und Verlagsparties, zumindest über denen die stattfanden. Denn Fischer, Hanser und Rowohlt hatten ihre Veranstaltungen abgesagt. Wenn Leser schwinden und Umsätze einbrechen, sind Gratishäppchen freie Alkoholika für alle Fehl am Platz. Bei Rowohlt mag auch die »Causa Laugwitz« ein Rolle gespielt haben, niemand möchte ohne Unterlass erklären müssen, was wie warum im Verlegerbüro in Reinbek genau geschehen ist. Eine »geheime« Pressekonferenz zur Präsentation eines 1000-seitigen »Puffromans« aus der Kaiserzeit, kompensierte die ausgefallene Partie nicht wirklich. Und Barbara Laugwitz tauchte persönlich auch nirgends auf. Lediglich kleine Aufkleber und Plakate mit Hashtag #rowohlt und ihrem Porträt klebten guerillamäßig an Rolltreppen, Containern und auf einigen Toiletten (dem Vernehmen nach nur bei den Damen, über den Urinals der Örtlichkeiten für Herren pappte der Barbara-Sticker nicht).
Auch Inger-Maria Mahlke vermisst Barbara Laugwitz. In der kurzen Dankesrede (Video auf Youtube) bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises für Archipel dankte sie der Verlegerin überschänglich für die geleistete Arbeit, das Vertrauen, die Wertschätzung und die künstlerische Freiheit, die sie »ihren« Autor_Innen stets habe zukommen lassen. Mahlke schloss mit dem Hinweis, Bücher nicht wie Joghurt, herzustellen und via Wohlfühlfaktor vermarkten zu wollen. Joghurt sei vergänglich, Literatur aber bleibe und habe wichtigere Funktionen als jedes noch so bekömmliches Milchprodukt.
Wenn Verlage glauben, dem Leserschwund mit Wohlfühlliteratur, seichter Unterhaltung und konfektionierter Massenware begebenen zu müssen, ist das ein Irrweg. So buddelt sich der »Literaturbetrieb« noch viel tiefer ins eigene Grab. Jo Lendle, Verleger bei Hanser, erklärte dazu Grundsätzliches auf einer die ausgefallenene Stehrumchen ersetzenden Pop-Up-Veranstaltung des Literaturhauses, präzisierte das spontane Statement später im Buchmarkt und hat im Prinzip vollkommen Recht. #DontQuit. (Wobei auch Hanser mit dem neuen Imprint »Hanser blau« genau jenen Unterhaltungsmarkt ins Auge fasst. (Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.)) Ins gleiche Horn stieß auch der omnipräsente Denis Scheck bei einem seiner Auftritte: »Die Spiegel-Bestsellerliste«, sagte er, »halten viele für eine Empfehlung von Qualität. Das stimmt aber nicht. Sie ist vielmehr als Warnung zu verstehen.«
Widersprüche, die beflügeln!? Leserschwund und Massen von Besuchern hier, Wohlfühlliteratur und Bücher mit Tiefe und Anspruch dort. Wie das zusammenpasst und funktioniert beweist Georgien. Das Land am Rande Europas legte einen sympathischen Gastlandauftritt hin, der bei aller Wärme und Exotik sehr relevant war. Georgische Autor_Innen erteilen mit ihren Büchern fortwährend Lektionen darüber, wie gesellschaftliche Themen, wie das »Zeitgefühl« künstlerisch, eigenständig und originell behandelt werden können, ohne dabei Ästehtik und Kunstwollen beiseite zu räumen. Ja, georgische Literatur ist manchmal kantig und widerborstig, aber fast durchgängig sehr, sehr lesenswert.
Es ist an der Zeit für Männer, Bücher von Frauen zu lesen.
Diesen Appel setzte die Autorin Chimamanda Ngozi Adichie an das Ende ihrer nachdenklichen und gleichzeitig aufrüttelnden Rede bei der Eröffungspressekonferenz der Messe (Video auf Youtube). Auch mich berührte sie damit, in Herz und Verstand. Also: ich nehme mir vor, mehr Frauen zu lesen.
#DontQuit – Das steht am Ende auch meiner Streifzüge durch die Hallen. In vielen spontanen und verabredeten Gesprächen erhielt ich ehrliche Antworten auf meine Fragen. Ja, die »klassischen« Buchblogs werden gebraucht, werden gelesen und wahrgenommen, auch wenn es nicht jedesmal öffentliches Feedback hagelt, auch wenn der Hype-Faktor vermeintlich zu den Instagramern und »Buchcover-in-die-Kamera-haltenden« Influencern gewandert ist. So viele nette und kluge und einfühlsame Buchmenschen, Freund_innen, die »digital-sozial« immer in der Nähe sind, im »Real Life« aber viel zu selten, alle diese Menschen haben mich motiviert und inspiriert, mich umarmt und angetrieben, mir Zuspruch und neue Ruhe gegeben. Danke, das war eine großartige Buchmesse, an deren Ende niemand mehr von Leserschwund und Krise sprach sondern von Aufbruch und »Jetzt erst Recht! Die Welt braucht gute Bücher«.
#vielfaltdurchlesen – Wichtiger denn je
Wichtiger denn je sind Aktionen wie #vielfaltdurchlesen. Selma vom Binooki Verlag hat sie dankenswerterweise angeschoben und viele, viele machen mit. Feixenden »Volksverlegern« wie Götz Kubitschek, den die Messe warum auch immer mit seiner »Braunbuch-Produktion« inmitten der unabhängigen Verlage in Halle 4.1 plaziert hat, oder »Hilfsschulhitlern« wie Bernd (sic!) Höcke, wegen dessen marginal bedeutender Pressekonferenz die Polizei Treppenhäuser und ganze Hallengeschosse brachial abriegelt, rufen wir entgegen: »Wir geben nicht klein bei! Nein! Wir stehen auf gegen Eure menschenverachtende Dumpfbackigkeit und Eure Hassreden!« Wir leben #vielfaltdurchlesen.
Was sonst noch war?
Dank Isabella weiß ich nun, was ein »Original Frankfurter Abend« ist. Äppelwoi, Handkäs mit Musik und Mispelsche sind Teufelszeug. Aber lecker!
Auf dem Empfang der Frankfurter Verlagsanstalt in der Villa von Verleger Joachim Unseld begrüßt Tilman jeden mit den Worten: »Was machst Du denn hier? Ich dachte, das hier ist eine exklusive Veranstaltung?«
Auf der Dumont-Party (weil es die einzige Groß-Fête war, kamen alle mit prächtiger Stimmung und hemmungsloser Feierlaune) tauchte angeblich eine Schallplatte auf, die angeblich am Abend zuvor bei Unseld entwendet worden sein soll.
Der Fischer-Verlag hat eine sehr schöne Dachterasse mit grandiosem Blick auf die vor allem im Abendlicht beeindruckende Frankfurter Skyline. (Ob die nun schön ist, liegt im Auge des Betrachters.)
Bei Diogenes sind Selfies mit Miffy gefragter als die schönen Bücher.
Weil Bettina Wilpert für Nichts, was uns passiert und Manja Präkelt für Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß renomierte Preise abgeräumt haben, zieht Jörg Sundermeier vom Verbrecher Verlag die Spendierhosen an und schmeißt eine Runde Sekt nach der anderen.
Viermal den Stand des Deutschlandfunks aufgesucht, aber Jan Drees war jedesmal kurz zuvor entschwunden. Warum verpasse ich dich ständig, Jan?
Bei der Verleihung des Bubla18 tolle, liebenswerte und kluge Blogger_Innen kennengelernt, die ich noch nicht kannte.
Mit Jürgen viele Zigaretten geraucht, immer vor dem äußerst links gelegenen Eingang zu Halle 3.0.
Bei der Arno Schmidt Stiftung endlich, endlich den langersehnten Band mit dem Briefwechsel von Arno Schmidt und Hans Wollschläger durchgeblättert (erscheint im November) und mit Herausgeber Giesbert Damaschke geplaudert.
Am Ende einen prall gefüllten Koffer nach Hause geschleppt, der gefühlt 50 kg wog und kurz vorm Platzen stand. Das kommt davon, wenn man eigentlich keine Bücher annehmen will, aber immer wieder auf »Hier, das musst Du unbedingt lesen!« hereinfällt.
Zuhause ein leichter Messeblues, keine Erkältung und die Erkenntnis: Die Buchmesse Leipzig 2019 ist schon bald und auch Frankfurt 2019 kommt schneller als derzeit vermutet.