Ist Amazon böse? – Einige Gedanken und eine Entscheidung
Der Kulturbetrieb kennt zur Zeit nur einen Gegner. Alle prügeln auf Amazon ein. Und der Internetriese unternimmt alles, um sich (weiter) unbeliebt zu machen. Zuerst der Skandal mit unterbezahlten Leiharbeitern, die wie Arbeitssklaven gehalten wurden, dann berechtigte Aktionen der EU gegen die Steuervermeidungspolitik (nicht nur von Amazon) und nun eine brutale Rabattschlacht. Am liebsten würde Amazon Verlage sogar ganz abschaffen. Nach den Lagerarbeitern würden dann auch die Schriftsteller irgendwann zu Amazons Knechten.

Heute fragt die gedruckte ZEIT (Nr. 30/2014) »Brauchen wir Amazon?« und 19 Schriftsteller antworten. Sibylle Lewitscharoff schimpft Amazon dort »Ein widerliches, erpresserisches Unternehmen« und wünscht »diesem entsetzlichen Monopolisten den Untergang«. Etwas milder zeigt sich Jonathan Franzen: »Ich hätte es lieber, wenn die Leute meine Bücher an diesen alternativen Stellen kauften, aber ich habe auch kein Problem damit, wenn Amazon sie verkauft. Ich möchte gelesen werden.« Zumindest erwägen einige Schriftsteller weitere Aktionen gegen den Giganten, so etwa Navid Kermani. »Allein hat das keinen Zweck, aber wenn genügend Autoren mitmachen würden, schlösse ich mich wahrscheinlich einem Boykott sofort an.« Nachzulesen auch bei boersenblatt.net [Edit: Der ZEIT-Artikel hier auch online].
Schneller noch als in Europa oder Deutschland wächst der Widerstand in den USA. Dort, aber auch in Großbritannien, wickelt der Internetriese bereits den halben Buchhandel ab, und bei den E-Books ist die Marktmacht des amerikanischen Konzerns dort noch größer. Der Fernsehkomiker Stephen Colbert bietet seit kurzem einen Aufkleber mit dem Spruch »I Didn’t Buy It On Amazon« zum herunterladen an. Den kann zum Beispiel auf die aktuelle U-Bahn- oder Parkbank-Lektüre kleben und wird in der Öffentlichkeit nicht nicht mehr angemacht. Ist es so einfach? Ich fürchte, nein.
Jeder Verbraucher möchte schnellen Service, kostenfreie Lieferung, problemlosen Umtausch und günstige Preise. Genau das bietet Amazon; bei Haushaltswaren, Kleidung, Schuhen und eben auch bei Büchern. Nur handelt es sich bei denen, anders als bei Waschmaschinen, um ein sensibles Kulturgut. Mit Fug und Recht treten da Verlage, Autoren und idealistische Buchhändler zum Streit gegen die Monopolkapitalisten an; nicht nur gegen Amazon, sondern auch gegen Mediengroßkonzerne und Buchhandelsketten vom Schlage Thalia und Hugendubel. Je mehr Leser sich diesem Streit anschließen, desto besser.
Leider gerät lustauflesen.de an dieser Stelle in arge Bedrängnis, finden sich doch auf diesen Seiten unzählige Links zu … ja, Amazon! Ich grüble seit langem, ob ich diese Praxis aufrecht erhalten soll. Bislang ohne letzte Entscheidung.
Meine Sozialisation als Leser hat im analogen Zeitalter begonnen, wie damals nicht anders möglich in der traditionellen Buchhandlung und in der Leihbibliothek. Auch heute kaufe ich persönlich am liebsten beim Buchhändler meines Vertrauens. Bei Der Divan (weil gleich neben der Arbeitsstelle) oder bei Schleichers in Dahlem (weil so herrlich altmodisch-vollgestopft mit schönen Büchern und mit fachkundigem Personal). Ganz selten verirre ich mich noch in eine Hugendubel- oder eine Thalia-Filiale. (Die, das nur nebenbei, sich ohnehin selbst abschaffen durch kontinuierlich abflachendes Sortiment und angehäuftem esoterischen Nonbook-Schnickschnack.) Ein Trend, dem augenscheinlich nicht nur ich folge, wenn man den Jubelmeldungen des Börsenvereins des Buchhandels glauben schenken darf.
Was aber machen Menschen, Bücherliebhaber, fleißige Leser, die keine schönes Geschäft in der Nähe haben? Kleine inhabergeführte Buchhandlungen mit Flair, gehobenem Angebot, guter Beratung, ausgewähltem Sortiment und freundlichen Mitarbeitern ballen sich in der Regel in den Zentren, was verständlich ist, da sie auf Laufkunden in ausreichender Zahl angewiesen sind. Auf dem platten Land sieht das anders aus. Hier sind mitunter lange, sehr lange Fahrwege in Kauf zu nehmen. Nur Amazon liegt nah und der Prime-Kunde erhält die bestellte Ware in der Regel schon am nächsten Tag. Das ist doch toll, oder?!. Ist Amazon deswegen »alternativlos«?!
Relentless.com – unerbittlich bzw. gnadenlos – hatte Amazons Gründer Jeff Bezos seine Firma ursprünglich nennen wollen. Den Namen hat er fallen gelassen, die Haltung ist geblieben. Vom kleinen (anfangs noch sympathischen) Startup wurde Amazon zum Giganten, der alles plattwalzt, was sich ihm entgegenstellt. Die eigenen Mitarbeiter werden behandelt wie Roboter, aufmuckende Verlage werden geknebelt und erpresst, Logistikunternehmen müssen nach Amzons Pfeife tanzen und reichen den Preisdruck zwangsläufig an ihre Fahrer weiter. Eine Kette aus Drohungen und Erpressungen, mit der am Ende (wie immer) die Kleinen und Wehrlosen gefesselt werden.
Wer das nicht mag, muss, kann und darf woanders kaufen. Es sind ausreichend Alternativen zu Amazon vorhanden. Selbst viele stationäre Buchhändler betreiben parallel einen kleinen Internetshop oder bieten einen Versand an. Wenn ich dort auf das bestellte Buch eine Tag länger warten muss als bei Amazon, so what. Es ist immer ein Warten mit reine(re)m Gewissen. Deshalb heute meine finale Entscheidung.
Ab sofort keine Verlinkung mehr zu Amzon bei lustauflesen.de! Der Affiliate-Partner-Account wird geschlossen. Auf die Einnahmen daraus verzichte ich mit gutem Gefühl.
Wie haltet Ihr es mit Amazon? Habt Ihr Euch auch schon entschieden? …
20. November 2015 @ 16:08
Vielen Dank für Ihre Worte!
Es ist mir seit langem ein Rätsel, warum wir Deutschen zahlreich bei einem Unternehmen kaufen, das hierzulande so gut wie keine Steuern zahlt, und unseren Einzelhandel mit wucht platt machen will.
Muss man das gewünschte Produkt am selben oder nächsten Tag haben? Ich glaube nicht. Manchmal tut etwas Enthaltsamkeit auch ganz gut.
Vielen Dank für Ihre Entscheidung und liebe Grüße
Matthias Richter
20. November 2015 @ 17:14
Lieber Herr Richter,
danke für Ihre Rückmeldung. Ich persönlich habe den »Abschied« von Amazon zu keiner Zeit bereut. Das Dilemma ist: aus Kundensicht macht dieses Unternehmen alles »richtig«, aus Sicht derjenigen, die sich um örtlichen Handel, Vielfalt und Steuergerechtigkeit bemühen, läuft (fast) alles falsch. Hier hilft nur Aufklärung, das Angebot leistungsfähiger Alternativen (einige gibt es bereits) und eine persönliche konsequente Entscheidung. Diktieren kann und darf man die aber nicht. (Leider, bin ich versucht hinzuzufügen.) Aber wem sag ich das?! – Einem Buchhändler mit eigenem Shop! Eulen nach Athen getragen …
Ich empfehle gerne einen lesenswerten Artikel von Thomas Brasch (Brasch & Buch) zu diesem Thema: Umdenken muss der stationäre Handel, nicht der Kunde von Amazon
lg_jochen
24. Oktober 2014 @ 19:41
Lieber Herr Kienbaum,
danke, daß Sie sich der Konzernkrake mit A entzogen haben.
Als Buchhändlerin, aber auch schlicht und einfach als mitdenkende und mitfühlende Konsumentin – schließlich stehe ich ja auf beiden Seiten der Verkaufstheke – meide ich weitmöglichst Großkonzerne.
Auf der Internet-Plattform UTOPIA wurden im September diverse Online Alternativen zu Amazon aufgelistet: Fairbuch, Buch7 und Ecobookstore …
Auch als Buch-Bloggerin bin ich da ganz streng: Wer auf Amazon verlinkt, wird von mir nicht gelesen. Da haben Sie jetzt echt Glück gehabt 😉
Bibliophile Grüße
Ulrike von Leselebenszeichen
25. Oktober 2014 @ 07:42
Liebe Ulrike,
Ihr Kommentar und Ihr Besuch auf meinen Seiten freut mich. Da habe ich wohl wirklich Glück gehabt. 🙂
Allerdings bitte ich Sie um ein klein wenig Nachsicht, wenn Sie in den «älteren Bereichen» von lustauflesen.de doch noch über einen «bösen A-Link» stolpern sollten. Ich konnte leider noch nicht alle «umrubeln».
lg_jochen
22. Oktober 2014 @ 11:12
Ein schöner Beitrag, den ich zu 100 Prozent unterschreibe. Denn gerade im Online-Buchhandel gibt es zahlreiche Alternativen zum großen Infrastrukturzerstörer aus Seattle, sei es ocelot.de, kohlibri.de. osiander.de oder auch buch.de – letztendlich alle mit demselben Service, denselben Preisen und mit dem Unterschied, dass sie ihre Steuern bei uns bezahlen. Da ich von besuchenswerten Buchhandlungen umgeben bin, habe ich Bücher noch nie bei Amazon bestellt, aber gerne mal DVDs oder irgendwelchen Kram. Seit ich mich aber mit dem Thema mehr beschäftige, will ich dort kein Geld mehr ausgeben. Warum, habe ich hier aufgeschrieben: http://kaffeehaussitzer.de/?page_id=752
22. Oktober 2014 @ 11:51
…wobei man sagen muss, dass buch.de zu Thalia gehört, die ja den lokalen Buchhandel auch Stück für Stück verdrängen und auch recht aggressiv gegen die Buchpreisbindung vorgehen (wollten).
21. Juli 2014 @ 12:22
So, ihr Lieben, ich noch mal. Ich habe anlässlich der Diskussion hier sowie diverser anderer Diskussionen folgenden Artikel geschrieben, denn:
Wir brauchen dringend Alternativen – wo gibt es diese? Das wollen wir herausfinden:
http://www.booknerds.de/2014/07/alternativen-zu-den-maechtigen-fair-online-bestellen-aber-wo/
21. Juli 2014 @ 08:40
@Max: Na ja, ich habe, da ich im Einzugsgebiet eines der “Arbeitslager” wohne und somit auch schon als Nicht-Kunde mit dem Laden in Berührung kam (und das war schon ein paar Jährchen her) dank eines weiteren Blickwinkels noch eine etwas andere Sicht, und ich kenne eben auch so einige, die danach (oder schon vorzeitig) derart ausgebrannt waren, dass sie zum Teil in psychiatrische Behandlung mussten. Ich persönlich lehne diesen Riesen also nicht nur ab, weil es gerade im Trend liegt (wobei die Gründe allesamt dennoch nachvollziehbar sind), sondern weil es auf persönlichen Überzeugungen und Erfahrungen basiert. Und ich kann nicht viel mehr machen, als die Leute ein Stückweit zum Umdenken zu bewegen und ihnen vielleicht auch klar zu machen, dass ein Tag mehr Wartezeit einen auch nicht umbringt. Und wenn dieses Umdenken auch nur bei wenigen Leuten stattfindet und deren Gleichgültigkeit weichen muss, so sind die letztendlich diejenigen, die für Kundenzulauf bei kleineren und unabhängigen, ja faireren Händlern, sorgen.
21. Juli 2014 @ 07:23
@chris
Nee, is o.k. Ich fühl mich nicht angegriffen von dir.
Wollte nur sagen, dass jeder da kaufen kann, wo er will und wo es für ihn am besten ist. Wenn du und jochen und andere das nicht mehr wollen, meinetwegen. Was mich nur ein wenig stört ist, dass Amazon-Bashing gerade so in ist und leute, die wenig Alternativen zu Amzon oder so haben blöd angemacht werden. Hier ist das ja noch zahm. Aber anderswo ist das echt schlimm. Lasst die leute doch machen, was sie wollen.
M_H_Meng
20. Juli 2014 @ 17:29
@Max:
Schade, aber das ist – ohne Dir auf den Schlips treten zu wollen – meiner Meinung nach alles doch sehr bequem und kurzsichtig – und ein Stückweit doch sehr egoistisch geprägt.
Ich finde, es ist ein großer Unterschied, ob man sich Lebensnotwendiges zwangsläufig im (ausbeuterischen) Supermarkt kaufen muss (weil ein Bio-Huhn ein Vielfaches kostet) oder sich Luxusartikel (die im Falle von Büchern ja auch noch überall gleich viel kosten) zulegt. Und warum soll man diesen monopolbildenden Konzernen in die Hand spielen, wenn man die Bücher für denselben Preis auch bei kleineren, faireren Versandhäusern/Buchhändlern mit Onlinebestell- und Liefermöglichkeit haben kann und damit die “Kleineren” unterstützt.
Das Totschlagargument, andere seien auch böse und “…die armen Kinder in China/Indien usw. usf.” finde ich (es wird sicher von irgendjemandem kommen) auch völlig unsinnig.
Ich möchte von all denen, die weiterhin bei amazon und den längst basisfremden Ketten kaufen und bestellen, nie, hört, NIE Geflenne hören, wenn die Buchhändler, Elektrohändler und Plattenläden bald komplett ausgestorben sind und dass in den Städten ja alles gleich aussähe, denn genau diese Sturheit und Gleichgültigkeit, gestützt auf Bequemlichkeit (ich leb auf dem Land, ich hab keine Zeit, ich will mich nicht durch fünf Onlinehändler klicken, mir sind die Läden zu voll, es ist zu heiß, es ist zu kalt, ich hab mich noch nicht rasiert) bringt uns das ein, was wir heute haben.
No offense meant.
20. Juli 2014 @ 12:32
Sehr bedenkenswerter Beitrag. Da ich Sohn eines mittelständischen Privatunternehmers bin, kenne ich das Konkurrenzgerangel unter Firmen und die damit u. U. verbundenen Tragödien genau. Für Großkonzerne bin ich daher nicht sehr zu begeistern, andererseits nütze ich sehr wohl einiges von ihrem Angebot. Bei amazon bestelle ich hin und wieder, wenn’s anders nicht geht; die amazon-Website ist für mich die Buchauskunftsstelle Nr. 1, da ich noch keine bessere gefunden habe; in einer Wiener Thalia-Filiale trifft man mich immer wieder in der Zeit zwischen 18 und 21 Uhr, wo andere Buchhändler schon längst Feierabend machen; dennoch bemühe ich mich, “meinem” kleinen, inhabergeführten Buchladen treu zu bleiben, was leichter fällt, seit dieser einen Webshop hat und man zum Erlangen bestellter Bücher nicht zweimal hingehen muss; usw.
Wir leben jedenfalls in einer spannenden Zeit, was den Buchhandel betrifft. Und ein lokaler Buchhändler zu sein ist gegenwärtig wohl kein reines Vergnügen.
lg, Wolfgang Krisai / buchwolf
19. Juli 2014 @ 13:50
Als vehementer Amazon-Gegner finde ich die Entscheidung großartig. Ich habe mich von Anfang an dagegen gesträubt, ein Amazon-Affiliate-Programm einzubauen, bin aber noch recht unsicher, was ich, wenn ich es realisieren werde, nutzen soll, da ich auf meiner Seite nicht nur Rezis zu Büchern, sondern auch zu Filmen und Hörbüchern habe… denn die Produktseiten auf den Label- und Verlagsseiten verweisen oftmals indirekt auch auf Amazon, was mir persönlich so gar nicht schmeckt…
19. Juli 2014 @ 15:31
Lieber Chris,
ja, das Problem habe ich auch. Die Suche nach Alternativen gestaltet sich schwierig, landet man doch stets wieder bei Großkonzernen oder ihren Töchtern.
Ich mache es jetzt erst einmal ohne, wie
in vielen Blogs, die ich verfolge. Meist wird dort nachdrücklich der “kleine Händler um die Ecke” empfohlen. In der Regel können die über ihre Grossisten auch Hörbücher bestellen, vielleicht auch Filme(?).
Nur Menschen auf dem “wirklich platten Land” haben’s leider echt schwer.
18. Juli 2014 @ 19:11
Deine Entscheidung in allen Ehren, ich kaufe weiter bei amazon.
Ist für mich immer noch gut, zuverlässig und schnell.
Wenn ich mich den Machtspielen der Großkonzeren immer unterwerfe würde, kann ich bald gar nix mehr kaufen oder machen. Ich sage nur Google und so …
M_H_Meng