Mein erstes Mal (Teil 3): Huch, ich lese ein Ebook!
Jetzt ist es tatsächlich passiert. Meine Premiere. Ich lese ein Ebook, mein erstes, ich kann gar nicht beziffern nach wieviel Jahren Lesebiographie. Wie es dazu kam? Nun, ich liebe den neuseeländischen Autor Carl Nixon über alles. Seine Romane sind sprachlich dicht, seine Plots lebensnah geerdet und er zeigt sein Heimatland bar jeglicher Touristen-Romantik und Urlaubs-Idylle. Fish ’n’ Chip Shop Song und andere Geschichten heißt ein Band mit Shortstorys von Nixon aus dem Jahr 2006. Den haben nun Kim Keller, Martina Schmid und Sophie Sumburane ins Deutsche übersetzt und erschienen ist er bei CulturBooks. Den muss ich haben, aber leider gibt es den nur als Ebook. Es folgt …
… ein Dialog mit Zoë Beck, Verlegerin bei CulturBooks
»Ist doch nicht schlimm, lies ihn einfach als Ebook.«
«Ich habe aber keinen E-Reader, ich mag Ebooks nämlich nicht.«
»Brauchst du nicht, das liest sich hervorragend auch auf dem Smartphone oder dem Tablet, selbst am PC, glaube mir.«
»Überredet, ich probiere es mal aus. Schick mir bitte den Nixon, sofort!«
»Gerne doch. Viel Spaß mit den Geschichten.«

Zoë behielt Recht. Ebooks lesen tut nicht weh. Wirklich erstaunlich, wie angenehm es sein kann, »elektrische Bücher« auf dem Smartphone zu lesen, selbst Menschen mit zwei »linken technischen Händen« bekommen die Installation hin. Kaum eingetaucht in Nixons unsentimental-ehrlichen Geschichten von Außenseitern, Losern, von verlorener und gefundener Liebe, von Vaterfreuden und neuseeländischen Alltagsnöten habe ich sofort vergessen, dass ich hier kein Buch in den Händen halte, sondern ein Handy und der Text, den ich mit wachsender Begeisterung verschlinge, voll und ganz »elektrisch« ist. Ob Papier oder Bildschirm ist mir plötzlich schnurz; Ich tauche ein in Geschichten, das zählt. Nixon erzählt schnörkellos und geradeaus, immer mit dem richtigen Schuss Humor und Melancholie.

Übersetzt von Kim Keller, Martina Schmid und Sophie Sumburane
Digitale Originalausgabe (digital only)
Berlin: CulturBooks Album 2016
ISBN 978-3-95988-037-4
Erhältlich u.a. bei CulturBooks
Lese ich oder werde ich gelesen
Meine grundsätzliche Aversion gegen E-Reader und Ebooks ist jetzt nicht spurlos verschwunden. Sie ist eng verwandt mit der zu Cloud-Diensten, Streamingangeboten und Onlinespeichern. Ich habe kaum oder keine Kontrolle über die Inhalte. Im Fall von Kindle und Tolino heißt das, Bücher mit DRM können gelöscht, verändert und bearbeitet werden, ohne dass ich irgendeinen Einfluss darauf habe. Sie können sogar völlig verschwinden, wenn es der Anbieter will. Ich kaufe keine Bücher, sondern nur das Nutzungsrecht für eine Datei in einer Wolke. Nutzen ist nicht gleich besitzen und weiterverkaufen kann ich es meist auch nicht. Ein gedrucktes Buch, steht es erst einmal in meiner (oder einer anderen) Bibliothek, bleibt unverändert, hält bei guter Pflege hunderte Jahre und ist mir nicht zu nehmen (es sei denn durch Gewalt oder Naturkatastrophen). Doch selbst dann überlebt anderswo mindestens ein Exemplar, das hat die Geschichte der verbotenen und zensierten Bücher hinlänglich bewiesen. Bei Ebooks wird das rückstandlose Ausradieren vereinfacht. Von gestalterischen und typographischen Problemen will ich hier gar nicht reden.
Wer tiefer in den kontrovers diskutierten Problemkomplex Ebook abtauchen möchte, lese den mittlerweile berüchtigten Rant von Friedrich Forssman im Logbuch Suhrkamp:Warum es Arno Schmidts Texte nicht als E-Book gibt. Für den Buchgestalter und Typografen Forssman sind Ebooks abgrundtief böse. Volker Oppmann beschwichtigte in seiner Replik; zumindest versuchte er es. Noch mehr Links zur Forssman-Debatte beim Frohmann Verlag.
Hier schließt sich ein kleine Blase; denn Forssman gestaltet alle Bücher für den Weidle Verlag, bei dem wiederum Carl Nixons Romane auf Deutsch verlegt (und gedruckt) werden. Die Ebooks dazu (und zu anderen Weidle-Autorinnen und Autoren, auch wenn Forssman grummelt) liefert CultureBooks.
Ja, aber …
… was ist, wenn die Bücher und Texte, die ich gerne lesen würde, analog und gedruckt nicht mehr erhältlich sind, antiquarisch nur noch zu horrenden Preisen gehandelt werden und selten sind. Oder wenn sie erst gar nicht gedruckt wurden? Dann stehe ich dumm da, nicht wahr? Nein, auch hier naht (Teil)Erlösung.
Auf der Buchmesse Leipzig wurden mir im März dieses Jahres die Augen geöffnet, die ich lange störrisch zugekniffen habe wie ein Kind das sich im Dunkeln fürchtet. Was ich nicht sehe, ist nicht da. »Außerdem, wo bleibt die Haptik, die Optik der schöne Buchgeruch?« (Wenn solche Sätze fallen. kann Zoë Beck ganz wundervoll mit den Augen rollen und seufzen, ehrlich!) Wie gesagt, ich geriet auf der Buchmesse in eine Runde mit Vertreterinnen von Verlagen für »Ebook only«. Die reagieren mit ihren Titeln schnell auf aktuelle Strömungen und Themen, »elektrisieren« Texte, die auf Papier keine Chance haben, weil sie zu kurz, zu lang, zu unorthodox oder zu experimentell sind. Als Ebook sind sie aber schnell verfügbar gemacht und finden Leser, oft sogar sehr günstig im Preis. Und siehe da, große Verlage stellen plötzlich fest, wieviele vergrabene und ungehobene Schätze in ihren Archiven schlummern und sie erschaffen wie Rowohlt mit Rowohlt Rotation neue Reihen, um diese Pretiosen zu heben. Eine Win-Win-Situation, wie das neudeutsch wohl heißt.
Hier nochmal die Verlage: Frohmann Verlag, Microtext, CulturBooks, Hanser-Box, Rowohlt Rotation
Und [ˈiːbʊk] Elektro vs. Printist ein exquisiter, von Tania Folaji geschriebener Blog der sich ausschließlich Ebooks widmet. Auf Papiergeflüster von Simone Dalbert geht es (ganz anders als der Name vermuten läßt) auch häufig »elektrisch« zu.

Fish ’n’ Chip Shop Song und andere Geschichten von Carl Nixon wird definitiv nicht mein letztes Ebook bleiben. Die Scheuklappen sind jetzt weiter geöffnet. Dennoch, ich stehe weiter treu zum gedruckten und schön gestalteten Buch. Aber ich räume künftig auch dem Ebook in meinen Lektüren eine Nische ein, insbesondere wenn es mir Texte zugänglich macht, die mir im Druck auf Papier vorenthalten werden.
P.S.: #1stebook war der Hashtag zu einer Blogparade im Vorfeld des E-Book Festivals 2016 in Berlin. Dieser Parade wollte ich mich mit einem (besser diesem) Beitrag anschließen. Leider habe ich zu lange herumgetrödelt und die Parade zog mit Pauken und Pomp an mir vorbei. Aber besser zu spät als gar nicht. Links zu den Beiträgen der Paradeteilnehmerinnen in den Kommentaren.
Noch mehr Linkmaterial
Auch Tilman Winterling öffnet sich dem Ebook und notiert im Blog 54books einige Entdeckungen und Grundlegendes zu #einfachweiterlesen. Mehr zu den Romanen von Carl Nixon von Uwe Kalkowsiki im Blog Kaffeehaussitzer: Settlers Creek, von Jaqueline Masuck im Blog masuko13: Rocking Horse Road und hier von mir: Lucky Newman.
Auch wenn Friedrich Forssman sich kaum vom Ebook-Saulus zum -Paulus bekehren lassen wird, er ist und bleibt ein bedeutender und einflußreicher Buchgestalter. In Wie ich Bücher gestalte erklärt er sehr eingängig sein Arbeit, das Büchlein zu lesen ist Gewinn. Hier entlang zu meiner Besprechung.
Zoë Beck schreibt und verlegt nicht nur, sie übersetzt auch, zum Beispiel den wundervollen Roman von Pippa Goldschmitd Weiter als der Himmel.Meine Besprechung hier. (BTW: in der Printausgabe von Forssman gestaltet und nominiert für den deutschen Designerpreis 2017, als Ebook bei CulturBooks erhältlich.)
24. Juli 2016 @ 17:04
Hochinteressanter, weil so differenzierter Beitrag!
25. Juli 2016 @ 09:25
Merci, vielmals. lg_jochen
22. Juli 2016 @ 08:59
Oh wie spannend! 😀 ich liebe es, wenn Leute etwas Neues ausprobieren worauf sie sich vorher nicht einlassen konnten und dann feststellen, dass es gar nicht so schlecht ist. 😀 Ich liebe das übrigens auch, wenn das mir passiert. ^^ Ich bin ja total vernarrt in Ereader und Ebooks. Momentan wohnen 4 Ereader bei mir Zuhause und ich nutze sie eigentlich alle. 😀 Ich lese fast keine gedruckten Bücher, weil mich das Gewicht und das fehlende Licht im gedruckten Buch echt wahnsinnig machen und ich kann Zoe Becks Augenrollen durchaus verstehen. ^^
Ich habe heute (11 Uhr) einen Beitrag zum Thema #thepowerofbblogs veröffentlicht und habe dort genau diesen Beitrag hier verlinkt, weil ich ihn sehr interessant fand. 🙂 Ich hoffe, das ist okay.
Liebst, Lotta
24. Juni 2016 @ 15:48
Hallo Jochen
Siehste, ist gar nicht so schlimm, dieses elektronische Lesen 😉 Das einzige Problem, welches ich mit den eBooks habe, ist der Punkt, dass einem die Dateien nicht gehören.
Vor allem gibt es mir persönlich die Freiheit, zu entscheiden, ob ich ein Buch in gedruckter Form oder als elektronisches kaufe. Letzteres kommt immer öfter vor bei den Büchern, von denen ich vorher ungefähr weiß, dass ich sie mir nur einmal anschaue. In gedruckter Form kommen mir derzeit nur schön aufgemachte ins Haus (aktuelles Beispiel wäre Tschick aus der Büchergilde).
Kannst ja gerne ab und zu bei mir vorbei schauen, da auch mir das elektronische Lesen ab und zu einen Artikel wert ist.
Gruß
Marc
25. Juni 2016 @ 11:33
Natürlich wird auch hier das schön gestaltete Buch in Ehren gehalten, Marc. Das elektrische Lesen bleibt Ausnahme; aber mancher Text, der digital only erscheint, ist es halt wert. lg_jochen
27. Juni 2016 @ 12:39
Bei den “digital-only”Sachen sind ein paar spannende Sachen dabei. Bisher hatte ich aber kaum Zeit, diese auszuprobieren. Einzig die Hanser Box und die App “A Story a day” von Voland&Quist kenne ich und kann ich empfehlen.
Der Einzug der digitalen Belletristik bei mir hat vor allem das Platzproblem beschleunigt, weshalb ich mich nur noch auf wirklich schöne Ausgaben besonderer Werke konzentriere.
Gruß
Marc
24. Juni 2016 @ 10:31
Ich kann gut nachvollziehen, dass das elektronische Buch schneller auf Trends reagieren, mehr ausprobieren und experimentieren kann. Wenn ich viel unterwegs wäre, hätte ich sicherlich auch einen ebook-Reader, wegen des Gewichts und weil er eine eingebaute Leselampe hat – die vermisst man in Hotels ja meistens :-), da denkt beim Zimmereinrichten ja kein Mensch dran.
Ich habe trotzdem Bedenken, nicht nur mit Blick auf die von Dir auch skizzierten Besitz- und Eigentumsverhältnisse.
Ähnlich wie beim Online-Streamen von Filmen und Musik können nun beim E-Book-Lesen jede Menge Nutzerdaten gesammelt werden. Nicht nur wer was liest, ist einfach zu ermitteln, sondern auch wer wie liest, wann Texte abgebrochen werden, wie schnell ein Text gelesen wird usw. im Zusammenhang mit Uhrzeiten, vielleicht sogar Aifenthaltsorten. Ich habe irgendwie ein ganz ungutes Gefühl, derart ausgelesen werden zu können, geradede dann, wenn es um mein Hobby und somit um sehr, sehr private Daten geht. So gläsern möchte ich einfach nicht werden.
Zweitens ergibt sich eine Fülle von Datenmaterial, die auch Verlagen zur Verfügung gestellt wird und aus dem sich – vielleicht nicht unbedingt für unseren Bereich der Literatur, wahrscheinlich aber schon für die publikumswirksamen Titel – geradezu Anleitungen für das erfolgversprechende Buch herausarbeiten lassen.
Wie so oft also im Bereich des Digitalenalso: die zwei Seiten einer Medaille.
Viele Grüße, Claudia
25. Juni 2016 @ 11:31
Ja, Claudia, das DRM und die damit verbundenen Einschränkungen sind problematisch. Aber die von mir im Beitrag verlinkten, kleineren Digital-Verlage verzichten meist darauf. Du bekommst eine Datei, mit der du machen kannst, was du willst. Das schön gestaltete Buch, gedruckt und gebunden, bleibt auch weiterhin mein Favorit. Aber wenn Perlen wie die Geschichten von Carl Nixon nur digital erhältlich sind, dann lese ich künftig von Zeit zu Zeit halt auch elektrisch. lg_jochen
24. Juni 2016 @ 09:20
Ich verstehe zwar Deine Bedenken bezüglich des DRM. Trotzdem bin ich großer eReader-Fan. Als Bahnpendlerin finde ich es einfach viel praktischer, nicht immer einen dicken Wälzer mit mir herumtragen zu müssen. Außerdem gibt es, Du ja nun auch feststellen musstest, manche Perlen und lohnenswerten literarischen Experimente eben “nur” als eBook. Vor allem bei Mikrotext werde ich oft fündig.