Das Doppelauge der Kamera – Arno Schmidt als Fotograf
Arno Schmidt (1914 – 1979) ist nicht nur einer der bedeutensten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts; er hat nebenbei auch ein interessantes fotografisches Werk geschaffen. Das ist vielen leider noch viel zu wenig bekannt. Deshalb stellt lustauflesen.de hier zwei Fotobände vor, die bereits seit einigen Jahren erhältlich sind.
Zeit seines Lebens hat Arno Schmidt fotografiert. In den 30er und 40er Jahren waren es in der Regel private Schnappschüsse, also typische Amateuraufnahmen aus dem privaten Umfeld, Erinnerungen an Reisen und Ausflüge oder Bilder von Haus und Wohnung. Mitunter werden Freunde, Bekannte und Kollegen ins Bild gesetzt oder man fotografiert sich gegenseitig. Wer den Auslöser gedrückt hat, Alice oder Arno Schmidt, läßt sich häufig nicht mehr ermitteln, bei einigen Fotografien spricht vieles für einen Selbstauslöser.
Als sich dann in den 50er Jahren die ersten Erfolge als Autor einstellten, bekam das Medium Fotografie für Arno Schmidt einen neuen Stellenwert. Fotos wurden nun, wie Zeitungsschnipsel und Postkarten, auch als Material für das Schreiben gesammelt. Die Kamera wurde genutzt, um optische Notizen auf den Recherchereisen festzuhalten. Für diese Aufnahmen griffen die Schmidts durchgehend auf Schwarzweißfilme und ein quadratisches Bildformat zurück. Doch zunehmend beschritt Arno Schmidt mit seiner Kamera auch Wege abseits der üblichen Amateur-Knipser-Ästhetik.
Zu den Aufnahmen, bei denen es einfach darum ging, etwas „im Kasten zu haben“, gesellten sich Landschaftsfotografien, sowie Architektur- und Stadtansichten, die durch strenge Kompositionen überzeugen, ein feines Spiel aus Linien und Flächen zeigen und beeindruckend mit den zur Verfügung stehenden Graustufen arbeiten. Die Vorbilder der Neuen Sachlichkeit oder der amerikanischen Dokumentarfotografie sind unverkennbar.
Der Band SchwarzWeißAufnahme zeigt eine aus dem Nachlaß zusammengestellte, repräsentative Auswahl sowohl der privaten Schnappschüsse, als auch der mit Sorgfalt gestalteten, eher künstlerischen Fotos. Sie spiegeln den Willen zur Form wider, den Hang zur Selbstdarstellung, aber auch die Ironie und den Humor, mit denen Arno Schmidt in seinen Texten zu glänzen vermag.
Ja, es gibt sogar (sehr seltene) Aufnahmen, auf denen der Bargfelder Heidedichter lacht.

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Janos Frecot.
Eine Edition der Arno Schmidt Stiftung.
Gebunden, 128 Seiten, Großformat: 24 x 30 cm mit 100 Duplexfotos
Frankfurt/M.: Suhrkamp 2009
Mehr Informationen auf der Webseite des Verlages
4 x 4 – Farbfotos aus Bargfeld
Im Jahr 1964 verändert sich die Schmidtsche Fotopraxis radikal. Zu seinem 50. Geburtstag bekam er vom befreundeten Schriftsteller und Übersetzer Hans Wollschläger eine Yashika 44 geschenkt, eine zweiäugige Spiegelreflexkamera mit dem ungewöhnlichen Negativformat von vier mal vier Zentimetern, zusammen mit den passenden Diafilmen.
Nach einer kurzen Phase der Eingewöhnung und des Experimentierens löste sich Schmidt vom Fotografieren als Schreib-Hilfsmittels. Das Hantieren mit der Kamera wurde zum selbstständigen künstlerischen Arbeitsfeld. Bis zu seinem Tod 1979 war Arno Schmidt Schriftsteller UND Fotograf. Gut zweieinhalbtausend Farbdias hat er hinterlassen. Noch bis zum 12. Oktober werden sie alle in einer Open-Air-Ausstellung in Bargfeld gezeigt. Und in einer Scheune sind sie so zu sehen, wie die Schmidts sie gesehen haben, nämlich als Diashow.
Eine kleine Auswahl dieser Bilder wurde bereits im Jahr 2003 von der Arno-Schmidt-Stiftung in einem hochwertigen Bildband veröffentlicht. Bislang ist es die einzige größere Publikation mit den Farbfotos aus Bargfeld und Umgebung.

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Janos Frecot.
Eine Edition der Arno-Schmidt-Stiftung.
Gebunden, 160 Seiten, Großformat: 24 x 30 cm mit 120 Vierfarbfotos
Frankfurt/M.: Suhrkamp 2003
Leider nur noch antiquarisch erhältlich
Die Motive für seine Fotos hat Schmidt vorwiegend in Bargfeld und Umgebung gefunden, was nicht verwundert, denn er war in seinen letzten eineinhalb Lebensjahrzehnten wenig reisefreudig und beweglich. Schmidt hat sich auch beim Blick durch die Kamera auf seine ganz besondere Beobachtungsgabe verlassen. Er, der sein Auge über viele Jahre hinweg geschult hat und auch die kleinsten Nuancen und Abweichungen in vermeintlich vertrauter Umgebung zu finden in der Lage war, er, der durch Weltbeschreibung seine Sinne trainiert hat für Strukuren und Details, nimmt auch beim Fotografieren seinen ganz eigenen Standpunkt ein und findet neue Perspektiven.
Wenig Personen nur finden wir auf den Bildern, hin und wieder ragt zumindest ein Schatten in die Abbildung (meist der des Fotografen Schmidt), gelegentlich auch eine Hand oder ein Arm. Auf einigen Fotos sehen wir Schmidts Katzen und am Ende des Bandes eine sehr dynamische Aufnahme von seiner Frau Alice, die aus einem Schwimmbecken auftaucht. Ansonsten viel Natur. Die Landschaft rund um Bargfeld, der Wald, die Wiesen und die Heide wirken hier allerdings seltsam fremd und verzaubert. Wie in seinen Romanen formt Schmidt auch auf den Fotografien die Umwelt nach seinen Wünschen, sucht den ihm genehmen Blickwinkel. Diese Fotos zeigen einen ganz subjektiven Sicht auf Bargfeld und Umgebung. Sie sind ein Bilderkatalog der Schmidtlandschaft und eine wunderbare Ergänzung zu den Texten Schmidts, vor allem natürlich zu Zettel’s Traum. Schmidts Fotos sind dabei nicht nur optisches Beiwerk, sondern sie helfen, den Blick des Betrachters und Lesers zu schärfen, auch für die Feinheiten der Texte.
Essays zum fotografischen Werk
Die beiden von der Arno-Schmidt-Stiftung herausgegebenen Bildbände sind für mich integraler Bestandteil der Werkausgabe. Die Bildauswahl getroffen hat ein führender Experte für Fotografie, der Archivar und Ausstellungsmacher Janos Frecot, der auch Gründer und langjähriger Leiter der „Photographischen Sammlung der Berlinischen Galerie“ war.
In dem Buch Arno Schmidt als Fotograf blicken er und weitere Autoren noch genauer auf das künstlerische Nebenwerk Arno Schmidts. Aus unterschiedlichen Richtungen werden hier Zugänge gesucht, dabei nähern sich die Experten eher aus der Richtung der Kunst und Fotografie als aus der der Literaturwissenschaft. Die Essays beleuchten die Entwicklung des fotografischen Bildbewußtsein Schmidts, doch dabei wird der Seitenblick auf das literarische Werk nicht ausgeklammert. Insofern ist dies ein wichtiges und erhellendes Buch für alle, die sich Arno Schmidt nähern wollen, ganz egal ob am Startpunkt nun bevorzugt der Fotograf oder der Schriftsteller interessiert.

Hrsg. von Janos Frecot. Mit Texten von Jan Philipp Reemtsma, Janos Frecot, Gabriele Kostas, Rainer Stamm, Thomas Weski
Deutsch, Englisch
Gebunden, 160 Seiten, mit 64 Abbildungen
Ostfildern: Hatje Cantz 2011
Mehr Informationen auf der Webseite des Verlages