Samuel Beckett. Eine Biographie – Das Standardwerk von James Knowlson
Als Samuel Beckett 1969 den Literaturnobelpreis bekam, begründete die Schwedische Akademie das folgendermaßen: der Ire werde geehrt „für eine Dichtung, die in neuen Formen des Dramas und des Romans aus der Verlassenheit des modernen Menschen ihre künstlerische Überhöhung erreichte“. Das war im höchsten Maße irreführend; zwar hat Beckett unbestritten neue Formen entwickelt, aber künstlerische Überhöhung war ebenso unbestritten das letzte, was ihm am Herzen lag.
Doch leider hatte die Schwedische Akademie damit ein für alle mal festgelegt, wie Becketts Texte im Folgenden gelesen und interpretiert wurden: er galt seitdem als Nihilist und Pessimist, der endlos um den Tiefsinn des Lebens kreist und alle Formen der Existenz auf einen Nullpunkt reduziert. Begründet wurde dies nicht zuletzt mit Becketts finsterer Kindheit, seiner lebenslangen Finanznot, seiner angeschlagenen Gesundheit und seinen Depressionen.
Wer nun James Knowlsons Beckett-Biographie (die bereits 1997 in der englischen Originalausgabe erschienen ist) zur Hand nimmt, lernt einen ganz anderen Beckett kennen. Ja, er war Zeit seines Lebens ein verschlossener und scheuer Mensch, aber er hatte immer auch enge Freunde, hatte viel Spaß an Sport, Musik und Kunst und war eigentlich immer voller Energie und Lebensfreude. Die Mär vom grüblerischen Einzelgänger wird von Knowlson gründlich ad absurdum geführt – endlich.
Becketts Jugend war – so erfahren wir jetzt – ausgesprochen glücklich und daß der schriftstellerische Erfolg so lange ausblieb, das war Beckett eigentlich ziemlich egal. Den großen Durchbruch mit „Warten auf Godot“ sah der damals 47-jährige eher als Unfall an und den Literaturnobelpreis bezeichnete Beckett sogar als Katastrophe, weil nun das öffentliche Interesse wie eine Sintflut über ihn hereinbrach und sein Privatleben wie auch seine Arbeit nachhaltig sabotierte.
Aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Held
Klappenbroschur, geheftet, 1114 Seiten
Frankfurt/M.: Suhrkamp 2001
Deshalb hat James Knowlson seiner Beckett-Biographie folgerichtig und ganz im Sinne des Porträtierten das Motto „Damned to Fame“ vorangestellt. Beckett selbst übrigens war es, der Knowlson mit der Aufgabe betreute, diese Lebensbeschreibung zu liefern, auch weil ihm die bislang einzig vorliegende große Biographie von Deidre Bair zu pathetisch und prätentiös war. Das war ein halbes Jahr vor Becketts Tod. Knowlson kannte der Schriftsteller seit zwei Jahtzehnten als Begründer und zuverlässigen Verwalter des Beckett-Archivs in Reading.
Neben mehrwöchigen Interviews, die Beckett ganz entgegen seiner üblichen Einstellung, geduldig ertrug wertete Knowlson auch Briefe, Tagebücher und Werkberichte gründlich aus. Das Material, das er dabei zusammentrug ist in seiner Fülle gewaltig. Doch Knowlson schafft es, daß der Leser des Buches in dieser Fülle niemals den Überblick verliert. Und ganz en passant liefert Knowlson eine brilliante Interpretationsanleitung für Becketts Prosa und Dramen. Besonders überraschend ist dabei der Blick in das Frühwerk. Hier stecken noch viele ungehobene Schätze für aufmerksame Leser.
Beckett ist ein großartiger Artist des Missgelingens und ein Klassiker der Reduktion, aber genauso gut war er ein akribischer Komiker. Nach der Lektüre von Knowlsons brillianter und überraschender Biographie bleibt dem Leser vor allem ein wichtiges Lebensmotto Samuel Becketts nachdrücklich im Gedächtnis – und daran hätte Beckett selbst mit Sicherheit viel Spaß gehabt: „Ever tried. Ever failed. No matter! Try again. Fail better.“
(Dieser Artikel wurde erstmals im Juni 2002 im alten Angebot von lustauflesen.de veröffentlicht.)