Berlin ist zu groß für Berlin
Nicht noch ein Buch über Berlin, stöhnte ich unwilkürlich, und erst recht keins, in dem erneut ein Flaneur seine Gedanken über die Stadt ausbreitet. Doch, weil der Autor Hanns Zischler heißt, habe ich trotzdem zugregriffen. Seine Art zu schreiben ist nämlich herrlich unaufgeregt, nachdenklich und konzentriert. Ich mag es, wenn ein Schriftsteller komplexe Dinge sicher einordnet und das Vergnügen seiner Leser niemals aus dem Blick verliert. Gerade dafür ist Hanns Zischler übrigens kürzlich mit dem diesjährigen Preis der Literaturhäuser ausgezeichnet worden.
Zu Fuß unterwegs in einer Stadt, die sich mit ihrer Größe selbst im Wege steht
Hanns Zischler ist gerne mit dem Fahrrad oder der S-Bahn in Berlin unterwegs, am liebsten eigentlich zu Fuß. Autofahren mag er nicht, erst recht nicht die breiten Betonschneisen, die nur für diese Art der Fortbewegung in die Stadt geschnitten werden. Bei seinen Streifzügen hat Hanns Zischler, der wundervolle Schauspieler, Vorleser und Autor, sich in den zurückliegenden Jahren seine ganz eigenen Gedanken über Berlin gemacht, einer Stadt, die sich immer selbst im Weg steht, einer Stadt, die auf Sand und Sumpf gebaut ist und der ein permanenter Kreislauf von Abriß, Wiederaufbau und Umbau scheinbar in die urbanen Gene gepflanzt wurde.
Hanns Zischler blickt auf ein Berlin, das von archtektonischer Großmannssucht geprägt ist. Egal ob vom Preußen-Architekten Schinkel, dem für seine Pläne vom Boulevard „Unter den Linden“ fast alle vorhandenen Barockbauten zum Opfer fallen, ob von Kaiser Wilhelm II. und seinem triumphierenden Neubau des Domes, seiner „Reichsrennomierkirche“, ob vom „größten Architektenpärchen aller Zeiten“ Speer/Hitler und ihrem (Alp)traum Germania oder ob von provinzellen Stadtplanern, die im Wirtschaftswunder Berlin großstädtisch zuzementierten. Auch heute geht der Umbau Berlins weiter und auch heute nicht zum Besten der Stadt, so Zischlers wenig hoffnungsvolles Fazit. In seinen Texten liefert er eine exakte Beschreibung des Debakels und träumt gleichzeitig von besseren Zeiten, er macht Vorschläge und rechnet ab.
Mit zahlreichen Fotos und Karten
Besondere Ausstattung
Gebunden im Sonderformat, 180 Seiten
Berlin: Galiani 2013
Ein Berlinbuch für Fans und Hasser
Plätze, Freiflächen, Brachen und Parks; alles in Berlin reizt Hanns Zischler zu immer neuen Betrachtungen über Größenwahn und Selbstzerstörung. Seine assoziativen und ungeordneten Einlassungen sind mitunter polemisch, dann wieder still und nachdenklich und – das wiegt am schwersten – sie sind immer irgendwie überzeugend. Fotos und Texte ergänzen sich zu einer Collage, in der Bilder mehr sind als nur Illustrationen und die Texte Zischlers mehr als nur Thesen und ihre Erläuterungen.
Mit „Berlin ist zu groß für Berlin“ von Hanns Zischler ist dem Galiani Verlag wieder einmal ein schön gestaltetes Buch gelungen, das mehr als nur einmal zum Blättern und Lesen einlädt. Ein furioses Buch, das Berlinhasser und -fans gleichermaßen lieben werden.