Lettre International Nr. 100 – Herzlichen Glückwunsch
Lettre International wurde 1988 in Berlin von Frank Berberich aus der Taufe gehoben und trat an als „Europas Kulturzeitschrift“. Seit 25 Jahren führt sie ihren Lesern vor, wie das geht, seiner Zeit vorauszueilen und gleichzeitig kritisch zurückzublicken. Nach einem Vierteljahrhundert hat das Heft im unverwechselbaren Tabloidformat, bei vierteljährigem Erscheinen, die Nummer 100 erreicht; passend zum Jubiläum ist es eine eine Art Doppelnummer geworden, mit dem bezeichnenden Titel „Niveau Sans Frontieres“ und besonders viel Inhalt. Wer intellektuelle Herausforderungen schätzt, sollte zugreifen, falls sie/er die Zeitschrift ohnehin nicht schon regelmäßig liest.
Ich lese Lettre International nicht regelmäßig, habe auch noch kein Abo (Ist das ein Fehler? Ich kanns nicht sagen!). Doch von Zeit zu Zeit greife ich im Zeitschriftenhandel zu und nehme eines dieser Hefte im unverwechselbaren Großformat mit nach Hause. In der Regel heißt das, gewinnbringende Lektüre, weit über den Erscheinungsrhythmus von drei Monaten hinaus.
Ein offener Brief und ein Lob an Frank Berberich
Ich habe mir gedacht, ich schreibe einfach mal einen offenen Brief an den Herausgeber und überschütte ihn ein wenig mit Lob, er und seine Zeitschrift haben es verdient. Gleichzeitig sage ich damit, warum ich Lettre International schätze.
Lieber Frank Berberich,
vielen Dank für Ihre Beharrlichkeit und Ihr Durchhaltevermögen. Sie dürfen nach 25 Jahren und 100 Heften wohl mit Recht als einer der dienstältesten Chefredakteure Deutschlands bezeichnet werden. Als Sie das Unternehmen Lettre International starteten wurde das von vielen als halsbrecherisch und als verlegerische Selbsttötung bezeichnet, aber Sie haben allen ökonomischen Zwängen des Marktes getrotzt und nun die Nummer 100 erreicht.
Die Zeitschrift, die unter Ihrer Vermittlung für jedes Heft Autoren, Übersetzer und Künstler vernetzt, ist eine intellektuelle Herausforderung, der ich mich gerne stelle. Dabei ist das Heft mit seinen Essays und Texten in der Regel viel zu umfangreich, denn selbst in drei Monaten, bis die nächste Ausgabe erscheint, ist die Fülle an Gedanken, Hintergründen und Informationen nur schwer zu verarbeiten. Ihr Blatt stellt Leser vor Aufgaben und das ist gut und schön.
Sie, lieber Herr Berberich, und alle Autoren der Lettre International führen vor, wie spannend es sein kann, gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen in Europa (und der Welt) kontinuierlich zu verfolgen und zu kommentieren. Bei der Lektüre der Lettre lernt der Geist Haken zu schlagen und neue, nicht ausgetretene Pfade zu beschreiten. Mitunter verläuft man sich auch bei Ihnen in einem wahren Dickicht, oft wuchern die Gedanken in so viele Richtungen, daß man als Leser schier verzweifeln möchte und die Orientierung vollends verliert. Doch immer liefert Lettre International auch jenes Quentchen Orientierung, das nötig ist um weiter zu machen.
Von Anfang an haben Sie, ganz in der Tradition großer europäischer Kulturmagazine, Künstler eingeladen, die Hefte zu gestalten; gleich für die Erstausgabe Jörg Immendorf. Die Beiträge der Künstler (Fotos, gemälde, zeichnungen, Collagen) verleihen Lettre eine visuelle Einzigartigkeit und machen die Hefte – zusätzlich zum geschriebenen Inhalt – erst Recht zu Sammlerstücken. (Auflageneditionen und Künstlermappen für zahlungskräftigere Kunden sichern obendrein das finanzielle Überleben der Zeitschrift.)
Das aktuelle Heft mit der Nummer 100 trägt den Titel „Niveau Sans Frontieres“ und ist sowohl eine Bilanz der zurückliegenden zweieinhalb Jahrzehnte, als auch ein Ausblick auf das, was kommen mag; eine Bilanz von 25 Jahren Europäischer (Kultur)Geschichte, die gerade in Zeiten wie diesen anregend und aufbauend ist.
Lieber Herr Berberich, leibe Autoren der Lettre International, bitte machen Sie weiter, erkunden Sie für uns das weite Feld, das zwischen den Polen Politik, Gesellschaft und Kultur so viel Spannendes zu bieten hat, beschenken Sie uns auch künftig mit nahrhaftem Lesefutter, auch mit Lesefutter, das schwer im Magen liegt oder nur unter Mühen (manchmal auch gar nicht) verdaut werden kann. Ich freue mich bereits jetzt auf die Nummer 101 der Lettre International und vertreibe mir bis dahin noch viel Zeit mit der Nummer 100.
Einer Ihrer glücklichen Leser

Thema des Heftes: Niveau Sans Frontieres
186 Seiten, im Format 27 cm x 37 cm
Preis: 15 Euro
Erhältlich im gut sortierte Buch- und Zeitschriftenhandel
Kunst von Daniel Richter, Lawrence Weiner, Tobias Rehberger u.v.a. Inhaltlich spannt sich der Bogen von einem Gespräch mit dem großen Europäer Stephane Hessel, das kurz vor seinem Tod Heinz-Norbert Jocks mit ihm geführt hat, über Texte zur Generationengerechtigkeit, zu Luxus und Exzessen in Russland, zum Paroli gegenüber Salafisten und Islamisten, zur Originalität und zu Freiheit und Literatur. Selbst in diesem Kurzüberblick wird die Weitschweifigkeit des Heftes deutlich, zeigt sich das Vergnügen, das Lettre International am geistigen Wettlauf und am geistigen Verlaufen hat. Das komplette Inhaltsverzeichnis und einige Textauszüge finden sich auf der Website von Lettre International. Hier können natürlich auch ein Abonnement abgeschlossen und ältere Einzelhefte bestellt werden.
Kurze Notiz zur Geschichte des Blattes
Der Name Lettre International geht auf die französische Mutterausgabe von Lettre in Paris zurück. die 1984 von Antonin Liehm etabliert wurde. Es folgten schnell Ausgaben in anderen Ländern, zunächst Italien, dann Spanien und Deutschland. Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Osteuropa folgten Ausgaben in Ungarn und Rumänien. Sie alle – sowie einige nur temporär erscheinende Ableger, behielten wegen der angestrebten Wiedererkennbarkeit und der Verbundenheit zum französischen Mutterblatt den Namen Lettre bei und hängten jeweils, als Zeichen der Identität oder auch Nicht-Identität, den Zusatz International an.
Die Zeitschrift hat keine feste Redaktion, sondern verfügt über ein Netzwerk, das für jede Ausgabe neue Verbindungen knüpft und Knoten bildet. Der überwiegende Teil der Artikel der deutschen Ausgabe sind Originalbeiträge, ausgewählte Texte werden von den auswärtigen Schwesterredaktionen beigesteuert und übersetzt. Egal, ob einzelner Text, das Heft als Ganzes oder alle 100 Hefte als großes (kultur/historisches) Lesebuch, Lettre International weitet den Horizont und regt zum Denken an. Wie heißt es so schön: Give it a Try! – Einen Versuch ist es wert!