»Das Haus« – Ein literarisches Labyrinth
Vorsicht, Das Haus von Mark Danielewski ist ein komplex verschachteltes und verteufelt intelligent angezetteltes Literaturpuzzle. Es präsentiert fiktive Herausgeber und geheimnisvolle Manuskripte, es spielt mit Typographie und Layout und es sprengt die Grenzen traditioneller Erzähltechniken. Zwar sind, für sich genommen, all diese Stil- und Formelemente nicht neu, doch Danielewski jongliert sie mit traumwandlerischer Sicherheit. Das Haus ist mal Sachbuch, mal wissenschaftliche Abhandlung, aber ebenso eine klassische Horror-Story, in der es von doppelten Böden, versteckten Türen, Fallen und Fußangeln nur so wimmelt; und das im wahrsten Sinne des Wortes.
Zwei parallele Handlungsstränge werden verwoben: da ist zum einen die (in eigener Type gesetzte) Geschichte von Johnny Truant. Im Nachlass seines Nachbarn findet er das Manuskript einer Abhandlung. In der beschreibt und analysiert der blinde(!) Mann den Film „The Navidson Record“. Der Film selbst gilt als verschollen, aber es existieren unzählige wissenschaftliche Sekundärtexte über ihn und ebenso viele Internetseiten. Je länger sich Truant mit diesen Texten über den Film beschäftigt, desto mehr befallen ihn Wahnvorstellungen, Albträume und unbegründete Ängste. Nur noch mit diversen Psychopharmaka-Cocktails hält er sich über Wasser. Truants Geschichte, mit all ihren Abschweifungen ins biographische, ist gewissermassen ein Kommentar zum eigentlichen Text des Navidson Records.
Der erzählt die Geschichte des Fotografen und Pulitzerpreisträgers Will Navidson. Mit seiner Frau und den beiden Kindern zieht er in ein altes Haus auf dem Land. Um den Umzug zu dokumentieren, installiert er Foto- und Videokameras im Gebäude. Die registrieren Unglaubliches: Türen gehen auf und zu, Zimmer dehnen sich aus und schrumpfen wieder, dann tauchen gar neue Räume auf und verschwinden wieder, ohne daß sich Aussenmaße und Grundriss des Hauses ändern. Fachleute für Übernatürliches werden zu Rate gezogen. Auch sie haben keine Erklärungen für das Rätselhafte. Je länger sie forschen, desto größer und unergründbarer wird das Haus. Je weiter sie in das bedrohliche Dunkel vorgedrungen wird, desto mehr Menschen verschwinden darin für immer. Und ganz tief im Inneren der monströsen und finsteren Labyrinthe lauert etwas …
Aus dem Amerikanischen v. Christa Schuenke.
Taschenbuch, Broschur: 832 Seiten
München: btb 2009
Was sich zunächst anhören mag wie eine triviale Haunted House Story, formt Danielewski zu einem grandiosen Spiel aus Wirklichkeit und Fiktion. Die verschachtelten und verflochtenen Handlungstränge werden gespickt mit Fußnoten und Exzerpten erfundener und echter wissenschaftlicher Abhandlungen. Ständig hält dieser Roman neue Überraschung parat und wirft die Erwartungshaltung seiner Leser über den Haufen: da sind plötzlich Seiten geschwärzt, andere marmoriert, da läuft der Textfluss mal diagonal, mal von unten nach oben, da gibt es Spiegelschrift oder endlose Aufzählungen und Listen am Seitenrand, dann bricht der Satzfluss aus, geht über Falz und Seitenränder hinweg, windet sich in Spiralen oder quetscht sich in immer kleiner werdende Kästchen, Absätze werden durchgestrichen und Durchgestrichenes bleibt stehen, mal geht es lateinisch weiter, mal französisch. Nicht fehlen dürfen (natürlich) verschiedene Anhänge – darin Filmstills, Grundrisse, Krankenakten und Tagebücher – und ein Index. Das Haus ist ein Roman in dem Satz und Typographie Purzelbäume schlagen, in dem sich Wissenschaft und Fiktion, Rationalität und Wahnsinn, Grusel und Langeweile durchdringen und verschlingen. Ein unverschämt rätselhaftes Buch, Blair Witch Project zwischen Buchdeckeln.
Wer eine geradeaus erzählte Geschichte sucht, lasse Das Haus links liegen. Wer aber intellektuelle Herausforderungen liebt und Spaß am Knacken versteckter Codes hat, der greife zu. Und am großartigen Lese- und Puzzlevergnügen hat die Übersetzerin Christa Schuenke einen gewichtigen, hoch zu lobenden Anteil.
P.S.: Seite 666 regt mich bis heute auf. Wer kann mir ihr Geheimnis entschlüsseln?
P.P.S.: Auch die (natürlich weitaus höherwertig gestaltete) Hardcoverausgabe von Das Haus ist noch erhältlich.