Ein Leckerbissen für Landratten und Seebären
Dieses Buch verdankt seine Existenz einem peinlichen Sturz ins Hafenbecken von Nizza und der daraus resultierenden Zusammenarbeit zweier eingefleischter Entenliebhaber. Es geschah im Frühjahr 2003. Der Literaturkritiker Denis Scheck hatte gerade für seine Fernsehsendung „Druckfrisch“ mit Frank Schätzing über dessen neuen Roman „Der Schwarm“ gesprochen, gemütlich auf einem Kutter schippernd vor der Küste Südfrankreichs. Beim abschließenden Anlegemanöver stach den Kritiker der Hafer, mit einem eleganten Satz wollte er auf die Kaimauer in Nizza springen, doch er verfehlte sein Ziel, purzelte vor laufender Kamera ins Wasser und wurde von Schätzing pudelnass wieder an Land gezogen. Dieser Abgang war so lustig, daß er auch nach dem Schnitt im fertigen Fernsehbeitrag verblieb.
Als man anschließend – Scheck inzwischen wieder in trockenen Klamotten – bei einem kleinen Essen die Vorgänge nochmal Revue passieren ließ, kam das Gespräch auch auf die Ducks und ihren Schöpfer Carl Barks. Scheck und Schätzing erkannten schnell, daß sich hier zwei überzeugte Donaldisten gegenübersaßen; man fachsimpelte über den „Mikrokosmos“ Entenhausen, erzählte sich gegenseitig seine Lieblingsgeschichten von Donald, Dagobert, Gustav Gans und Daisy und würdigte auch die große Leistung der deutschen Übersetzerin (und „Mickey Maus“-Chefredakteurin der ersten Stunde) Dr. Erika Fuchs, ohne die Donald und Co. in Deutschland niemals ihren großen Durchbruch geschafft hätten. Dieser ereignisreiche Tag am Meer begründete eine Freundschaft, die die sonst zwischen Autoren und Kritikern bestehende (oft notgedrungen kühle) Distanz überwand. Nur wenig später entstand dann die Idee, für die von Scheck betreute mare-Bibliothek einen Jubiläumsband (den 25.) der besonderen Art herauszugeben. Er sollte alle Geschichten versammeln, in denen Carl Barks und Erika Fuchs die Ducks Abenteuer auf hoher See bestehen lassen. In mehrtägigen Gesprächen wurde die Auswahl vorbereitet und über jede Geschichte ausführlich diskutiert. Diese Diskussionen fanden dann Eingang in die jeweiligen Kommentare zu den einzelnen Storys, die Frank Schätzing am Ende niederschrieb. Immer noch ganz gefangen in der maritimen Welt seines „Schwarms“, brachte er das so auf den Punkt: „Von den Ducks habe ich zwerlei gelernt: erstens, die Feder ist mächtiger als das Schwert. Zweitens, die besten Geschichten spielen auf dem Meer.“
Ob im U-Boot, auf der Yacht oder in der Jolle, wann immer der Zeichner Carl Barks seine Enten in ihr natürliches Element schickte, ließ er sich etwas Besonderes einfallen; ob Donald und Tick, Trick und Track ein Kaiserreich in Amerika verhindern müssen, in dem jeder Atemzug besteuert werden soll, ob Dagobert Duck in Atlantis das kostbarste Zehn-Kreuzer-Stück der Welt sucht, ob die Ducks dem Fliegenden Holländer nachjagen oder ob Donald sein Gewissen plagt, weil er seinen Vetter Gustav Gans, das widerliche Schoßkind des Glücks, zu ausgehungerten Eisbären an den Nordpol schickte. Jede dieser 25 teils sehr umfangreichen, und durchgehend farbigen Geschichten sind vollständig aus der Feder Carl Barks‘, und viele von ihnen sind aus den 40er und 50er Jahren, also sehr frühen Ursprungs. Das anzumerken ist nicht unwichtig, denn nur, was Carl Barks geschaffen hat, ist Original-Entenhausen. Darauf geht Schätzing in seinen erläuternden Kommentaren, die den Geschichten jeweils angehängt sind, ausführlich ein. Manchmal sind diese Kommentare für meinen Geschmack zwar etwas zu bemüht witzig, zu sehr verliebt in die unzähligen Enten- und Feder-Wortspiele, manchmal auch einfach zu sehr bestimmt vom Hang zur Selbstdarstellung, aber sie verhelfen doch – vor allem Neulingen auf dem Gebiet der „Erforschung Entenhausens“ – zu interessanten Einsichten und Erkenntnissen, wobei auch Tabuthemen wie die latente Homosexualität von Gustav Gans, der Sex schlechthin, der seelische Bankrott Dagobert Ducks oder der Tod nicht ausgeklammert bleiben.
Übersetzt von Erika Fuchs
Herausgeg. und kommentiert von Frank Schätzing (und Denis Scheck)
Gebunden, Großformat, 492 Seiten
Hamburg: Mare Verlag 2006
Im Nachwort lobt und würdigt dann Denis Scheck die Leistung der kongenialen Übersetzerin Dr. Erika Fuchs. Sie war es, die die Ducksche Sprache, so wie wir sie kennen, geschaffen hat, diese seltsame Mischung aus Klassiker-Hochdeutsch, kurz-knappem Alltagsidiom und Teenager-Slang, ganz zu schweigen vom sogenannten „Erikativ“, wie man in Anlehnung an den linguistischen Fachjargon ihre Verkürzungen von Stammverben wie Knirsch, Stöhn, Seufz oder Grummel gerne nennt. Auf einer beigelegten CD kommt sie in einem ausführlichen Interview mit Denis Scheck selbst zu Wort, man könnte dieser großen Dame ewig zuhören. Sie starb übrigens im April 2005 im gesegneten Alter von 98 Jahren in München, fünf Jahre nach Carl Barks, der auch 99 Jahre alt wurde.
„Die tollkühnen Abenteuer der Ducks auf hoher See“ ist randvoll mit Entenhausener Weltweisheit, ein Rettungsboot für eine Gesellschaft, die keine relevanteren Themen als Dosenpfand zu kennen scheint. Obendrein ist dieser Band optisch und haptisch ein Genuß: Fadenheftung, Halbleineneinband, Lesebändchen, hervorragendes Papier und ein brillianter Farbdruck machen diesen Band zu einem absoluten „Must Have“ für Duck-Fans und solche, die es noch werden wollen. Donald würde es schlicht so ausdrücken: „Jubel! – Welch großartiges Buch!“
(Dieser Artikel wurde erstmals im Mai 2006 im alten Angebot von lustauflesen.de veröffentlicht.)