merk=würdig (III) – Ein kleines Lob auf den Lyriker Robert Gernhardt
Am 30. Juni 2006, also heute vor neun Jahren, verstarb Robert Gernhardt im Alter von 69 Jahren. Er fehlt mir, er fehlt uns. Sein schelmischer Humor, seine Grandezza, seine scharfe Beobachtungsgabe und seine spitze Feder waren unvergleichlich. Ich hatte das Vergnügen (und die Ehre), ihm mehrfach begegnen zu dürfen, bei Lesungen, Buchvorstellungen und literarischen Salons verschiedenster Couleur.
Gernhardt präsentierte sich dort stets als großer Unterhalter und Erzähler, als vorzüglicher Vorleser (nicht nur seiner eigenen Werke), mühelos konnte er die Rollen wechseln vom Harlekin zum Grand Seigneur. Er war ein scharfer Satiriker, aber niemals bösartig oder verletzend. Und … er war ein begnadeter Lyriker. Seine Haltung, seine Person spiegelt sich treffend in einem seiner Gedichte, einem meiner liebsten.
SCHÖN, SCHÖNER, AM SCHÖNSTEN
Schön ist es,
Champagner bis zum Anschlag zu trinken
und dabei den süßen Mädels zuzuwinken:
Das ist schön.Schöner ist es,
andere Menschen davor zu bewahren,
allzusehr auf weltliche Werte abzufahren:
Das ist schöner.Noch schöner ist es,
speziell der Jugend aller Rassen
eine Ahnung von geistigen Gütern zukommen zu lassen:
Das ist noch schöner.Am schönsten ist es,
mit so geretteten süßen Geschöpfen
eine gute Flasche Schampus zu köpfen:
Das ist am allerschönsten.
Gernhardt gehörte zur »goldenen Generation« der Neuen Frankfurter Schule. Dialektische Blödelei im Schlag- und Windschatten Horkheimers und Adornos war ihr Markenzeichen, die Titanic zu Hochzeiten ihr Zentralorgan. Da wurde gerne mit dem Vorschlaghammer gearbeitet, seltener mit der Ziselierfeder. Gernhardt verstand es, mit beiden Werkzeugen virtuos zu hantieren. Eines seiner großen Vorbilder war Heinrich Heine. Wie er hat auch Gernhardt seine Mitmenschen, sein Heimatland, seine Gesellschaft geliebt und ihnen gerade deshalb immer wieder den Spiegel vorgehalten. Seine Gedichte waren mal grob, mal fein, mal nachdenklich ernst, mal brüllend komisch. Wie Heine hat er sich politisch eingemischt, mit lyrischen Mitteln.
Der Haffmanns Verlag hat Gernhardts Gesammelten Gedichten 1996 eine Ausgabe im Gewand einer edlen Klassikeredition spendiert. Ja, Robert Gernhardt hat den Klassikerstatus verdient. Das handliche Dünndruckbändchen mit dem schönen roten Leineneinband ist mir ein steter Begleiter. Immer wieder kann ich darin blättern, mich festlesen, mich ergötzen und laut lachen. Es ist längst vergriffen, das kleine Haffmanns-Buch, aber der S. Fischer Verlag hat eine erweiterte und ergänzte Ausgabe im Angebot. Wer’s noch nicht hat, sollte es sich, bitte, schnell, kaufen und lesen, lesen, lesen. Gernhardt lohnt!

Vollständige und überarbeitete Ausgabe
Gebunden, 1168 Seiten
Frankfurt/M.: S. Fischer Verlag 2006

»merk-würdig« ist eine lose Reihe, in der ich kleine Kostbarkeiten und persönliche Lieblinge aus der Bibliothek angel und würdige; mal mit, mal ohne Anlass.
Foto: Robert Gernhardt bei einer Lesung in Tübingen, 2001. Fotograf: Michael Ströhle. Quelle: Wikimedia Commons.
30. Juni 2015 @ 13:15
Ein ganz ein GROSSER, der Robert Gernhardt!
30. Juni 2015 @ 15:49
Ja, das stimmt. Und ich werde ihn immer in Ehren halten. lg_jochen
30. Juni 2015 @ 08:49
Wie schön, diese Würdigung! Leider finden Menschen wie Gernhardt in unserem von Ernsthaftigkeit geprägten Literaturbetrieb nicht die ganz große Anerkennung – als ob Humor (gerade der rabenschwarze) nicht genauso ernst zu nehmen wäre…:-)
Genazino hat sehr schön in seinem “Tarzan am Main” über ihn geschrieben.
Und auch ich habe ein paar persönliche Erinnerungen: Gernhardt kam gerne ins Ries (eine Kulturlandschaft bei Augsburg): Einer meiner Kollegen, selber ein besonderer Mensch, ein Original, war einer seiner Freunde, die er regelmäßig in Nördlingen besuchte und dann im “Goldenen Engel” becherte. Als ich Jungredakteurin war, lud mich der genannte Kollege mal ein, nach Feierabend in seiner Wirtschaft vorbeizuschauen, bei seinen Stammtischkollegen. Ich tat dem alten Herrn den gefallen, fand die Runde recht witzig, um erst im nachhinein zu erfahren, dass ich da einen Abend neben Gernhardt saß 🙂
30. Juni 2015 @ 15:48
Alle Jungredakteur_innen, ich nehme mich da gar nicht aus, haben solche schönen Anekdoten zu erzählen. Ein Abend mit Robert Gernhardt, ohne es zu merken, ist schon ein Ding. Es ist wirklich schade, dass er nicht so wahrgenommen wird. Denn seine Gedichte sind nicht nur humorig, rabenschwarz und stichelig, sondern viele seiner Verse haben auch große lyrische und sprachliche Qualität. lg_jochen