Robert Gernhardt & Heinrich Heine – Zu beider Geburtstag
Zwei Dichter gilt es heute zu preisen am Jahrestag ihrer Wiegenfeste. Da ist zunächst Robert Gernhardt (1937 – 2006), Mitbegründer der Satitrezeitschrift Titanic, einer der führenden Köpfe der Neuen Frankfurter Schule und Meister der spitzen Feder. Witz, Ironie, Esprit, aber auch Tiefgang und Ernst prägen sein dichterisches Werk. Attribute, die ohne weiteres auch dem anderen großen deutschen Schriftsteller zustehen, der genau 140 Jahre vor Gernhardt das Licht der (ihm nicht immer angenehmen) Welt erblickte, Heinrich Heine (1797 – 1856).
Gernhardt hat Heine sehr geschätzt, allerdings erst sehr spät vollständig entdeckt; Zum 200. Geburtstag kam der »gesamte Heine« ins Haus. Seitdem, so bekennt der Karikaturist, Satiriker und Poet, lasse ihn Heine nicht mehr los.
Vorsatz
Gen Italien will ich reisen,
um im Schatten der Zypressen
deutscher Nebel deutscher Händel
deutscher Knödel zu vergessen.
In dem Herzen der Toskana
will vom Deutschtum ich genesen
und um meinen Sinn zu festgen
werde ich Heinrich Heine lesen.
Beim jugendlichen Gernhardt hatte sich das Faible für Heine noch nicht entwickelt, was der gealterte Dichter dann doch bedauerte und lyrisch (selbstkritisch) verarbeitete.
Erinnerung
Warum habe ich nicht mit achtzehn Jahr den Heinrich Heine gelesen?
Warum ist mir nicht bei so manchem Gedicht Feinsliebchen vor Augen gewesen?
Ich hatte mit achtzehn kein Liebchen hold und las auch keine Gedichte.
Ich las Sartre und wichste so vor mich hin, das ist die ganze Geschichte.
Robert Gernhardt erhielt, folgerichtig ist man versucht auszurufen, 2004 auch den Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf. Zwei Jahre später, anläßlich des Heinrich-Heine-Jahres wurde er von der Universität Düsseldorf als Heine-Gastprofessor eingeladen, eine mehrteilige Poetikvorlesung zu halten. Ihr Titel Leiden, Lieben, Lachen – eine Führung durch das Haus der Poesie, und es sollte, so Gernhardt, von der Krabbelstube durch die Schul- und Klassenräume bis in die Krankenzimmer gehen. In einem Interview mit Nana Brink für das Deutschlandradio Kultur verneinte Gernhardt keineswegs einen Heine sehr ähnlichen Hang zur Boshaftigkeit.
Also wir beide, glaube ich, lachen gern und verlachen auch hin und wieder gern. Immer dann, wenn Leute so tun, als ob ihre Privatinteressen Allgemeininteressen seien, beispielsweise, dann kann man diese Leute ungescheut verlachen und auch verspotten.
Augenzwinkernd fordert Gernhardt: Die Studierenden (junge wie alte) mögen doch bitte Gedichte (nicht nur von Heine und Gernhardt) auf Zettel schreiben, auswendig lernen und immer mit sich führen. Die Düsseldorfer Vorlesungen zur Poetik sind zusammen mit ähnlichen Vortragsreihen an den Universitäten Frankfurt und Essen, sowie weiteren verstreut vorliegenden, poetologischen Texten Gernhardts vor fünf Jahren in einem gewichtigen (und wichtigen) Band vereint worden. In seiner Rezension für literaturkritik.de bemerkte Bernd Blaschke:
Unser Poet und Poetologe hat in mehreren Aufsätzen und Vorlesungen die Bertolt Brecht’sche Unterscheidung einer pontifikalen, also ernsten, und einer profanen, mithin komikbereiten Linie des Dichtens aufgenommen und weitergedacht. Brecht sah in Johann Wolfgang von Goethe und implizit gewiss in sich selbst den letzten Dichter, der in beiden Tonlagen und Rollenbildern glänzte. Man darf Gernhardt als würdigen Erben dieser proteisch potenten Dichter betrachten, die pontifikale und profane Hammergedichte schufen. Gernhardt ergänzt und potenziert seine po-pro-Doppelbegabung durch seine gleichfalls zum Höhenkamm zählende poetologische Prosa.
Neben »Hammergedichten« schrieb er also auch »Hammerpoetologie«; Gernhardt betreibt Literaturforschung mit Herz und Humor. Das ist amüsant und kurzweilig und dabei höchst lehrreich.

Texte zur Poetik – Hrsg. von Lutz Hagestedt u. Johannes Möller
Gebunden, 608 Seiten
Frankfurt/M.: S. Fischer Verlag 2010

Dass Gedichte alles können, hat Gernhardt hinlänglich bewiesen und es sollte allgemein bekannt sein. Ergo: Lest sein lyrisches Werk! Es ist von beinahe klassich-zeitloser Eleganz (und auch Boshaftigkeit).

Vollständige und überarbeitete Ausgabe
Gebunden, 1168 Seiten
Frankfurt/M.: S. Fischer Verlag 2006

Für Heinrich Heine trage ich hier keine Eulen mehr nach Athen, ähm, Düsseldorf. Seine Gedichte liegen in zahlreichen Ausgaben vor; ich empfehle hier eine handliche, vollständige, kommentierte und besonders günstige. (Sehr gut auch zum Mitnehmen für den täglichen Gebrauch und zum Auswendig lernen …)
Das Glück ist eine leichte Dirne
und weilt nicht gern am gleichen Ort.
Sie drückt den Kuß dir auf die Stirne
und lächelt sanft und flattert fort.Frau Unglück hat im Gegenteile
dich liebevoll ans Herz gedrückt.
Sie sagt, sie habe keine Eile,
setzt sich zu dir ans Bett und strickt.

Kommentierte Ausgabe
Herausgegeben von Bernd Kortländer
Broschur, 1117 Seiten
Stuttgart: Reclam 2006

Das Titelbild zeigt das von Bert Gerresheim 1981 geschaffene Düsseldorfer Heine–Denkmal, nach den Worten des Künstlers eine »Vexierlandschaft« (Foto: bodoklecksel / Wikimedia Commons)