Pfaueninsel – Spazieren in einem Roman
Gelegentlich schaffen es Romane den Zauber eines realen Ortes auf einzigartige Weise einzufangen. Pfaueninsel von Thomas Hettche ist so ein Roman. Die magische Aura des langestreckten Eilands in der Havel hat Hettche meisterhaft in Literatur verwandelt, in seiner Geschichte legt er historische Spuren frei, mischt sie mit frei Fabuliertem und schlägt kleine Brücken ins Gegenwärtige.

Ein Spaziergang auf der Pfaueninsel ist wie ein Sprung in der Zeit. Hier sinken Seele und Gefühl des Flaneurs in die Vergangenheit, ohne die Gegenwart wirklich zu verlassen. Die Insel, von den Gartenbaumeistern Lenné und Fintelmann im 19. Jahrhundert für die preußischen Könige zu einem künstlichen Paradies geformt und gestaltet, ist merkwürdig aus der Zeit gefallen. Ein gezähmter Naturraum, ein Ort der Ruhe am Rand der Großstadt. Auch Pfaueninsel von Thomas Hettche wirkt merkwürdig aus der Zeit gefallen. Seit ich den Roman gelesen habe, liebe ich die Insel mehr denn je. An meinem jüngsten Winterspaziergang möchte ich Euch alle teilnehmen lassen.
Der Geist eines Textes vermag mitunter mit starker Hand in die Realität hinüberzugreifen. Nach der Lektüre von Pfaueninsel ist jeder Besuch eben dieser Insel noch stärker umweht von Gedanken und Überlegungen zur Zurichtung der Natur, Vorstellungen von Schönheit und Vergänglichkeit, zum Verstreichen von Zeit und den Narben, die sie hinterlässt. »Nachdenken über Arkadien« betitelte ich damals meine Besprechung dieses großartigen Romans, der für mich die Überraschung des Jahres 2014 war und mich bis heute fesselt und begeistert. Ich schloss seinerzeit mit folgenden Zitat aus dem Buch:
Diese Insel, die auf Karten einem Fisch gleicht, einem flossenschlagenden, sich wild aufbäumenden Wal, aus welchen Gründen auch immer an gerade dieser Stelle der hier besonders träge mäandernden, sich weitenden und wieder verengenden Havel gestrandet, an der man wohl vergißt, daß jeder Fluß eine Quelle hat und eine Mündung. Als ob die Zeit selbst hier ihre Richtung verlöre, umstrudelt sie die Pfaueninsel, es vermischen Vergangenheit und Zukunft sich hier auf besondere Weise.
So ist es; Bei jedem Besuch auf der Insel aufs Neue. Es soll Berliner geben, die noch niemals dort waren. Ach, wenn sie wüssten, was ihnen entgeht.

Thomas Hettche: Pfaueninsel, Roman. Köln: Verlag Kiepenheuer & Witsch 2014 (Link zur Verlagsseite)
21. Dezember 2015 @ 16:24
Sehr schöne Fotos! Das Buch habe ich noch nicht gelesen, aber mir schon eine Weile vorgemerkt … Irgendwann wird das auch noch klappen, zumal die diversen Besprechungen wirklich Lust darauf machen. Liebe Grüße
Petra
17. Dezember 2015 @ 19:26
So schön! Die Impressionen deiner Rezension sind so stark in ihrer Wirkung, dass ich denke, es ist Zeit! Zeit für einen Winterspaziergang …
Deine Worte erinnern mich daran, dass ich eigentlich letztes Jahr, beeindruckt von der Lektüre, sofort zur Pfaueninsel wollte. Erstmals in meinem Leben. Als Berlinerin 😉
17. Dezember 2015 @ 21:42
Unbedingt, liebe Jacqueline! Mach dich auf den Weg. Die Insel hält zu jeder Jahreszeit andere Verlockungen bereit. (Wobei ich den Winter dort ganz besonders mag.) lg_jochen
17. Dezember 2015 @ 14:55
Nicht meine Art, aber who cares? Und tatsächlich ist nur unhöflich, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten, einen Beitrag allerdings mit einem eigenen, davon hat Knigge nie etwas gesagt. Und bei mir war es ja der Frühling. Finden wir noch Sommer und Herbst, so können wir ein Pfaueninsel-Quartett gründen:
https://hundstrueffel.wordpress.com/2015/05/08/die-pfaueninsel/
Freundlichst
Ihr Herr Hund.
17. Dezember 2015 @ 21:39
Da ist mir seinerzeit doch tatsächlich der Lenz-Spaziergang von Herrn Hund entgangen. Wie konnte das passieren? Unachsamkeit, wahrscheinlich. Mein Laster.
Zwei weitere Flaneuere zu Betrachtungen über den Sommer und Herbst zu gewinnen und so ein insel-seliges Quartett zu bilden?! Eine reizvolle Idee.
lg_jochen
17. Dezember 2015 @ 12:36
Es geht mir ganz genauso, lieber Jochen. Da wirkt Geschichte bis in die Gegenwart – etwas was ich auch in Weimar im Park an der Ilm beispielsweise genauso erlebe. Hettches Pfaueninsel war auch für mich ein starkes Leseerlebnis. Und ich bin froh, wenn nicht alle (Berliner) das Geheimnis der Pfaueninsel erkunden wollen…