Das achte Leben (Für Brilka) – Ein Gespräch mit Nino Haratischwili
Das achte Leben (für Brilka) ist in der dritten Auflage, der Roman von Nino Haratischwili ist ein Riesenerfolg bei Publikum und Kritik. »Deutscher Roman des Jahres. Phänomenal.« – so unlängst Volker Weidermann in den Weihnachtsempfehlungen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Buchhändlerin Almut Winter nennt es einfach nur »ein backsteingroßes Wunder« und trifft es damit auf den Punkt.
Im Anschluss an die Matinee zum 1. Advent in der Buchhandlung Winter in Berlin Charlottenburg (übrigens ein zauberhafter Ort) hatte lustauflesen die Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch mit Nino Haratischwili und ihrem Verleger Joachim Unseld von der Frankfurter Verlagsanstalt.
Brilka geht in die dritte Auflage. Da ist der Verleger wunschlos glücklich, oder?
Joachim Unseld: Für einen Verleger kann es nichts schöneres geben, als den Erfolg eines Buches, an das er von Anfang an geglaubt hat. Vor einem Jahr, um die Weihnachtszeit, habe ich das Manuskript erstmals gelesen und ich war gefangen wie selten zuvor. Es erging mir ähnlich wie vor vielen Jahrzehnten, als ich Tolstois Anna Karenina verschlungen habe. Ninos Roman ist große Literatur. Liebe, Hass, Tod, Politik, Weltgeschichte, verwoben mit einer bewegenden und spannenden Familiengeschichte. Natürlich war ich zunächst erschrocken, als Nino ihr riesiges Manuskript abgeliefert hat, aber mittlerweile sage ich einfach nur noch: Keine Angst vor 1.200 Seiten.
Nino Haratischwili: Wer soll das lesen, das ist viel zu dick. Mit dem Vorwurf musste ich anfangs leben. Umso mehr freut mich der Erfolg, damit kann man nicht rechnen, das ist nicht zu planen. Ich habe mich einfach auf das riskante Abenteuer eingelassen und bin dem Verlag unendlich dankbar, diesem großen Projekt so vertraut zu haben und es bis heute so stark zu unterstützen. Ich empfinde das als ganz großes Glück.
JU: Nino und ihr Buch haben ein enormes Echo in der Presse. Da werden nicht selten Vergleiche mit Meisterwerken der Weltliteratur wie Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel Garcia Marquez und Das Geisterhaus von Isabel Allende gezogen. Ich bin der Meinung, die braucht sie nicht zu scheuen, all dieses Lob haben sie und Brilka verdient.
Das Schicksal Georgiens und das wechselvolle Verhältnis zu Russland sind ein Thema des Romans. Sie haben sich intensiv mit der Geschichte der Sowjetunion und ihrem Zerfall auseinandergesetzt. Wie beurteilen Sie den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, beziehungsweise zwischen Russland und dem restlichen Europa?
NH: Ich bin bestürzt, ich bin wie jeder andere Mensch von den Sommerereignissen geschockt und ich ärgere mich. Andererseits gab es in Georgien große Solidarität mit der Ukraine; doch das Thema ist so groß und komplex, da müssten wir sehr lange drüber sprechen. Hier und jetzt fehlt da leider die nötige Zeit.
JU: Ich bin groß geworden im Kalten Krieg, habe im Schatten des Eisernen Vorhangs meine politische Sozialisation erfahren. Am Eisernen Vorhang endete lange Zeit auch das Wissen über und der Einblick in die andere Seite. Der Blick war gewissermaßen versperrt. Ninos Buch hat mir in vielen Punkten die Augen geöffnet. Der Roman ist sehr politisch, ohne die Politik oder historische Zusammenhänge in den Vordergrund zu stellen, und das Buch erklärt indirekt auch, warum die aktuelle Haltung Russland, das kalte Machtkalkül Putins so gefährlich sind. Wenn Russland glaubt, im Recht zu sein, dann wird es das Recht auch durchsetzen, hat Putin unlängst gesagt. Ihm reicht es, zu glauben, im Recht zu sein, auch wenn er es nicht ist. Verständisvolle Äußerungen wie vor Kurzem die des früheren Brandenburgischen Ministerpräsidenten Mathias Platzeck verstehe ich gar nicht. Das hat mich sehr erschreckt, es ärgert mich und es macht mir Angst.
Wie besorgt ist Georgien, Nino? Sie haben noch sehr viele Kontakte dorthin, besuchen das Land regelmäßig.
NH: Sorgen bestehen in Georgien seit 25 Jahren. Wobei Sorge vielleicht der falsche Begriff ist. Die Menschen in Georgien sind eher in einem Modus ständiger Anspannung, weil die poltische Lage und der Kontakt zum großen Nachbarn Russland auf Dauer sehr unberechenbar bleibt. Das, was heute Bestnad hat, kann morgen schon wieder ganz anders aussehen, zumal die georgische Politik, mit all ihrem internen Auf und Ab, nicht gerade die Stabilste ist. Die Nachbarschaft zu Russland ist ein permanentes, den Menschen sehr bewußtes Spannungsfeld. Niemand vergisst das. Aus diesem Kontext kann sich Georgien nicht lösen.
Georgien ist ein wundervolles Land, mit gastfreundlichen, offenen und herzlichen Menschen; das sagen alle, die schon einmal dort waren. Dient Brilka auch, ihre Heimat uns ein wenig vertrauter zu machen?
NH: Es war nicht mein Hautanliegen, aber wenn das der Fall ist und es scheint ja der Fall zu sein, finde ich das großartig. Das Land, so ambivalent es in vielem auch sein mag, verdient es, dass man es besucht und es kennenlernt, vor allem die Menschen die dort leben verdienen es. Mich erfreut es, wenn ich mit Brilka Georgien in irgendeiner Form popularisiern kann, aber es war nicht meine direkte Absicht. Diese Idee schwang allenfalls am Rande mit. Für mich war die Arbeit am Roman in erster Linie eine Auseinandersetzung mit meinen eigenen Wurzeln, ein Versuch mich mit den verworrenen und komplexen Strukturen auseinanderzusetzen, in die ich hieneingeboren wurde.
Haben Sie eine Vorstellung davon, wie Brilka in Georgien aufgenommen werden könnte? Immerhin gehen mit Ihrer Heimat auch in Kritik.
NH: Georgien ist sehr frei, irgendeine Form von Zensur oder politischen Einfluss wie in Russland gibt es nicht, eine der wenigen positiven Errungenschaften nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Falls Brilka ins Georgische übersetzt werden sollte, würden es die Menschen erst einmal offen aufnehmen. Ich glaube, die Reaktion wäre sehr abhängig von der Generation. Es gibt bestimmt viele Leute, überwiegend Ältere aus einer konservativen Ecke, die das Buch nicht mögen würden, es vielleicht sogar als eine Art Verrat betrachten könnten. Der Großteil der Leser, überwiegend die Jüngeren, würde das Buch richtig auffassen, als Anstoss zur Diskussion, vielleicht sogar als Anlass zu Kontroverse. Denn gerade die offene Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte fehlt oftmals in vielen postsowjetischen Ländern. Das war ja auch für mich der eigentliche Hauptantrieb, dieses Buch zu schreiben.
Der Roman lebt durch seine starken Frauen. Manche stoßen sich daran und fragen, warum gibt es bei Nino Haratischwili so wenige Männer?
NH: (lacht) Da sind doch genug Männer drin im Buch, ich verstehe diese Frage nicht. Wir haben das Jahr 2014, wie kann man sich da über ein Buch wundern, in dem viele, starke Frauen eine Rolle spielen. Das kann wirklich kein Problem sein. Die wunderbare Schauspielerin Sophie Rois hat einmal gesagt: »Wenn ein Mann Hamlet spielt, geht es um die Tragödie der Welt, spiele ich Ophelia, ist es die Tragödie einer Frau.« Da stimmt doch was nicht!
Haben Sie schon Ideen für das nächste Buch?
NH: Nein, ich bin derzeit auf Lesereise, das ist sehr anstrengend und ich komme zu nichts anderem. Parallel betreue ich noch einige Theaterprojekte, zum Beispiel gastieren wir demnächst hier in Berlin, das muss ich vorbereiten, wiederaufnehmen, proben. Es fehlt wirklich für alles andere die Zeit. Das ist ungewohnt, bisher habe ich immer, wenn ein Buch abgeschlossen war, das nächste sofort begonnen. Als Mein sanfter Zwilling herauskam, habe ich zum Beispiel schon an Brilka geschrieben, das ist diesmal anders. Klar, einige vage Ideen spuken im Kopf herum, aber ich möchte und kann mich augenblicklich noch nicht zur Arbeit zwingen. Ich bin noch zu sehr mit Brilka beschäftigt, oder sie mit mir, durch die Lesereisen, die Diskussionen, die Fragen, die Gespräche. Brilka ist noch zu präsent. Ich kann sie noch nicht ins Bücherregal stellen. Vielleicht im kommenden Sommer, schwer einzuschätzen. Im Moment muss ich noch Brilka betreuen. (lacht)
Aber es macht Spaß?
NH: Ja sehr viel Spaß sogar; ich habe nur zwischendurch eine große Sehnsucht nach meinem eigenen Bett.

Roman
Illustration und Umschlag von Julia Bührle-Nowikowa
Gebunden (mit Ganzumschlag und bedrucktem Vorsatz), 1152 Seiten
Frankfurt/M.: Frankfurter Verlagsanstalt 2014

P.S.: Dank der ideenreichen Verlagsvolontärin der FVA wird Brilka jetzt ein noch schöneres Weihnachtsgeschenk. Es gibt seit kurzem das passende Geschenkpapier zum Buch (siehe oben).
Hier eine kleine (gänzlich unrepräsentative) Auswahl von Links zu Besprechungen in anderen Literaturblogs. Die FVA hat bei der Veröffentlichung des Romans früh und bewußt auch auf eine enge Zusammenarbeit mit Bloggerinnen gesetzt. Joachim Unseld hat betont, wie wichtig und hilfreich das war.
Eine Besprechung auf »Schöne Seiten«
Brilka besprochen von »masuko13«
Ein Lektürebericht von der »Klappentexterin«
Ein Abend mit Nino und Brilka bei »We Read Indie«
Eine Besprechung bei »Literaturen«
»aboutsomething« über Das achte Leben und Brilka