Goethes Faust – Seziert
Goethes Faust ist das deutsche Drama schlechthin. Auf den Schauspielbühnen des Landes ist es nach wie vor dauer-präsent, besonders ehrgeizige Projekte bringen dabei Teil Eins und Zwei in einem Rutsch. Doch die Tiefe des Textes wird dabei in den wenigsten Fällen vollständig ausgelotet. Das erreicht nur eine intensive Lektüre und eine detailierte Auseinandersetzung mit dem Text. Doch Hand aufs Herz, wer hat schon den Faust vollständig gelesen oder gar verstanden?
Alle Texte, alle Varianten und ein ausführlicher Kommentar herausgegeben von Albrecht Schöne
„In Albrecht Schönes Edition wird Goethes ‚Faust‘ zu dem lebendigsten Stück Gegenwartsliteratur, das wir besitzen.“ So urteilte die FAZ über diese zweibändige Text- und Kommentarsammlung, als sie 1994 im Deutschen Klassiker Verlag erschienen ist. Auch die übrigen Kritiken waren damals nicht weniger hymnisch.
Inzwischen ist Albrecht Schönes Faustkommentar längst selbst zum Klassiker avanciert und liegt bereits in der fünften Auflage vor. Leider, leider, zielt der Frankfurter Klassiker Verlag mit seinen schönen blauen Bänden nicht eben auf Leser mit schmalen Geldbeuteln. Deshalb kann die im Inselverlag herausgegebene seitenidentische (und nochmals durchgesehene und korrigierte) Taschenbuchausgabe ebenfalls nicht hoch genug gelobt werden.
Auf insgesamt fast 2000 Seiten hat Albrecht Schöne so viele Anregungen, Lektürehinweise und Einsichten geliefert, wie sonst nur selten in der Literatur. Band Eins liefert alle Texte auf der Grundlage der Erstdrucke bzw. der Handschriften. Das sind Faust I und Faust II, sowie der Urfaust. Ergänzt werden diese um nachgelassene Entwürfe und Ergänzungen (Paralipomena). Besonders das Material aus dem Nachlass wurde eingehend geprüft und bearbeitet, um wirklich die zuverlässigste und vollständigste Textgestalt zu präsentieren. Hinzu gekommen ist eine ausführliche Dokumentation der Entstehungsgeschichte und zahlreiche aus verstreuten Schriften und Briefen gesammelte Leseanweisungen von Goethes eigener Hand. Dazu gehören auch sogenannte Theaterbücher (Textbücher für Aufführungen) mit Goethes handschriftlichen Bemerkungen. Allein schon diese sorgfältige Textsicherung erschließt dem heutigen Leser das mehr zweihundert Jahre alte Drama völlig neu.
Zusammen mit Band zwei allerdings bleibt dann gar keine Frage mehr zu Johann Wolfgang Goethes Faustdichtung offen. Akt für Akt, Szene für Szene, mitunter sogar Zeile für Zeile, dechiffriert Schöne das Drama. So akribisch und pedantisch er dabei auch vorgeht, so lesbar bleibt dennoch sein Kommentar. Das ist keine Bleiwüste für Philologen, sondern ein packendes Lesebuch für alle, die den Mut haben sich auf das »Abenteuer Faust« einzulassen. Beide Bände, nebeneinander auf den Tisch gelegt, werden zum zverlässigen Atlas, in dem auch die kleinsten Nebenwege noch aufgefunden werden und keine Sackgassen verzeichnet sind. Nicht unerwähnt lassen möchte ich in diesem Zusammenhang den kleinen Abbildungsteil: im ersten Band sind dies Theaterskizzen und einige Faksimiles von Goethes Manuskripten und im zweiten Band einige zeitgenössische Abbildungen, die inhaltliche Aspekte des Dramas kommentieren.
Wer sich also, aus welchem Beweggrund auch immer, eingehender mit Goethes Faustdichtung beschäftigen will oder muss, sei es der Schüler, der Student, der Theaterpraktiker, der Lehrer oder einfach der Interessierte, ist mit dieser wohlfeilen Ausgabe bestens bedient. Unbedingt zugreifen, so lange der Insel Verlag sein Taschenbuch mit der Nummer 3000 auf dem Markt hält.
Herausgegeben von Albrecht Schöne.
Fünfte, erneut durchgesehene und ergänzte Auflage.
Broschur, zwei Bände in Kassette, zusammen 2020 Seiten
Frankfurt/M.: Insel 2003
Mehr Informationen unter suhrkamp.de