Moby Dick – Zwei Übersetzungen im Vergleich
Ohne Zweifel ein Klassiker der Weltliteratur. „Moby Dick; oder: Der Wal“ – Mit dieser Schreibweise des Titel sind wir aber schon beim Grundproblem. Wie übersetzt man einen Klassiker richtig? Vor über zwanzig Jahren entbrannte über diese Frage ein Streit unter anderem zwischen Friedhelm Rathjen und Matthias Jendis. Am Ende profitierte der Leser, bis heute. Denn es gibt nun gleich zwei exellente Übersetzungen des Romans.
Dies ist ein älterer Artikel, der 2007 anläßlich der Erstveröffentlichung der Rathjen-Übersetzung bei Zweitausendeuns erschienen ist. Beide Übersetzungen liegen inzwischen in günstigen Taschenbuchausgaben vor, und die grundsätzlichen Gedanken zu Buch und Übertragung sind weiter aktuell.
Herman Melvilles monströser Roman und zwei Übersetzungen im Wettstreit
Seinen Aufsatz „Wie ich Herman Melvilles Moby-Dick neu übersetzt habe“ beginnt Friedhelm Rathjen mit folgendem Satz: „Für den Übersetzer gibt es nur eine einzige Richtschnur, und das ist der Originaltext: dessen Zustand gilt es so getreu wie möglich nachzubilden.“ Das klingt einleuchtend. Doch in einem jahrelangen Prozess mußte Rathjen feststellen, wie schwer sich dieses Vorhaben in die Tat umsetzen läßt. Dabei ging es weniger um die übersetzerischen Fähigkeiten Rathjens, als viel mehr um Verlagspolitik, Herausgeberleitlinen und eine gehörige Portion Geschmack (über den sich ja bekanntermaßen trefflich streiten läßt). Für den Leser allerdings steht am Ende Erfreuliches: zweimal Moby-Dick, jeder für ich einzigartig. Doch der Reihe nach.
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Friedhelm Rathjen
Paberback, 928 Seiten
Frankfurt/M.: Fischer TB 2012 (Fischer Klassik)
Alles begann im Jahre 1991. Pünktlich zum 100. Todestag Melvilles machte sich eine Gruppe kluger Köpfe um Norbert Wehr, dem Herausgeber der Literaturzeitschrift „Schreibheft“, Gedanken über eine neue und zeitgemäße Werkausgabe des großen amerikanischen Schriftstellers. Es sollte ein großer Wurf werden, wie seinerzeit die Werkausgabe Edgar Allen Poes, für die Übersetzergenies und Kenner der Materie wie Hans Wollschläger und Arno Schmidt gewonnen worden waren. Norbert wehr beauftragte Friedhelm Rathjen, einen anerkannten Übersetzer und Experten für Schmidt, Joyce und Beckett, zu prüfen, ob und mit welchen Techniken eine Neuübertragung von „Moby-Dick“ möglich sei, denn dieses Werk sollte den Auftakt der Werkausgabe bilden. Nachdem erste Übersetzungsproben Rathjens vorlagen, zeigte plötzlich der Hanser Verlag Interesse an „Moby-Dick“ und der geplanten Melville-Gesamtausgabe. Norbert Wehr wurde (zusammen mit Hermann Wallmann und Paul Ingendaay) als Herausgeber benannt und Friedhelm Rathjen zog sich zurück, atmete tief durch und legte in einer vergleichsweise – am Umfang des Werkes gemessenen – kurzen Zeitspanne eine komplette Übersetzung vor. Dann, … passierte erst einmal nichts mehr.
Bevor wir uns also später wieder um die Übersetzung Rathjens kümmern, hier erst einmal einige Anmerkungen zum Original: als Moby-Dick (ja, man schreibt das wirklich mit Bindestrich) 1851 erschien, war die Geschichte von Kapitän Ahab und der Jagd auf den weißen Wal ein glatter Mißerfolg. Das Publikum hatte eine simple Abenteuergeschichte erwartet, doch diese Erwartung wurde von Melville nicht befriedigt. Er mutet dem Leser in der Tat viel zu. Immer wieder wird der Text unterbrochen von naturhistorischen und mythologischen Abhandlungen, von seitenlangen nautischen Erklärungen und philosophschen Exzerpten. „Moby-Dick“ war keine geradlinige Erzählung mit einem einfachen Gut-Böse-Prinzip. Mal ist Kapitän Ahab Opfer, dann wieder getriebener Rächer, der alle mit in den Malstrom reißt, mal ist der Wal der Leviathan, das Ungeheuer schlechthin und ein Dämon der Hölle, dann einfach nur gehetztes Tier, wenn auch ein besonders großes. „Moby-Dick“, so lautet bis heute das Urteil vieler Kritiker, sei in seiner Haltung einfach zu unentschieden, schwanke hin und her und erweise sich zuletzt lediglich als Versuch eines Romans. Selbst Melville hat zugeben müssen, daß „Moby-Dick“ lediglich ein „Fragment von einem Fragment“ sei. Als der Autor 1891 einsam und verarmt stirbt, waren er und sein Wal längst vergessen.
Aus dem amerikanischen Englisch neu übersetzt von Matthias Jendis
Paberback, 1056 Seiten
München: Goldmann/btb 2003
Diese Taschenbuchausgabe ist derzeit nur noch antiquarisch erhältlich.
Die gebundene Ausgabe aus der „Reihe Hanser Klassik“ ist bei „Buchhandel.de“ verfügbar.
Erst nach dem ersten Weltkrieg wurden Wiederentdeckung und Rehabillitation eingeleitet. Es setzte sich die Erkenntnis durch, daß dieses Buch nicht in die Gefilde der Kinder- und Jugendliteratur gehörte, sondern zum Kanon der großen Weltliteratur. Innerhalb der nächsten Jahrzehnte lagen auch mehrere Übersetzungen ins Deutsche vor, doch bei genauer Betrachtung erwiesen sich alle als verkürzend und entstellend. Genau hier setzte Rathjen seinen Hebel an. Er versuchte erst gar nicht, die brüchige Literatursprache Melvilles mit all ihrer Widersprüchlichkeit und Stilvielfalt, zu glätten und flüssig zu machen. Rathjens Credo lautet (stark vereinfacht): wenn sich das Original sperrig, kompliziert und gespreizt gibt, dann muss auch die Übersetzung originalgetreu sperrig, kompliziert und gespreizt sein. So löst Rathjen zum Beispiel nicht – wie viele Übersetzer vor ihm – die langen, nur durch Semikolons getrennten, sich manchmal über eine ganze Seite windenden Satzreihungen Melvilles in getrennte Haupt- und Nebensätze auf, sondern zieht diese Wortwürmer originalgetreu ins Deutsche. Vereinfacht wird dadurch die Lektüre nicht, aber sie ist – und das will Rathjen – eine möglichst getreue Kopie des Originals. Gleiches gilt für die Art und Weise, wie die Charaktere im Buch sprechen: über viele Kapitel hinweg redet Ahab wie ein gestandener Seebär, knapp, rauhbeinig und mitunter vulgär, dann aber wechselt er unverhofft in lange Monologe, die seine Quäker-Herkunft verraten, und das klingt dann wie eine Mischung aus Shakespeare und Altem Testament. Das pass eigentlich nicht zusammen, aber es gehört zusammen, weil es so im Original steht und deshalb auch in der Übersetzung so sein muss.
Doch zurück zur geplanten Ausgabe im Hanser-Verlag. Nachdem Rathjens Manuskript gut fünf Jahre beim Verlag gelegen und das ursprüngliche Herausgeberteam längst entnervt aufgegeben hatte, kam wieder Bewegung in die Sache. Mit Daniel Göske wurde ein neuer Herausgeber gewonnen, doch dem behagte Rathjens Übersetzung nicht. Göske ließ das Manuskript deshalb von Matthias Jendis überarbeiten. Dazu Friedhelm Rathjen: „Der Bearbeiter hat sich aus mir unbekannten Gründen nicht an die zwischen Göske und mir vereinbarte Kompromisslinie gehalten, sondern den Text so sehr entrathjent, daß ich ihn nicht wiedererkannte, folglich meinen Namen zurückzog, vorschlug man möge den verantwortlichen Bearbeiter dieser neuen Fassung auch als Übersetzer nennen, und die Rechte an meiner Übersetzung zurückbekam.“ Ob all diee Probleme durch verlagspolitisches Taktieren, Zweifel an der Qualität der Übersetzung, persönliche Animositäten oder schlicht nur Probleme der Finanzierung verursacht wurden, vermag ich nicht zu beurteilen. Tatsache aber ist, daß der Hanser Verlag im Jahr 2001 „Moby-Dick“ in der Übersetzung von Matthias Jendis herausbrachte. Die Kritik bescheinigte ihm einhellig, hervorragende Arbeit geleistet zu haben. Getreu dem Motto: Konkurrenz belebt das Geschäft, wurden nahezu zeitgleich in der Nr. 27 von „Schreibheft. Zeitschrift für Literatur“ längere Passagen der Rathjen-Übersetzung abgedruckt. Dann mussten nochmals drei Jahre ins Land ziehen, bevor „Zweitausendeins“ endlich den gesamten Rathjen-Moby-Dick verlegte. Für die Leser ein Gewinn.
Was auf den ersten Blick aussehen mag wie ein Duell zweier Übersetzungen, ist eher, so meine ich, ein interessantes Duett. Wo sich Rathjen den „manirierten Exzessen der Melvillschen Sprache“ bedingungslos ausliefert (s.o.), greift Jendis behutsam glättend ein, wählt im Zweifelsfall die leichter zu lesende, die besser verdauliche Version. Konsequent werden Satzungetüme entzerrt und Wiederholungen ausgelassen, ohne daß dabei die Präzision bei nautischen Fachtermini oder Slang- und Dialektfärbungen leidet. Besonderes Lob muss auch dem Anhang mit seinen Kommentaren und Erläuterungen gezollt werden. Aber, wer ist nun besser? Jendis oder Rathjen? Das läßt sich nicht klären. Mal liegt der eine vorne, mal der andere und am Ende ist es ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit totem Finish, ein Wettstreit ohne Sieger und Verlierer. Beide Übertragungen sind einzigartig und haben jede für sich ihre Qualitäten. Parallel gelesen oder unmittelbar hintereinander, ergänzen sie sich vortrefflich. Und wer der englischen Sprache leidlich mächtig ist, sollte im Zweifelsfall einfach das Original hinzuziehen.
»Moby-Dick und seine Übersetzer« ein Artikel von Dieter E, Zimmer (ZEIT-Literaturbeilage Nr. 47, vom 15. November 2001)
Edit – September 2016: Friedhelm Rathjens Übersetzung in der opulent=stilvoll gestalteten Ausgabe von Zweitausendeins ist leider nur noch antiquarisch erhältlich; aber eine Suche lohnt sich. Leider ist auch das preisgünstige Fischer-Klassik-Taschenbuch (s. o.) inzwischen nicht mehr im Buchhandel.
Nachdem Rathjen die Rechte an seiner Übersetzung zurückerhalten hatte, fand er mit Jung und Jung in Salzburg einen Verlag, der sich interessiert zeigte diesen Moby Dick erneut zu verlegen.
Oder: Der Wal
Aus dem amerikanischen Englisch von Friedhelm Rathjen. Mit einem umfassenden Anhang, einem Kommentar des Übersetzers, Nachwort und Zeittafel zu Leben und Werk des Autors.
Gebunden, 976 Seiten mit 40 Illustrationen
Salzburg: Jung und Jung 2016
Mehr Informationen zum Buch auf der Webseite des Verlages