Zwischen Tradition und Moderne – Bilder aus Maramureş
Ein gutes Fotobuch erzählt eine Geschichte, manchmal sogar einen ganzen Roman, den Roman eines Lebens, eines Volkes, einer Landschaft oder alles zusammen. Maramureş von Axel Heller ist so ein Buch. Der gebürtige Rostocker hat die entlegene Bergregion im Norden Rumäniens an der Grenze zur Ukraine zehn Jahre lang regelmäßig besucht. Seine Fotografien lassen uns in eine Welt schauen, in der die Zeit scheinbar stehen geblieben ist. Die Menschen der Maramureş sind Europäer wie wir und doch begegnen wir in Hellers Fotografien einer uns fremdartigen Kultur.
Das Leben in der Maramureş ist karg und einfach, die Menschen leben überwiegend von der Landwirtschaft. Der Zyklus der Jahreszeiten bestimmt in seiner gleichförmigen Wiederholung den Rhythmus von Arbeit und Freizeit, der allenfalls von den großen Kirchenfesten aufgelockert wird. Die großen Feste sind in ihren Prozessionen und Abläufen selbst kreisförmig, und ebenfalls zyklisch sind die mündlich überlieferten Erzählungen und Sagen. Konsequent teilt auch Axel Heller seine Fotoerzählung aus der Maramureş in vier Abschnitte, gliedert seinen Band nach den vier Jahreszeiten.
Von Entbehrung gezeichnete Gesichter, unwirtliche Landschaften, harte Arbeit auf dem Feld, fröhliche Gesichter bei Feiern und Festen, windschiefe Holzhäuser, lachende Kinder, zwischen Aufbruch und Verharren gefangene Jugendliche. Die Bilder treffen den Betrachter mit Wucht und Emotion, aber alle gefährlichen Klippen des Kitsches oder der Überheblichkeit umschifft Heller traumwandlerisch. Er begegnet seinen Modellen auf Augenhöhe, zeigt sich neugierig und fasziniert, vermeidet dabei jede falsche Ästhetisierung und Künstlichkeit. Ihm geht es nicht um die ethnografische Dokumentation einer aus Zeit und Raum gefallenen Volksgruppe, sondern um einen tiefen Blick in das existentielle Sein dieser Menschen. Hier hält der Rezensent inne, denn jegliches Wortgeklingel wird diesen Bildern nicht gerecht. Hellers Fotografien sind nicht mit Worten zu beschreiben, weil sie ins Herz treffen, unmittelbar und direkt.
Die Maramureş ist ein Idyll, ein letztes Paradies des einfachen, naturverbunden Lebens in Europa, könnte man meinen. Weit gefehlt. Hellers Bilder sind ehrlich, sie zeichnen auch den Zerfall dieser Kultur auf, die von aussen eindringenden Einflüsse, den Verlust alter Handwerkskünste und bewährter Traditionen zugunsten segensreicher neuer Technik. Zu keiner Zeit fordert Heller in seinem Bildroman, die Kultur der Maramureş zu konservieren, sie kann und muss sich wandeln inmitten eines Europas mit offenen Grenzen. Die im Lauf der Zeit unaufhaltsam heranrückende Moderne ist Segen und Fluch, bedeutet, an Altem festzuhalten und gleichzeitig nach Neuem zu greifen. Dadurch und durch seinen unverstellten Blick auf die bedrohte rauhe und herbe Wirklichkeit transportiert Hellers Fotoband auch eine gesellschaftspolitische Botschaft. Die vermittelt sich ohne große Worte, es bedarf lediglich eines aufmerksamen Betrachters. Axel Heller liefert mit Maramureş große Fotokunst.
Rumänien 2005-2014
Mit einer Einleitung von Christoph Tannert
Gebunden, fadengeheftet. 200 Seiten mit 195 Duotone-Abbildungen
Leipzig: Lehmstedt Verlag 2015
Der kleine, unabhängige Lehmstedt Verlag beschenkt den Bücherfreund (wieder einmal) mit einem bibliophilen Kleinod; Maramureş hat einen mit echtem Leinen bezogenen Einband, einen Prägetitel mit eingelassenem Foto, Fadenheftung, feinstes und festes Papier, Abbildungen im Duotondruck, großes Format. Und das alles für knallhart, im Sinne aller Fotofreunde kalkulierten 29,90 Euro. Zu diesem Preis ist das Buch praktisch geschenkt. Kaufen unbedingt.
Das gilt nach wie vor auch für: Das pure Leben. Fotografien aus der DDR.