Die Angst gebiert Ungeheuer – Ein Novelle von Rui Zink
Angst ist ein lebensrettender Instinkt. Sie schärft die Konzentration, sie schützt, sie warnt vor Gefahr. Unsere urzeitlichen Vorfahren haben nur überlebt, weil die Angst ihre Sinne gegenüber den allfällig lauernden Gefahren sensiblisiert hat. Angst ist aber auch ein Machtinstrument. Sie schüchtert ein, sie verunsichert und sie bedroht. Alle Repression arbeitet mit Angst, alle Staatssysteme, seien sie sozialistisch, kapitalistisch oder irgendetwas dazwischen, Sekten und Religionen setzten auf Angst, namentlich die Angst vor Strafe und Verdammnis, alle Despoten und Diktatoren können nur herrschen, wenn sie nackte Angst schüren. Angst lähmt und ist zielgerichtet eingesetzt eine tödliche Waffe.
angst ist nicht blosz mutlosigkeit, sondern quälende sorge, zweifelnder, beengender zustand überhaupt; von der wurzel enge.
Grimm, Deutsches Wörterbuch
wie ich achte, das im teutschen auch angst daher komme, das enge sei, darin einem bange und wehe wird und gleich beklemmet, gedruckt und gepresset wird, wie denn die anfechtungen und unglück thun, nach dem sprichwort, es war mir die weite welt zu enge.
Martin Luther
Angst erzeugt Enge und nur in der Enge wiederum gedeiht die Angst. Die Mechanismen genau dieses Teufelskreises legt Rui Zink in seiner so wahrhaft beängstigenden Novelle Die Installation der Angst eindrucksvoll frei.
Der neue Anschluss wird gelegt
Zwei Männer klingeln bei einer alleinstehenden Frau. Sie sind gekommen, um in ihrer Wohnung die Angst zu installieren. Es ist eine Anordnung der Regierung, niemand darf sich ihr widersetzen. Eine eigens eingerichtet Großbehörde installiert und überwacht. Die beiden Männer sind perfekt geschult und eingespielt. Es mangelt ihnen zu keiner Zeit an Argumenten und Beispielen. Sie quatschen die Frau förmlich in die Enge, vor der Installation der Angst steht die Erläuterung der Angst. Wie perfekt geschulte Inquisitoren zeigen sie erst die Instrumente, bevor sie wirklich foltern. Die Installation der Angst ist ein langwieriger Prozess, dem am Ende aber niemand entfliehen kann.
In aberwitzigen Dialogkaskaden ziehen sie alle Register. Die beiden Installateure inkarnieren alle Pärchenfiguren der jüngeren Kulturgeschichte. In ihnen manifestiert sich die absurde Sinnsuche von Wladimir und Estragon, die heiter-ironischen Clownereien von Laurel und Hardy, der schelmische Eskapismus von Bouvard und Pécouchet, die eineiige Zwillingshaftigkeit von Dupont und Dupont, die nonchalant-perfide Brutalität von Goldfinger und seinem stummen Diener Oddjob. Sie werfen sich in perfekter Choreographie die Bälle zu, jonglieren mit leeren Worthülsen und hinterhältigen Sprachspielen. Ihr atemloses Pingpong aus Ein-Wort-Sätzen raubt den Verstand.
Sie kalauern, sie schmeicheln, sie erläutern, sie parlieren und sie drohen. Das Produkt Angst hat eine breite Modellpalette. Alle Ausprägungen der Angst werden durchdekliniert; die Angst vor Krieg, Einsamkeit, Armut, die Furcht vor Terroristen, Flüchtlingen und Fremden, die Angst vor Krankheit oder dem Tod und vor allem die Angst vor den Märkten. Denn die Macht der Märkte muss die Menschen in einer globalisierten und durchökonmisierten Welt am meisten ängstigen. Die Frau hört ruhig zu, sie hat nur eine Angst, nämlich die Angst entdeckt zu werden.
Die Installation der Angst gebiert Ungeheuer
Nicht nur in ihrem inquisitorischen Verfahren, bei dem bereits vor der Folter das bloße Zeigen der Instrumente Angst schüren soll, sondern auch mit ihrer pseudofürsorglichen Argumentationslinie treiben die beiden perfiden Installateure einen Rückfall ins Mittelalter voran. Der fürsorgliche Despot, der allgegenwärtige Staat, die Märkte, sie alle wollen nur eins, nämlich einen unmündigen und unaufgeklärten Bürger, der sich fügt, unterordnet und funktioniert. Teilten sich im Mittelalter Kirche und Despot noch die Mittel der Unterdrückung, hier der drohende Verlust des Seelenheils im Jenseits, dort die nackte Furcht ums physische Dasein im hier und jetzt, so bündelt der moderne Staat beides in der flächendeckenden Installation der Angst.
»Nach und nach wird die Angst zur virtuell einzigen Realität.«
»Eine Welt namens Angst, meine Dame. Keine Welt namens Welt mehr….«
»Nur Angst namens Angst.«
»Eine Pracht.«
Mit ihrem Plan, dem staatlich verordneten wohlgemerkt, halten die beiden Installateure und Inquisitoren kaum hinterm Berg. Es geht um totale Kontrolle, Kontrolle durch Angst. Doch sie haben die Rechnung ohne die Frau gemacht.
Denn die Frau in der Wohnung hat ein Geheimnis und als das ans Tageslicht zu kommen droht, fliegt den Installateuren ihr Plan von den neumittelalterlichen Verhältnisse förmlich um die Ohren.
Haben Sie nicht neumittelalterliche Verhältnisse herbeigesehnt? Also jammern Sie nicht. In neumittelalterlichen Verhältnissen kehren auch Sekten zurück, tausendeinfacher Wahnsinn, vierteilende Ritter, Dreckmönche, Blutkult, vom Wissen schier Wahnsinnige, Tänzer im Blutrausch. Das Ende der Welt als alltägliches Schauspiel, nonstop von der Morgenvorstellung bis tief in die Nacht.
Der Begriff der Angst schlägt um, kehrt zu seinem Ursprung zurück. Aus dem Machtinstrument der Installateure wird bei der in die Enge getriebenen Frau wieder der lebensrettende Urinstinkt. Hier nur so viel: Es geht an die Substanz und endet bedrohlich, finster und erschreckend.
Ein ausgeklügeltes Stück Literatur
Rui Zink hat seine Novelle Die Installation der Angst unter dem Eindruck der Wirtschafts- und Finanzkrise in Portugal geschrieben. Das Land ächzt noch heute unter den Folgen der (alternativlosen?) staatlichen Eingriffe. In seinem Text verdichtet Zink den unterdrückten Zorn der Portugiesen, ihre Wünsche, Nöte und ihre Ängste. Doch seine Vision ist keinesfalls auf Portugal beschränkt. Er zitiert und montiert kunstvoll Passagen aus Zeitungen und anderen literarischen Texten, bedient sich bei Sprichwörtern, Redewendungen und Klischees, Zink knüpft vielfältige sprachliche und inhaltliche Bezüge und stellt aussergewöhnliche Verbindungen her; wenn der Leser dies im Detail nicht bemerken sollte, macht das gar nichts. Der Text funktioniert so oder so wie ein Schlag in den Magen und er verschlingt sich atemlos.
Der Text ist so stark, weil Zink die klassichen Mittel der Novelle perfekt einzusetzen weiß. Kein kommentierender Erzähler mischt sich ein, die Handlung entwickelt sich ohne große Exposition ad hoc und zielgerichtet, die Tektonik des Textes ist dem Drama extrem nahe und bei aller Märchenhaftigkeit bleibt das Geschehen vorstellbar und mit realitätsnahem Bezug. Und auch hier gilt wieder: falls der Leser diese Kunstfertigkeiten des Textes nicht bemerkt, macht das nichts.
Die Installation der Angst reißt den Leser mit. Rui Zinks Angstszenario ist ein perfekt gebautes Kammerspiel der Gewalt, eine Screwball Comedy der Bedrohung. Dieser kurze, atemlose Text erzeugt mit Worten Gänsehaut und Angst.
Novelle
Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler
Broschur, fadengeheftet, 128 Seiten
Bonn: Weidle Verlag 2016
Eine weitere, lesenswerte Besprechung der Novelle findet sich im Blog Literaturen. Mehr zum Buch auch beim Weidle Verlag.
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Beitragsbild: Der Schrei, undatierte Zeichnung von Edvard Munch, Bergen Kunstmuseum / Quelle: Wikimedia Commons