So wird alles Schwere entweder leicht oder Leben
Kennst Du das? Wenn man zu müde für die Sehnsucht ist? Es ist ein beginnendes Infernogefühl und so unaussprechlich erinnerungsarm, daß man in sich und um sich kein Land mehr spürt – nur dumpfe Traurigkeit und ein Müdesein, daß man nicht einmal die Lider heben mag, weder zum Mond noch zur Sonne. O Nuschka komm bald. Jetzt brauche ich Dich schon so sehr.
Im Sommer 1944, also vor 70 Jahren, hat der Theater- und Filmregisseur Heinz Hilpert begonnen, ein Tagebuch zu schreiben. Der erste Eintrag erfolgte am 26. Juli, der letzte gut ein Jahr später am 16. Juni 1945. Die Eckdaten lassen bereits vermuten, dass hier ein besonderes Dokument vorliegt, ein Zeugnis aus einer der finstersten Zeiten der deutschen Geschichte. Das ist auch richtig, aber nur auf den ersten Blick.
Annelies Heuser und Heinz Hilpert – Eine verbotene Liebe
Der Tag meiner Abreise von Zürich war hell und voll Sonne. Mir schien alles trübe und traurig, weil ich von Dir fortging. Mit der harten Gewissheit, Dich lange entbehren zu müssen! Das entbehren zu müssen, was der liebe Gott zu meiner innigsten Ergänzung auf die Welt geschickt hat.
Heinz Hilpert hat das Tagebuch für seine große Liebe Anneliese Heuser geschrieben; er nannte sie zärtlich Nuschka. Der Text ist in seinem Wesen ein einziger langer Liebesbrief, in dem Hilpert seine Liebe und Zuneigung anrührend lyrisch in innige Worte kleidet. Das Paar war zu dieser Zeit getrennt und das Tagebuch diente Hilpert, seinen Schmerz über diese Trennung zu verarbeiten, gleichzeitig beschreibt er seinen Berliner Alltag, der geprägt ist vom Bombardement der Alliierten, vom Kriegsalltag und der Niederlage und bedingungslosen Kapitulation Deutschlands.
Heinz Hilpert zählte zu den führenden Kulturschaffenden Deutschlands, auch in der Zeit des Nationalsozialismus. Er stand, gewissermaßen als Gegenpol zu Gustaf Gründgens und dessen Mentor Hermann Göring, unter dem persönlichen Protektorat Joseph Goebbels. Hilpert leitete, auf Wunsch seines direkten Vorgängers Max Reinhardt, das Deutsche Theater in Berlin und später, nach der Annektierung Österreichs, auch das Wiener Theater in der Josefstadt. Hilpert fühlte sich auf dem Theater dem Wort verpflichtet, dem Geist der Dramatiker, nicht der pompösen Repräsentation, die Gründgens in seinem Schauspielhaus am Gendarmenmarkt mitunter pflegte. Neben seinem künstlerischen Wirken unternahm der große Humanist Hilpert alles in seiner Macht stehende, um seine Theater, seine Mitarbeiter und Freunde gegen die Angriffe und Anfeindungen der Nationalsozialisten zu schützen. Goebbels soll die Hilpertschen Bühnen einmal als »zwei KZs auf Urlaub« bezeichnte haben, aber im »Kulturkampf« gegen Göring brauchte er sie.
Anneliese Heuser, geborene Strauß, hatte Hilpert bereits Ende der zwanziger Jahre kennengelernt, beide waren damals mit anderen Partnern verheiratet. Ihre Liebe auf den ersten Blick ist groß, unerschütterlich, unaufhörlich und – wie sich im nachhinein zeigt – sehr widerstandsfähig. Nach der Machtergreifung Hitlers emigrierten Nuschkas Eltern und ihr Bruder; sie bleibt, muss später den Judenstern tragen und ihren Namen um den vorgeschriebenen, stereotypen jüdischen Vornamen erweitern. Als Anneliese Sara Heuser leistet sie Zwangsarbeit, eine Heirat mit Hilpert ist undenkbar. Aber er versteckt sie im Deutschen Theater, färbt ihre Haare blond und versucht ihr einen gefälschten Paß zu besorgen. Die Nazis bekommen das mit, schreiten aber nicht ein.
Als der Bombenkrieg über Deutschland hereinbricht, bleibt schließlich nur noch die Flucht über die grüne Grenze in die Schweiz. Nuschka lebte nun in Zürich. Der Kontakt zu Heinz Hilpert, ja die bloße Erwähnung seines Namens mussten in jedem Fall verhindert werden, wegen der Gefahr der Rückmeldung nach Berlin. Trotzdem kam es zu vereinzelten Treffen in Zürich, zuletzt Anfang Juli 1944, kurz bevor Hilpert das Tagebuch begann.
Ein Liebeslied voller Schmerz und Glück
Nuschka, es ist immer schwerer, den Tag durchzustehen, immer schwerer, sich ins Rechte zu denken, neben der Ananke noch Daimon und Elips zu empfinden – und so viel davon zu haben, um in den Morgen tasten und vorfühlen zu können. Wenn ich nicht Dich in mir trüge und gleichzeitig hinter den schwarzen Tunnel im hellen winken fühlte, mir grauste vor dem schwarzen Loch, indas wir jetzt hineinschwanken – unerbittlich hineinwanken müssen. Durch Dich allein bekommt das alles Sinn und Licht. Laß mich nie die Macht der Finsternis spüren!
Das Tagebuch für Nuschka bezeugt die tiefe humanistische Weltanschauung Hilperts, seine starken religiösen Wurzeln und natürlich seine große Kenntnis der Weltliteratur. Dies und seine unerschütterliche Liebe zu Nuschka machen sein Tagebuch zu einem Zeugnis des Feinsinns und Feingeistes in einer gnadenlosen Zeit. Schilderungen des entbehrungsreichen Alltags – alle Bühnen sind geschlossen, Hilpert muss in Fabriken arbeiten, der Krieg rückt heran, die Bomben fallen – wechseln sich ab und verweben sich mit tröstlichen Gedanken aus der Literatur, mit Mitleid und Sehnsucht und mit der in Worte gefaßten übergroßen Liebe zu Nuschka. Auch Dank dieses Tagebüchleins hat Heinz Hilpert das Kriegsende und den Untergang Deutschlands überlebt, ohne innerlich wirklich Schden zu nehmen.
Die Macht, die uns getrennt hat, ist über Nacht vom Erdball fortgewischt worden. Der Druck, der 12 Jahre lang auf uns gelastet hat, ist nicht mehr. Die Fallgeschwindigkeit dieser »Herrlichkeit« ist, solange Menschen denken können, noch nie so dagewesen.
Möge uns unser gemeinsames Geschick benedeien und ins Rechte denken, auf daß wir unserer gegenseitigen Liebes- und Daseinskraft teilhaft werden und etwas Gutes aus unserem Leben aufbauen können – etwas, das einen Teil von der fruchtigeren Fülle zurückschenkt, die wir in unsere beider Herzen hineingeerntet haben. Amen.
Nuschka und Heinz heiraten schließlich am 27. November 1947. Nach Annelieses Tod im November 1963 heiratet Hilpert ein drittes Mal. Doch die einzige wirkliche Liebe seines Lebens ist und bleibt, das bezeugen viele Freunde und Weggefährten, seine Nuschka.
Das Original des Tagebuchs für Nuschka befindet sich im Archiv der Akademie der Künste, Berlin, wo der gesamte Nachlass Hilperts aufbewahrt wird. Es gelangte aber erst nachträglich dorthin. Das intime und sehr persönliche Dokument war daher, und das ganz bewußt, auch nicht Teil der großen Akademie-Ausstellung zu Hilperts 100. Geburtstag im Jahr 1990. Jetzt aber ist es veröffentlicht und dient als Dokument einer großen, unerschütterlichen Liebe in finsteren Zeiten. Es ist einer dieser Texte, die man, einmal intensiv gelesen, so schnell nicht wieder vergisst.
Tagebuch für Nuschka. Herausgegeben von Michael Dillmann und Andrea Rolz
Buchgestaltung von Friedrich Forssman
Broschur, fadengeheftet, 148 Seiten, mit Abbildungen
Bonn: Weidle Verlag 2011
Michael Dillmann, ein sehr guter Freund und Studienkollege des Verfassers dieser Zeilen, hat 1990 auch die große Heinz Hilpert Ausstellung zu dessen 100. Geburtstag in der Akademie der Künste kuratiert und eine umfassende Biographie Heinz Hilperts verfasst. Leider ist dieses Buch nur noch antiquarisch erhältlich. Wer mehr über den großen Humanisten Heinz Hilpert und seine Film- und Theaterarbeit erfahren möchte, sollte sich auf die Suche nach diesem Buch begeben. Es lohnt sich.
Herausgegeben von der Akademie der Künste
Broschur, fadengeheftet
523 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen
Berlin: Edition Hentrich 1990