Die Schlacht an der Somme – Gezeichnete Geschichte
Am 1. Juli 1916 hat die Schlacht an der Somme begonnen. Sie gilt bis heute als eine der brutalsten und blutigsten Schlachten der Kriegsgeschichte. Allein in der ersten Stunde des Angriffs verloren 10 Tausend britische Männer ihr Leben in den Schützengräben und Drahtverhauen, niedergemäht von deutschen Maschinengewehren oder zerfetzt von Granaten. Die sanften Hügel entlang des Flüßchen Somme verwandelten sich in eine Landschaftaft aus Schlamm, Dreck und Blut. Der Krieg war zum industrialisierten Morden geworden, zum maschinellen Töten aus großer Distanz. In The Great War hat der Zeichner Joe Sacco den ersten Tag der Schlacht an der Somme minutiös festgehalten und beschreibt aus der Sicht der britischen Truppen Stunde für Stunde was geschah.
Eine Kraftvolle Erzählung ohne Worte
Die ist kein Buch, keine Graphic Novel im klassichen Sinn; es ist ein auseinanderfaltbares Tableau mit der beeindruckenden Länge von sieben Metern. Sacco hat sich unter anderem vom Teppich von Bayeux inspirieren lassen, auf dem die Eroberung England durch die Normannen erzählt wird. Während der Blick auf Saccos Leporello von links nach rechts schwenkt über eine verwüstete und von Menschen und Kriegsgerät übersäte Landschaft, schreitet die Zeit allmählich voran. War der Krieg für den einzelnen Soldaten eher eine klaustrophobische Wahrnehmung, eingeschränkt und begrenzt auf wenige Meter eines schlammgefüllten und engen Graben, so blickt Sacco aus einer leicht erhöhten Panoramaperspektve auf das Geschehen. Ähnlich wie beim mittelalterlichen Vorbild von Bayeux sind Perspektiven mitunter verschoben, Distanzen verkürzt und werden Zeitabläufe gerafft. 100 Meter reale Entfernung schrumpfen bei Sacco auf wenige Zentimeter zusammen. Doch seine Stärke liegt darin, jeder Figur, sei sie noch so klein oder weit entfernt, Leben einzuhauchen, sie liebevoll und individuell zu zeichnen, beinahe so, als zolle er jedem Menschen auf seinem gewaltigen Bild Respekt.
Die Kraft der Erzählung liegt im Detail. Der Betrachter darf das Auge nicht über das Panorama hinwegfliegen lassen, sondern er muss genau hinschauen. Im Detail zeigt sich der Horror des Krieges; hier übergiebt sich ein Offizier heimlich, dort bekommt ein Pferd seinen Gnadenschuss und auf einer Trage liegt ein Soldat, der seine Arme austreckt, als wolle er nichts sehnlicher, als den erlösenden Tod zu umarmen. Sacco hat tausende Fotos betrachtet, mit Historikern und Armmeexperten gesprochen, um sein Panorama so originalgetreu wie möglich zu machen. In nüchternem schwarzweiß entfaltet sich das Grauen ganz ohne Worte.
Nähe und Distanz
Eräuterungen zu den einzelnen 24 Abschnitten des Panoramas, für jede Stunde des Tages einer, liefert ein kleines Beiheft. In ihm erzählt Sacco auch, dass er bereits sehr lange die Idee hatte, den Ersten Weltkrieg zeichnerisch festzuhalten, diese Idee aber nach seinen preisgekrönten Graphic-Novel-Reportagen aus Gaza, Palästina oder dem Bosnienkrieg jedoch nicht weiterverfolgen wollte. »Ich hatte genug von Krieg und Gewalt«, schreibt er. Aber der Plan ließ sich einfach nicht verscheuchen und Sacco begann schließlich doch mit der Arbeit, nachdem er beschlossen hatte, den journalistischen Ansatz seiner Reportagen diesmal gegen einen historischen, deutlich distanzierteren Blickwinkel einzutauschen. Deshalb, so Sacco weiter, sei auch die Strichführung diesmal feiner und ruhiger als bei den Reportagen; obwohl es sich hier wie dort um brutale Ereignisse handele, bei denen die Würde des Menschen in den Dreck gezogen und Leben sinnlos ausgelöscht würden.
In diesem englischsprachigen Video erzählt Joe Sacco mehr über die Gründe, die ihn zu seinem Weltkriegspanorama bewegt haben und gibt auch Einblicke in seine Arbeitsweise.
Die Schlacht an der Somme zog sich bis in den späten November hin. Am Ende der Offensive waren auf deutscher Seite 500 Tausend Tote zu beklagen, ebensoviele bei den Franzosen und Briten, nach einigen Schätzen sogar deutlich mehr.
Diese Gemetzel festzuhalten, wie Sacco es getan hat, werden manche zweifelsohne als unmöglich, falsch oder würdelos erachten. Ich finde, The Great War hat in seiner Zeichenhaftigkeit, auch in seiner notwendigen Verkürzung, eine eigene kompromisslose Kraft. So viele unverständliche Entscheidungen, so große und unermessliche Zerstörung reduziert auf 24 Abschnitte einer Zeichnung, das hat etwas Überwältigendes und auch viel Mitleiderregendes an sich; es ist unverfälscht und lehrreich.
July 1, 1916. The First Day of the Battle of the Somme.
An Illustrated Panorama.
With an essay by Adam Hochschild.
Hardcase, unpaginated.
London: Norton & Company 2013
Neben der englischen Originalausgabe liegt The Great War auch in einer deutsch/französischen Edition vor.
Die Schlacht an der Somme
Leporello aus 24 Seiten.
Beiheft (dtsch./franz.) mit einem Essay von Adam Hochschild.
Hardcover/Softcover im Schuber, 29 x 22 cm.
Zürich: Edition Moderne 2014