Finn’s Hotel – Etüden zu Finnegans Wake
»Ein unbekannter James Joyce!« Mit Emphase und Ausrufezeichen preist der Herausgeber Danis Rose (s)ein schmales Bändchen, das einen »ultimativ letzten Textfund« enthalten soll. Ein Fragezeichen wäre angebrachter gewesen; gleichwohl es sich um einen erstaunliches Werk handelt, gänzlich neu und unbekannt ist es nicht. Dazu später mehr.
Finn’s Hotel versammelt auf knapp 70 Seiten 10 kurze Texte, die James Joyce 1923 kurz nach Beendigung des Ulysses geschrieben hat, noch deutlich bevor er Handlung, Struktur und Unermeßlichkeit von Finnegans Wake ernstahaft konzipierte. »Epicletcs« nannte der Schriftsteller die kleinen Stückchen, die stilistisch zwischen kurzen Vignetten, Skizzen, kleinen Fabeln oder fast schon substantiellen Kurzgeschichten angesiedelt sind. Sie beschäftigen sich mit bedeutenden Personen und Ereignissen der irischen Geschichte, beginnend mit der Landung St. Patricks im Jahr 432. Historisch Verbürgtes mischt sich mit Sagen und Mythen.
Die Joycesche Grundidee war die eines betagten Finn McCool, der sich an den Ufern der Liffey niederläßt. Am mythischen Helden vorbei fließt die Vergangenheit Irlands, wie im Traum. Das ist die Ausgangslage dieser historischen Revue und mit dem Titel Finn’s Hotel spielt Joyce auf jenes Hotel in Galway an, in dem seine Ehefrau Nora Barnacle einst als Zimmermädchen gearbeitet hat. In Finnegans Wake taucht der Name dann viel später als ».i..’. .o..l« verschlüsselt wieder auf.
»Finn’s Hotel« schlägt eine Brücke von »Ulysses« zu »Finnegans Wake«. Es ist sowohl ein Werk für sich als auch eine wunderbare, halb ernste und halb unernste, dazu leicht lesbare Einführung in die Schlüsselthemen und -figuren des notorisch schwierigen folgenden Werkes.
Danis Rose, Vorwort zu Finn’s Hotel
Danis Rose ist fest davon überzeugt, dass diese Fingerübungen von Joyce als geschlossenes Werk entwickelt und geschrieben wurden und keineswegs nur simple Vorstudien oder Fingerübungen zu Finnegans Wake sind. Um seine These zu stützen, verweist Rose auf die seiner Meinung nach übliche Joycesche Arbeitstechnik, mit der etwa aus der biographischen Skizze Stephen Hero das elaborierte Porträt des Künstlers als junger Mann erwachsen sei und aus Dubliner (speziell aus einer für diese Sammlung geplanter aber nicht ausgeführter Geschichte mit dem Titel Ulysses) eben der Ulysses. Zu dem habe nicht ganz unbeträchtlich auch das kleine, geheime Tagebüchlein Giacomo Joyce aus den Triester Jahren beigetragen. Joyce, so Rose, habe also mehrmals Texte sorgfältig ausgearbeitet und abgeschlossen, nur um sie anschließend zu größeren Texten weiter zu entwickeln. Verworfen habe er die jeweiligen Ur-Texte mit ihrem jeweils stringenten Werkcharakter nicht, allenfalls nicht veröffentlicht und zur Seite gelegt, gleiches gälte auch für Finn’s Hotel, so Rose.
In seinem Vorwort vermag Rose, die Einheit und Eigenständigkeit des Werkes durchaus plausibel zu begründen, zumindest für Leser, die nicht mit allen Verästelungen der Joyce-Forschung vertraut sind. Namhafte Joyce-Kenner aber melden erhebliche Zweifel an. Zunächst einmal: nicht alle der hier versammelten Texte sind neu und unbekannt. Sieben von ihnen wurden bereits 1963 von David Hayman für sein Buch A First-Draft Version of Finnegans Wake transkribiert. Vier weitere Bruchstücke, die in das Umfeld der bereits bekannten passten, fand Danis Rose, als er in Archiven erneut die von Joyce hinterlassenen Manuskripte und Notizbücher durchforstete. Die Texte zu dem, was jetzt Finn’s Hotel ist, lagen stets nur verstreut und nicht als geschlossenes Konvolut vor; das schwächt Roses Thesen zwar, widerlegt sie aber auch nicht. Denn der Joycesche Nachlaß wurde mehrfach geteilt und mit sehr unorthodoxer Methodik von verschiedenen Personen sortiert und geordnet.
»Es sind mit Sicherheit interessante Übergangsstücke, aber keineswegs ein Zyklus aus Kurzerzählungen wie Dubliner«, merkt zum Beispiel John Nash von der Durham University an. Danis Rose ist fest vom Gegenteil überzeugt. Ein erster Anlauf zu einer Veröffentlichung scheiterte 1992 unter anderem an heftigen Protesten von Literaturwissenschaftlern, am Widerstand der Joyce-Erben und einem Rückzug des Verlegers, der schlicht kalte Füße bekam ob des Proteststurms. Das Projekt wurde aufgegeben und – wie Finn, wie Finnegan – begraben. 2013, mehr als 70 Jahre nach dem Tod des Schriftstellers und dem Auslaufen des Urheberrechts am Joyceschen Werk, waren die Bedingungen für eine Publikation günstiger und Finn’s Hotel erschien im kleinen Dubliner Verlag Ithys Press. Jetzt folgt die von Friedhelm Rathjen ins Deutsche übersetzte Ausgabe bei Suhrkamp.
Und was lesen wir hier nun? Ganz wundervolle Mini-Epen voller vielsprachiger Wortspiele. Zwar beginnen Grammatik und Zeichensetzung zu zerbröseln, folgen aber noch überschaubaren Regeln. Auch die Trennlinien zwischen Muttersprache und Fremdsprachen bleiben erkennbar. Der lockere und parodistische Ton klingt, vor allem nach der Lektüre von Ulysses, sehr vertraut und inhaltlich weist Finn’s Hotel tatsächlich auf viele Motive in Finnegans Wake voraus. So tauchen Tristan und Isolde auf, spielen die Heiligen Irlands und vier alte Männer ihre Rollen und St. Patrick bekehrt nicht die Iren, sondern wird zum Iren bekehrt. Spätestens wenn H. C. Earwicker und seine Frau Anna Livia Plurabelle, sowie ihre Kinder (der Schriftsteller, der Postbote und das frühreife, männerverführende Mädel) ihre hochkomischen Auftritte haben, ist die Grenze zu Finnegans Wake endgültig überschritten.
Es bleibt das große Faktum daß nach jenem historischen Datum alle bisher exhumierten und von Haromphrey gezeichneten Holographen die Siglen H.C.E tragen und während er immer und lang und ausschließlich der gute Herzog Umphrey für die hungarlöhnerischen Heuerlingel von Lucalizod war und Chimbers für seine Kumpels war es sicherlich ebenso eine freundliche Wendung des Pöbelgevolks das ihm als Deutung dieser normativen Buchstaben den Spitznamen Hier Chauffiert Einjeder gab.
Finn’s Hotel, S. 85
Großes Lob muss unbedingt dem Übersetzer Friedhelm Rathjen gezollt werden; ein Glücksfall, dass dieser ausgesprochene Kenner des Joyceschen Kosmos und erfahrene Experte für Übertragungen (auch von Teilen des Wake) gewonnen wurde. Wie immer kann über das eine oder andere Detail gestritten werden, aber das wäre kleinlich. Denn unterm Strich hat Rathjen hier eine großartige Leistung abgeliefert.
Die in Finn’s Hotel versammelten »Epiclets« stellen mit Sicherheit keinen Einstieg ins Joycesche Werk für Anfänger dar, aber der erfahrene Joyce-Leser findet hier durchaus neues und (zumindest in deutscher Übersetzung) unbekanntes.
Weil es noch nicht so synkretistisch und enzyklopädisch ist wie das »Wake« und doch weithin darin eingegangen ist, ist es gleichzeitig das Großwerk in nute und ein bahnbrechendes, eigenständiges Werk für sich.
Seamus Dean, Einführung zu Finn’s Hotel
Ob mit Finn’s Hotel als Reiseführer der monolithische Klotz Finnegans Wake wirklich leichter zu bewältigen ist, wage ich zu bezweifeln. In jedem Fall aber ist Finn’s Hotel eine Sammlung amüsanter Fabeln zur Geschichte Irlands und ein lesenswerter, neuer Joyce.
Herausgegeben von Danis Rose und mit einer Einführung von Seamus Dean. Aus dem Englischen von Friedhelm Rathjen
Gebunden, 104 Seiten
Berlin: Suhrkamp 2014